1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Zarte Parasiten" im Kino

9. September 2010

Im letzten Jahr vertrat der Film "Zarte Parasiten" Deutschland beim Festival in Venedig. Das war damals eine große Überraschung. Was sagen die Regisseure Oliver Schwabe und Christian Becker über ihre gemeinsame Arbeit?

https://p.dw.com/p/P6DU
Junger Mann und ältere Frau - Szene aus "Zarte Parasiten" (Foto: dpa)
Jakob (Robert Stadlober) und Claudia (Corinna Kirchhoff)Bild: picture-alliance/dpa

Jakob und Manu leben in einem Zelt im Wald. Sie haben sich ihre ungewöhnliche Unterkunft freiwillig ausgesucht, sie wollen keinen festen Wohnsitz. Nur manchmal gehen sie zu anderen Menschen, übernachten auch dort. Jakob zum Beispiel hat sich ein Paar ausgesucht, das den Sohn verloren hat. Zeitweise nimmt Jakob nun diesen Platz ein. Manu versorgt eine ältere Frau, besucht sie regelmäßig. Beiden geht es um mehr als nur die Unterkunft, beide suchen auch Freundschaften, Geborgenheit. So ist auch der Titel des Films von Oliver Schwabe und Christian Becker, "Zarte Parasiten", zu verstehen. Die Deutsche Welle traf die Regisseure zum Gespräch.

DW.WORLD.DE: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Pärchen in den Mittelpunkt Ihres Films zu stellen, das sich bei anderen Menschen einnistet?

Oliver Schwabe: Wir sind an Geschichten interessiert, die sich mit Menschen beschäftigen, die außerhalb der Gesellschaft stehen. Wir haben immer das Bild von dem Fluss im Kopf, der fließt. Wenn man in dem Strom mitfließt, ist man mittendrin und kann nicht genau auf das achten, was um einen herum passiert. Aber wenn man am Ufer sitzt und den Fluss vorbei ziehen sieht, dann kann man sich diesen Fluss auch anschauen und gucken, was in dem Fluss passiert. Dieses Interesse an Figuren, die außerhalb der Gesellschaft sind, dass ist unser Antrieb überhaupt Filme zu machen.

Oliver Schwabe und Christian Becker (Foto: dpa)
Oliver Schwabe und Christian BeckerBild: picture-alliance

In diesem Falle hatten wir die Idee von diesem Pärchen. Wir haben recherchiert und haben eine Geschichte entdeckt von einem Paar, das tatsächlich im Wald gewohnt hat, in der Nähe von Leipzig. Aber nicht, weil es irgendwelche Naturliebhaber waren, sondern die wollten bewusst diese Situation so haben, bewusst dort leben. Sie sind aber auch in die Stadt gegangen. Sie sind zur Uni gegangen. Die sind sich duschen gegangen. Aber die wollten irgendwie aussteigen und ihr eigenes Ding drehen.

Sie haben das Drehbuch gemeinsam geschrieben und Regie geführt. Wie funktioniert da der Wechsel vom Schreiben zum Regieführen?

Christian Becker: Das ist der zweite Spielfilm, den wir gemeinsam gemacht, das Drehbuch geschrieben und Regie geführt haben. Das ist unglaublich spannend. Schreiben und Drehen sind natürlich sehr unterschiedliche Dinge. Wenn man den Film schon drei-, vier-, zehnmal durchdacht hat, wird man beim Dreh plötzlich mit ganz anderen Sachen konfrontiert – wenn die Schauspieler dazukommen, wenn die Bilder dazukommen. Dialogeschreiben ist das eine, wenn dann die Schauspieler dazukommen, merkt man, dass das Drehbuch, wie wir es geschrieben haben, mehr oder weniger reduziert wird. Man merkt, dass es viel zu viele Informationen enthält.

Junges Pärchen vor Strandkulisse - Szene aus "Zarte Parasiten" (Foto: Filmlichter)
Manu und JakobBild: Filmlichter

Das Drehen selbst ist ja die kürzeste Zeit beim Filmemachen. Das sind sechs Wochen, in denen man komprimiert irgendwie alles erreichen muss, was man sich gedacht und gewünscht hat. Und dann ist der Spuk wieder vorbei. Im Grunde ist es einfach eine wunderbare Zeit, weil bestimmte Dinge auch zufällig passieren, in der Zusammenarbeit mit den Schauspielern, die sich einbringen. Natürlich auch mit dem ganzen Team.

Wie muss man sich die Zusammenarbeit konkret vorstellen? Regieduos gibt es nicht gerade häufig.

Oliver Schwabe: Auch wir selbst waren überrascht, wie harmonisch und konstruktiv unsere Zusammenarbeit war. Wir hatten ja schon einen gemeinsamen Film gemacht. Das war aber schon wieder fünf Jahre her. Natürlich ist man gespannt, wie klappt dass beim Drehen, in der Realität? Man hat sich alles vorher gut ausgedacht, ist gut vorbereitet. Aber es war extrem erfreulich. Die Gefahr besteht ja immer, dass man, wenn man zu zweit ist, Kompromisse eingeht. Das ist eigentlich das Schlimmste. Wenn man den anderen nicht ärgern will, oder nicht widersprechen will. Wenn die Situation gerade nicht geeignet dafür ist, man aber eigentlich widersprechen müsste. Das war für mich das schönste und erfreulichste Geschenk, dass wir keine Kompromisse gemacht haben. Und trotzdem uns immer noch super verstehen.

Ist es richtig wenn man sagt, Sie haben einen Film über die Sehnsucht nach Familie gemacht?

Oliver Schwabe: Unsere beiden Protagonisten betätigen sich als "menschliche Dienstleister". Sie besetzen Leerstellen, die sie in der Gesellschaft sehen. Also die Manu ist bei einer älteren Frau und hilft ihr. Nicht nur beim Einkaufen. Sie gibt ihr menschliche Wärme. Was die alte Dame auch schätzt und sogar dafür bezahlt. Und Jakob kommt in einer Familie unter, wo der Sohn verstorben ist. Er "ersetzt" diesen und gibt so der Familie die Möglichkeit die Trauerarbeit abzuschließen. Dabei entdeckt er bei sich selbst eine bedingungslose Liebe, die er vielleicht bisher noch nicht kannte.

Junger Mann und älterer Mann sitzend vor Garagentor - Szene aus "Zarte Parasiten" (Foto: Filmlichter)
Jakob mit seinem "Ersatzvater" MartinBild: Filmlichter

Wir haben deswegen die Familie auch sehr "hermetisch" dargestellt, das Paar, das in seiner Trauer fast zu Grunde geht. Das haben wir auch so inszeniert. Es ist ja sehr steif, vielleicht auch spießig. Wir wollten also nicht sagen, dass Familie das Ziel ist, was alle erreichen müssen. Es ist eher eine Option, die interessant sein kann. Wir haben uns da viele Gedanken gemacht. Wir wollten keinen Pro-Familien Film drehen. Da ist wirklich eine Liebe bei Jakob, ein Vertrauen, das er vorher noch nicht erlebt hat. Darum ging es uns.

Das Gespräch führte Jochen Kürten

Redaktion: Petra Lambeck