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Nazi-Vergangenheit des Verfassungsschutzes

Mathias Bölinger3. Oktober 2013

Das Bundesamt für Verfassungsschutz lässt seine Vergangenheit aufarbeiten. Jetzt hat die Historikerkommission ein Zwischenergebnis vorgelegt. Und das ist vor allem im Vergleich mit anderen Behörden überraschend.

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Der Eingang des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln - Foto: Oliver Berg (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Walter Odewald war ein Mann des Dritten Reiches. Er war SS-Obersturmbannführer und zugleich Mitarbeiter des nationalsozialistischen Geheimdienstes Gestapo. Im besetzten Frankreich war er unter anderem für die Zerstörung des alten Hafenviertels in Marseille verantwortlich. 800 Menschen wurden dabei verhaftet und in Konzentrationslager deportiert.

In der neuen Bundesrepublik konnte Odewald an seine Berufserfahrungen anknüpfen. In den fünfziger Jahren brachte er es bis zum Leiter der Bundesnachrichtenstelle Hannover, der dortigen Niederlassung des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Geschichten von alten Nazis, die in den Institutionen der jungen Bundesrepublik Karriere machten, überraschen in Deutschland schon lange niemanden mehr. Was an dem Fall vielmehr ungewöhnlich ist: Im Bundesamt für Verfassungsschutz scheint Odewald eher die Ausnahme gewesen zu sein. Nach dem Auswärtigen Amt, dem Bundesnachrichtendienst und dem Bundeskriminalamt hat auch das Bundesamt für Verfassungsschutz als Inlandsgeheimdienst eine Kommission mit der Untersuchung ihrer Anfangsjahre von 1950 bis 1975 beauftragt. Ein erstes Zwischenergebnis haben die Historiker Constantin Göschler und Michael Wala von der Ruhr-Universität Bochum jetzt vorgelegt. Sie sehen in der Behörde keinen prägenden Einfluss von einstigen Angehörigen des NS-Sicherheitsapparats.

"Personelle Kontinuität zu NS-Regime ist dünn"

Dem Auswärtigen Amt hatte der Marburger Historiker Eckart Conze vor drei Jahren dagegen eine "hohe personelle Kontinuität mit teils schwer belasteten Diplomaten" attestiert. Im Fall des Bundeskriminalamts fanden die Historiker heraus, dass die leitenden Ebenen der Polizeibehörde Ende der fünfziger Jahre zu zwei Dritteln aus ehemaligen SS-Männern bestanden. Für den Bundesnachrichtendienst (BND) als Auslandsgeheimdienst steht der Abschlussbericht noch aus, aber dass die Organisation gezielt Mitarbeiter aus SS und Geheimdiensten rekrutierte, ist schon lange bekannt.

Die Historiker Michael Wala (rechts) und Constantin Goschler (links) mit Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen in der Bundespressekonferenz in Berlin - Foto: Rainer Jensen (dpa)
Michael Wala (rechts) und Constantin Goschler (links) mit Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg MaaßenBild: picture-alliance/dpa

Im Fall des Verfassungsschutzes kommen die Historiker dagegen zu der Einschätzung, dass die "personelle Kontinuität zu den NS-Geheimdiensten dünn" sei, wie Constantin Göschler formuliert. Der Grund dafür sei vor allem, dass die Alliierten die Personalauswahl der Mitarbeiter streng überwachten. "Eines sollte das neue Bundesamt auf keinen Fall sein: eine neue Gestapo", betont Göschlers Kollege Wala. "Wir finden das in den Diskussionen der Alliierten immer wieder explizit erwähnt."

Eine Mitgliedschaft in der SS oder in der Gestapo war deshalb ein Hinderungsgrund für einen Posten in dem neuen Geheimdienst. Mitarbeiter des Militärgeheimdienstes Abwehr konnten dagegen angestellt werden, so etwa der langjährige Vizepräsident Albert Radke. Ihre Zahl sei aber begrenzt gewesen.

Eine interne Untersuchung aus dem Jahr 1955, die die Forscher verifizieren konnten, kam dann auch zu dem Ergebnis, dass zu dem Zeitpunkt nur ein Mitarbeiter mit Gestapo-Vergangenheit im Amt arbeitete. Der Mann war laut Göschler als Kraftfahrer beschäftigt. Daneben gab es einige Mitarbeiter, die unter falschem Namen im Amt anheuerten.

Schlupflöcher für Altnazis

Auch der SS-Mann Odewald scheiterte zunächst an den Regeln der Alliierten. Doch die Führung des Hauses wollte offenbar nicht auf dessen Fähigkeiten verzichten und beschäftigte ihn als freien Mitarbeiter - ein Schlupfloch, das wohl noch einigen NS-Verbrechern eine Mitarbeit ermöglichte. Als die Kontrolle der Alliierten in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre nachließ, konnten einige von ihnen in Festanstellungen wechseln. So bildeten sich mit Verspätung durchaus einige Nazi-Seilschaften in dem Dienst.

Auch der Gestapo-Mann Odewald sollte damals einen Posten bekommen. Allerdings scheiterte er am Widerstand des Bundesinnenministeriums. Doch dem Vizechef Albert Radke war Odewald offenbar so wichtig, dass er sich eine besonders clevere Lösung ausdachte. Er überredete das niedersächsische Landesamt für Verfassungsschutz, Odewald einzustellen. Von dort wurde er dann an das Bundesamt ausgeliehen. Es gebe den Verdacht, dass die Landesämter Altnazis großzügiger willkommen hießen, sagt Gröscher. Das allerdings ist nicht Teil der Untersuchung.

Ohnehin definieren die Bochumer Historiker ihren Auftrag sehr eng. Sie konzentrieren sich bei ihren Recherchen vor allem auf Mitglieder der nationalsozialistischen Geheimdienste und der SS. Weniger berücksichtigt werden Mitarbeiter, die dem NS-Staat in anderen Funktionen dienten. Dass es solche Mitarbeiter gab, zeigt nicht zuletzt der Fall des langjährigen Verfassungsschutzpräsidenten Hubert Schrübbers. Er musste 1972 seinen Posten räumen, weil er in der NS-Zeit als Richter Unrechtsurteile gefällt hatte. "Wir können nicht einfach von dem ausgehen, was wir heute für nicht akzeptabel halten", rechtfertigt Göschler die Methodik. "Als Historiker müssen wir auch darauf schauen, wie sich die Kriterien für das, was akzeptabel ist, verändert haben."

Hubert Schrübbers 1955 - Foto: dpa
Früherer Verfassungsschutzpräsident Schrübbers: Rücktritt wegen NS-VergangenheitBild: picture-alliance/dpa

Weniger Nazis als in anderen Behörden

Insgesamt, so schätzen Göschler und Wala, habe der Anteil der ehemaligen Mitglieder der Nazipartei NSDAP unter den Führungskräften der neuen Behörde Ende der fünfziger Jahre bei 15 Prozent gelegen. Auch das ist deutlich weniger als in vielen anderen deutschen Behörden. Im Bundeskriminalamt etwa hatten die Historiker unter 47 leitenden Mitarbeitern nur zwei ausmachen können, die keine Nazivergangenheit hatten.

Dem Bundesinnenministerium fiel die Mauschelei in der niedersächsischen Bundesnachrichtenstelle am Ende übrigens doch noch auf. Auf Drängen aus der damaligen Hauptstadt Bonn wurde der SS-Mann beim niedersächsischen Verfassungsschutz entlassen. Das Bundesamt versuchte noch, ihn an den Bundesnachrichtendienst weiterzuvermitteln. Dieser Transfer scheiterte allerdings. Denn ganz unvermittelt war Odewald für die Nachrichtendienste wertlos geworden. Ein westdeutscher Geheimdienstmitarbeiter in Haft in Ostdeutschland hatte ihn enttarnt.