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Netanjahu und der Holocaust

Sabine Kinkartz, Berlin21. Oktober 2015

Wie kann der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern entschärft werden? Um diese Frage sollte es sich eigentlich beim Besuch des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu in Berlin drehen. Doch es kam anders.

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Bundeskanzlerin Merkel trifft Israels Premierminister Netanjahu in Berlin
Bild: Reuters/F. Bensch

Als der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Israel das Flugzeug besteigt, das ihn nach Deutschland bringen soll, ist die Polizei in Berlin bereits im Großeinsatz. Zwei Dutzend Mannschaftswagen der Polizei haben rund um das Bundeskanzleramt Stellung bezogen. An den Straßen sind Absperrgitter aufgestellt. Beamte lassen Sprengstoffhunde das Gelände absuchen. In der Spree, die in der Nähe des Kanzleramts vorbeifließt, sind Polizeitaucher unterwegs.

Schräg gegenüber vom Kanzleramt schwenken bereits gegen 15 Uhr erste Demonstranten eine palästinensische Flagge, eine Stunde später haben sich schon rund 300 Männer und Frauen versammelt. Der Besuch Netanjahus in Berlin findet vor dem Hintergrund einer neuen Welle blutiger Gewalt im Nahen Osten statt. Israel wird von einer Serie palästinensischer Anschläge erschüttert. Die meisten Angreifer wurden von israelischen Sicherheitskräften oder Zivilisten erschossen. Israel und die Palästinenser machen sich gegenseitig für die Gewaltausbrüche verantwortlich.

Polizisten sollen sich schämen

"Es ist eine Schande, dass Angela Merkel den Massenmörder Netanjahu empfängt", empört sich Leyla, die in Berlin hinter einem der Absperrgitter Position bezogen hat und gegen den Besuch protestiert. Die 30-Jährige hat eine deutsche Mutter und einen palästinensischen Vater und lebt in Berlin. Vor ihr hängt ein Plakat, darauf steht in großen Buchstaben: "551 palästinensische Kinder wurden im Sommer 2014 von Israel ermordet". "Er ist hier nicht willkommen", ergänzt Ghazi, der neben Leyla steht. Für die Palästinenser sei Netanjahu ein "großer Verbrecher", wie alle anderen Verantwortlichen in Israel auch. "Israel schimpft über Deutschland wegen der Nazi-Zeit, aber was Israel mit den Palästinensern tut, das sind die gleichen Gräueltaten."

Deutschland Proteste von Palästinensern vor Besuch von Netanjahu in Berlin
Palästinensische Demonstranten in BerlinBild: Getty Images/C. Koall

Ein weiterer Demonstrant redet lautstark auf die Polizisten an, die aufgereiht an der Straße stehen. Ob sie von der Behauptung Netanjahu gehört hätten, Hitler sei durch einen Palästinenser zum Massenmord an den Juden aufgestachelt worden? "Ja, was denn noch? Wo sind wir denn hier?" Die Polizisten sollten sich schämen, einen solchen Mann zu schützen.

Pfiffe und Buhrufe

Am Dienstag hatte der israelische Regierungschef vor dem Zionistischen Weltkongress gesagt, der NS-Diktator Adolf Hitler habe die Juden "damals nicht auslöschen", sondern "ausweisen" wollen. Der damalige Großmufti von Jerusalem, Hadsch Amin al-Husseini, habe bei einem Treffen mit Hitler aber gesagt, dann kämen die Juden aus Europa "alle hierhin" - in das damalige britische Mandatsgebiet Palästina. Auf die Frage Hitlers, was er mit den Juden machen solle, habe der Großmufti geantwortet: "verbrennen."

"Mein Ziel war es nicht, Hitler freizusprechen", sagte Netanjahu kurz vor seinem Abflug nach Deutschland. Vielmehr habe er damit zeigen wollen, dass schon damals von palästinensischer Seite "eine systematische Kampagne der Aufstachelung zur Vernichtung der Juden" betrieben worden sei. Dies setze sich heute fort. In Berlin erntet Netanjahu dafür von den palästinensischen Demonstranten gellende Pfiffe und Buhrufe, als seine schwer gesicherte Wagenkolonne um 18.30 Uhr schließlich vor dem Kanzleramt vorfährt.

Merkel widerspricht

Natürlich ist die Aussage über den Holocaust auch Thema bei der Pressekonferenz, die Angela Merkel und Benjamin Netanjahu noch vor ihrem bei einem Abendessen geplanten Gespräch geben. Was sie davon halte, wird die Kanzlerin von einem israelischen Journalisten gefragt. "Wir kennen die Verantwortung der Nationalsozialisten für den Zivilisationsbruch der Shoah und stehen zur deutschen Verantwortung für den Holocaust", sagt Merkel. "Deswegen sehen wir für uns keinen Grund, unser Geschichtsbild in dieser Frage zu ändern."

Benjamin Netanjahu beeindruckt das nur wenig. Hitler sei verantwortlich für den Holocaust und die Vernichtung von sechs Millionen Juden, das sei allen klar. "Niemand sollte das abstreiten." Doch dann führt er erneut den Großmufti ins Feld. "Aber niemand sollte auch eine andere wichtige Tatsache leugnen, nämlich dass der Mufti den Nazis gesagt hat, sie sollten verhindern, dass die Juden aus Europa fliehen." Dafür gebe es ausreichend Beweise. "Er hat darauf gedrungen, dass man die Endlösung möglichst schnell vorantreibt."

Diplomatischer Balanceakt

Der Großmufti sei ein Kriegsverbrecher gewesen, so Netanjahu. "Er ist ein Mann, der mit den Nazis kollaboriert hat." Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas müsse sich fragen lassen, warum der Großmufti von Jerusalem als palästinensische Ikone hochgehalten werde. Es grenze an Lüge und Hetze, wenn der Großmufti in den Schulen als Vater der Nation dargestellt und glorifiziert werde. "Hetze führt zu weiterem Terror. Wenn wir Frieden wollen, muss der Terror beendet werden. Wenn wir den Terror beenden wollen, müssen wir die Hetze beenden. Abbas muss aufhören Lügen zu verbreiten."

Deutschland Berlin Adolf Hitler Großmufti von Jerusalem Amin al Husseini
Adolf Hitler mit dem Großmufti von JerusalemBild: picture-alliance/dpa/akg-images

Wenn Merkel in diesem Moment darüber nachdenkt, dass auch Netanjahu den Nahost-Konflikt immer weiter anheizt, dann lässt sie sich das nicht anmerken. Ihre Kritik an Israel bringt sie offiziell – wie stets – nur vorsichtig dosiert und um Ausgleich bemüht an. "Wir wünschen uns, dass alle Seiten zur Deeskalation der Lage beitragen", sagt die Kanzlerin und fügt gleich an, dass Israel natürlich die Verpflichtung habe, seine eigenen Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Aber: "Bei den Sicherheitsmaßnahmen sollte allerdings auch das Gebot der Verhältnismäßigkeit immer eine Rolle spielen."

Kontroverse Meinungen

Die Sicherheit und die Existenz Israels seien Teil der deutschen Staatsräson, wiederholt Merkel. Gerade in diesen Tagen werde bewusst, wie sehr dafür immer wieder gearbeitet werden müsse. "Wir glauben, dass es wichtig wäre, den israelisch-palästinensischen Konflikt zu lösen und glauben nach wie vor, dass eine Zwei-Staaten-Lösung hierfür der beste Weg ist." Daher sei der Siedlungs-Bau "kontraproduktiv". "Wir haben uns darüber oft schon kontrovers ausgetauscht", sagt Merkel an Netanjahu gewandt. "Ich glaube an dieser Kontroverse hat sich nichts geändert."

Das wissen die palästinensischen Demonstranten vor dem Kanzleramt nur zu genau. Sie machen sich keine Illusionen darüber, dass der Besuch in Deutschland etwas an der Politik Netanjahus gegenüber den Palästinensern ändern wird. Das Programm des israelischen Gastes geht dennoch weiter. Nach der Bundeskanzlerin wird er am Donnerstag Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier treffen und auch US-Außenminister John Kerry.