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Alte Szenarien

18. Februar 2010

Die neue russische Militärdoktrin wärme alte Bedrohungsszenarien wieder auf, meint der Politikexperte Hannes Adomeit im Interview mit DW-WORLD.DE.

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Der russische Präsident Medwedjew macht Schießübungen mit einer Waffe (Foto: picture-alliance/ dpa)
Das Militär ist wichtig für den russischen Präsidenten MedwedjewBild: picture-alliance/ dpa

DW-WORLD.DE: Herr Adomeit, der russische Präsident Dmitrij Medwedjew hat Anfang Februar eine neue Militärdoktrin in Kraft gesetzt. Wie bewerten Sie diese?

Portrait von Hannes Adomeit, Experte für Außen- und Sicherheitspolitik Russlands (Foto: DW)
Hannes Adomeit, Experte für Außen- und Sicherheitspolitik RusslandsBild: SWP

Hannes Adomeit: Es ist erstaunlich, dass die alten Geschichten wieder aufgewärmt werden, insbesondere die Bedrohung, die angeblich weiterhin von der NATO ausgehe, die sich immer weiter nach Osten an die Grenzen Russlands hin ausdehne. Auch wird wieder auf die Bedeutung der Nuklearwaffen für Russland hingewiesen. Das gab es auch schon in der Doktrin im Jahr 2000. Es ist gar nicht klar, warum man jetzt diese neue Militärdoktrin überhaupt braucht.

Russland beansprucht für sich das Recht auf den atomaren Erstschlag. Ist das ein Rückschritt, ein Zeichen der Schwäche?

Auch das ist schon in der Militärdoktrin des Jahres 2000 festgehalten worden. Das ist in der Tat im Vergleich zu der Doktrin des Warschauer Paktes eine Veränderung, weil damals ausgeschossen worden war, dass die Sowjetunion zuerst Nuklearwaffen einsetzen würde. Aber aufgrund der Tatsache, dass die konventionellen Streitkräfte Russlands relativ schwach sind, jedenfalls verglichen mit den konventionellen Streitkräften von NATO-Staaten, hat Russland schon in der Militärdoktrin 2000 diesen Erstschlag vorgesehen. Auch wenn Russland nur konventionell angegriffen würde, möchte es sich das Recht vorbehalten, nuklear zurückzuschlagen. Insbesondere dann, wenn die Existenz der Russischen Föderation bedroht werde.

Es gibt eine Reihe ungelöster Probleme in der Sicherheitspolitik zwischen Moskau und Washington, zum Beispiel das ausgelaufene START-Abkommen oder der eingefrorene US-Raketen-Schutzschild in Europa. Europa scheint darüber aber nicht besorgt zu sein?

Letzten Endes ist die Wahrscheinlichkeit, dass Nuklearwaffen eingesetzt werden, oder es zu einem konventionellen Krieg zwischen den USA und Russland kommt, äußerst gering. In der neuen Fassung der Militärdoktrin ist einerseits die Erstschlagskomponente wieder eingeführt worden, aber gleichzeitig wird gesagt, dass die Wahrscheinlichkeit des Ausbruchs eines Nuklearkrieges sehr gering sei. Es ist in vielerlei Beziehung viel Lärm um nichts, denn schließlich wird beiderseitig, von amerikanischer wie auch von russischer Seite, immer wieder davon gesprochen, dass man nicht mehr Gegner, sondern im Grunde genommen Partner sei. Und unter Partnern einen Atomschlag zu postulieren, ist etwas komisch.

Gibt es Parallelen in der amerikanischen und russischen Militärdoktrin?

Es gibt gewisse Parallelen. Man behält sich auf beiden Seiten das Recht vor, Nuklearwaffen einzusetzen, auch bei konventionellen Bedrohungen. Auch der präventive Einsatz von Militärmacht ist in beiden Doktrinen enthalten.

Sie sagten anfangs, Russland empfinde die NATO als Bedrohung, vor allem deren Erweiterung. Warum wird Medwedjews Vorschlag zu einer neuen Sicherheitsarchitektur in Europa nicht unterstützt?

Flaggen Russlands und der NATO (Grafik: DW)
Will sich Russland ein Vetorecht in NATO-Bündnisfragen verschaffen?Bild: AP GraphicsBank/DW

Weil es hier eine ganze Reihe von schwierigen, ungelösten Problemen und Fragen gibt. Ich denke, dass damit die Wirksamkeit der NATO untergraben werden soll. Denn im Zentrum dieses Moskauer Vorschlags steht eine neue internationale Organisation. Die Mitglieder dieser Organisation sollen - gemäß dem Prinzip der unteilbaren Sicherheit - alles vermeiden, was die Sicherheit eines anderen Staates in bedeutender Weise beeinträchtige. Da frage ich mich: Was sind denn das für mögliche Handlungen? Fällt darunter beispielsweise eventuell ein NATO-Beitritt der Ukraine oder Georgiens? Will Russland sich in Bündnisfragen der NATO ein Vetorecht verschaffen? Wie ist es mit der Stationierung amerikanischer Truppen in Staaten, die einst dem Warschauer Pakt angehörten? Ist das auch eine Handlung, die die Sicherheit Russland bedrohen würde? Wie verhält es sich mit der Raketenabwehr, beispielsweise einer NATO-weiten oder aber einer, die für das nationale Territorium der USA wichtig wäre? All diese Dinge könnten als Handlungen interpretiert werden, durch die Russland seine Sicherheit beeinträchtigt sehen könnte. Insofern nützt dann auch diese neue internationale Organisation nichts, solange das grundlegende Problem, nämlich das Misstrauen zwischen Russland und dem Westen weiter besteht.

Das Gespräch führte Nikita Jolkver
Redaktion: Markian Ostaptschuk / Nicole Scherschun