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"NATO spielt im Irak eine wichtige Rolle"

Das Interview führte Michael Knigge.11. April 2006

Vor wenigen Jahren wurde schon über ihr Ende diskutiert. Stattdessen spielt die NATO eine immer wichtigere Rolle. Über ihre Zukunft hat DW-WORLD.DE mit Victoria Nuland, US-Botschafterin bei der NATO, gesprochen.

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Victoria Nuland bei einer Rede vor der mazedonischen RegierungBild: AP

DW-WORLD.DE: Kroatien, Albanien und Mazedonien wollen in weniger als zwei Jahren der NATO-Mitglieder werden. Welche Chancen haben sie Ihrer Meinung nach? Sind sie bereit, im Jahr 2008 Mitglied der Allianz zu werden?

Victoria Nuland: Ich war gerade erst in Kroatien, Mazedonien und Albanien und habe mit den Regierungen, den Parlamenten und den Bürgern gesprochen. Aus unserer Sicht haben sie alle große Fortschritte gemacht, aber keines dieser Länder ist heute bereit, der NATO beizutreten. Jedes der Länder hat Bereiche, wo es noch viel Arbeit vor sich hat. Aber wenn sie sehr hart arbeiten, sind wir sicher, dass sie eine sehr starke Position haben werden, wenn die NATO das nächste Mal überlegt, ob sie neue Mitglieder einlädt. Und das wird im Jahr 2008 sein. Wir arbeiten mit ihnen an vielen Bereichen, um sie zu unterstützen. Und wir begrüßen ihr Streben nach Aufnahme und hoffen, dass sie es schaffen werden.

Die NATO unterstützt auch die Truppen der Afrikanischen Union (AU) in der Krisenregion Darfur. Jetzt ist im Gespräch, dass die UN die Mission von der AU übernehmen soll. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass die UN die Krise lösen kann, scheint gering. Sehen Sie die NATO in einer größeren Rolle in diesem Konflikt?

Zunächst tut die NATO ja schon einiges: Wir haben Truppen der Afrikanischen Union transportiert. Wir haben geholfen, sie auszubilden. Wir haben sie in der Logistik unterstützt. Und ich denke, dass die Afrikanische Union diese Unterstützung zu schätzen weiß. Wie Sie wissen, wird in New York darüber diskutiert, die Vereinten Nationen die Leitung der Mission übernehmen zu lassen, allerdings mit starker Beteiligung der AU. Vergangene Woche hat UN-Generalsekretär Kofi Annan unseren Generalsekretär angerufen und ihn um zwei Dinge gebeten: Annan hat um zusätzliche NATO-Unterstützung für die Afrikanische Union in der Übergangsphase, bis die UN-Truppen da sind, gebeten. Und Annan hat die NATO um Unterstützung bei der Planung der UN-Mission gebeten, damit die Mission so erfolgreich wie möglich wird. Eine der großen Stärken der NATO ist unsere Fähigkeit, Militäroperationen zu planen und zu leiten. Darum hoffe ich - und wir diskutieren im NATO-Hauptquartier gerade darüber - dass die NATO der Bitte folgt und eine stärkere Rolle übernimmt.

Es gibt viele Dinge, die wir tun können: Wir können einige unserer Leute den Truppen der Afrikanischen Union zur Verfügung stellen. Wir können ihnen helfen, ein Operationszentrum einzurichten, um ihren Einsatz effektiver zu machen, ihre Ausrüstung besser zu nutzen und die Koordination zu verbessern. Genauso wie die NATO besteht die Afrikanische Union aus vielen Nationen, und die Zusammenarbeit der Streitkräfte vieler verschiedener Nationen ist nicht so einfach, wie sie scheinen mag. Aber die NATO ist gut darin, darum können wir ihnen helfen, zusammen effektiver zu sein. Und wir hoffen auch, dass wir helfen können, den Einsatz effektiver und stärker zu machen und dass wir den Menschen in Darfur helfen können, Frieden und Stabilität in die Region zu bringen - jetzt wo die Vereinten Nationen unsere Unterstützung bei der Planung begrüßt haben.

Aber Sie gehen nicht davon aus, dass NATO-Truppen vor Ort sein werden.

Wenn wir in der Ausbildung und Betreuung mitarbeiten, werden sicherlich NATO-Truppen vor Ort sein, aber keine Kampftruppen. Ich bin mir nicht sicher, dass das erwünscht wäre. Aber ich denke, dass unsere Unterstützung bei der Ausbildung sehr willkommen ist - bei den UN ebenso wie bei der AU.

Die NATO hat auch eine große Rolle in der Ausbildung von Offizieren im Irak gespielt. Wie wird das in Zukunft aussehen? Wird die NATO auch hier eine noch größere Rolle übernehmen?

Die NATO spielt im Irak bereits eine sehr wichtige Rolle. Und das ist eine wunderbare Sache, wenn man überlegt, wie schwierig das Thema Irak noch vor drei Jahren für die NATO war. Und heute beteiligen sich alle 26 NATO-Verbündeten an der Ausbildungsmission dort. Im vergangenen Jahr haben wir mehr als 2000 irakische Offiziere ausgebildet. Dieses Jahr sollen es sogar 4000 sein. Und die Absolventen unserer Schule spielen im Irak bereits eine wichtige operative Rolle. Ich habe neulich gehört, dass einige von ihnen Einheiten geleitet haben, die halfen, die Gewalt nach den Anschlägen auf die Goldene Moschee von Samarra einzudämmen. Außerdem bilden wir Offiziere aus allen ethnischen Gruppen im Irak aus, so dass multi-ethnische, multi-kulturelle Streitkräfte entstehen. Denn das ist die Zukunft für den Irak und natürlich die Voraussetzung für unseren Rückzug aus dem Irak. Ob wir die Mission ausweiten, hängt meiner Ansicht nach von den Mitgliedsstaaten ab. Ich denke, wir müssen abwarten und sehen, was die neue irakische Regierung will, was der neue irakische Verteidigungsminister will. Aber ich hoffe, dass wir bereit wären zusätzliche Unterstützung zu geben - zusätzliche Angebote, andere Ausbildungskurse - falls die Iraker zu uns kommen und uns um weitere Hilfe bitten, weil es bisher einfach sehr effektiv war.

Die EU will selbst eigene Verteidigungskräfte aufbauen. Wie passt das mit einer künftig stärkeren Rolle der NATO zusammen?

Aus der Sicht der USA können wir umso besser zusammenarbeiten, je stärker die europäischen Streitkräfte werden, je fähiger sie werden, je einfacher es für sie wird, strategische Distanzen zu überwinden. Ob wir in einem NATO-Kontext zusammenarbeiten, ob die EU Einsätze übernimmt, die die NATO oder die USA nicht übernehmen wollten oder wo ihr Einsatz nicht zweckdienlich gewesen wäre, oder ob wir als Koalition der Willigen zusammenarbeiten, wie wir es mit vielen europäischen Ländern im Irak tun. Wir würden die Europäer gern so stark wie möglich sehen. Und ich denke, der Einsatz der EU bei den Wahlen im Kongo wird ein guter Test, weil er zum einen in strategischer Entfernung stattfindet. Zum anderen ist es ein multi-nationaler Einsatz und es werden erhebliche Truppenkontingente benötigt. Wenn die EU diese Art von Einsatz ohne die USA, Kanada oder einige Verbündete bewältigt, wird es sie nur stärker machen, wenn sie mit uns in der NATO zusammen kommt.

Victoria Nuland ist seit Juli 2005 als US-Botschafterin bei der NATO tätig. Bevor Nuland diese Position übernahm, war sie von Juli 2003 bis Mai 2005 stellvertretende Sicherheitsberaterin des US-Vizepräsidenten Dick Cheney und befasste sich vor allem mit Sicherheitsfragen des Nahen und Mittleren Ostens. Sie studierte an der Brown University in Providence (Rhode Island).