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Gesellschaft

Netzaktivisten warnen vor Anschlussverlust

Nina Haase
29. Dezember 2017

Bei Europas größtem Hackerkongress, dem Chaos Communication Congress (CCC), wächst seit Jahren die Teilnehmerzahl - auf etwa 15.000 in diesem Jahr. Die Tickets waren schnell ausverkauft. Nina Haase hat sich umgesehen.

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Chaos Computer Club in Leipzig - CCC 2017
Bild: Getty Images/J. Schlueter

Tosender Applaus brandet auf in dem bis auf den letzten Platz gefüllten Messesaal, als auf der Leinwand Edward Snowden erscheint. In einem Videochat wirbt der berühmteste Whistleblower der Welt bei den Leipziger Kongressbesuchern für Unterstützung – nicht für sich, sondern für seine "Guardian angels" wie er sie nennt, sieben Flüchtlinge aus Sri Lanka und den Philippinen, die Snowden nach seiner Flucht aus den USA in Hong Kong Unterschlupf gewährten, ihn nicht verrieten und deswegen immer noch erhebliche Schwierigkeiten mit den Behörden haben.

Menschen, die sich mit dem etablierten System anlegten, machten sich Feinde, so Snowden. Eine gewisse Grundskepsis sei aber wichtig. Gerade deswegen wendet er sich mit seinem Anliegen an die in Leipzig versammelte europäische Hacker-Community. Denn auch für Hacker wie ihn und die Anwesenden gelte: "Wir wollen nicht, dass man uns sagt, was wir zu tun haben. Alle Regeln sollten hinterfragt, jede Umsetzung sollte überprüft werden." Er schließt seine halbstündige Rede mit den Worten "Danke, dass ihr skeptisch seid."

Schutz für Nutzer, nicht für Unternehmen

Eine skeptische Begleitung des technologischen Fortschritts und das Anstoßen gesellschaftlicher Debatten zum Thema Informationsfreiheit – das zeichnet den Chaos Computer Club seit seiner Gründung in den 80er Jahren aus. "Wir reden darüber, dass wir Technik nicht blind vertrauen dürfen, dass wir einen Datenschutz brauchen, dass wir die Nutzer schützen müssen, nicht die Unternehmen, und dass wir dahingehen müssen, dass wir eine lebenswerte Gesellschaft schaffen," beschreibt CCC-Sprecher Falk Garbsch die Ziele des Clubs im DW-Interview.

Leipzig Chaos Communication Congress Falk Garbsch
CCC-Sprecher Falk Garbsch im DW-InterviewBild: DW/N. Haase

Das atmet auch der jährliche Kongress: Die 34. Ausgabe des Chaos Communication Congress, oder 34C3, ist längst viel mehr als ein Treffen von Technik-Nerds. In den Podiumsdiskussionen und den Workshops beim viertägigen 34C3 (27.-30.12.) in der Leipziger Messe geht es um Themen wie "Social Bots, Fake News und Filterblasen", "Wie riskant ist die Software, die wir nutzen?" oder "Lobby-Schlacht um die ePrivacy-Verordnung".

Technische Lösung für Falschnachrichten? Fehlanzeige!

Andere Vorträge befassen sich mit dem höchst umstrittenen Sozialkreditsystem in China oder den leicht zu hackenden Ladestationen von Elektroautos. Auch bei den eher technischeren Veranstaltungen verfolge der CCC immer ein Ziel, so Sprecher Falk Garbsch: "Wir müssen schnell dahinkommen, dass wir sagen, dass wir keine technische Entwicklung durchlaufen, sondern eine gesellschaftliche und dass wir den Anschluss nicht verlieren dürfen."

Bei Debatten wie derjenigen über sogenannte "Fake News" und darüber, welche Informationen durch Unternehmen verbreitet werden sollen und welche gefiltert werden, werde zum Beispiel vergessen, "dass es keine technische Lösung geben kann." Im Internet verbreiteten sich Informationen eben besonders schnell. "Und wir müssen lernen, mit diesen Informationen umzugehen und sie auch zu prüfen", so Garbsch. Dafür sei in Deutschland eine viel größere Investition in die Vermittlung von Medienkompetenz bereits an Schulen und Universitäten nötig.

Leipzig Chaos Communication Congress
Datenschutz wird auf dem Kongress ernst genommenBild: DW/N. Haase

Die Schärfung des Bewusstseins der Nutzer ist das eine. Im Bereich Künstliche Intelligenz brauche es vor allem bessere Regularien, betonte Netzaktivist Markus Beckedahl in seinem Vortrag, "um zu schauen, wie kriegen wir eine Nachvollziehbarkeit und eine demokratische Kontrolle von dem hin, wie Algorithmen eingesetzt werden", so der Chefredakteur des Blogs netzpolitik.org. Denn Künstliche Intelligenz habe massive Fortschritte gemacht und werde in sensiblen Bereichen eingesetzt. "Es ist ein weites Feld: Gesundheitsalgorithmen muss man anders regulieren als Facebook-Algorithmen", so Beckedahl.

Spiel und Vernetzung

Bei aller kritischen Impulsgabe ist der Chaos Communication Congress ein Paradies für Technikfans. Die große Mehrheit der Kongressbesucher ist jung und männlich. Man hört unter anderem Spanisch, Englisch und Niederländisch.

Viele Besucher flitzen auf Tretrollern durch die Hallen, das Szene-Getränk Club Mate in der Hand. Aber auch Familien mit Kinderwagen schieben sich vorbei an den tüftelnden Kabelzauberern, die sich in den dunklen Hallen an langen Tischen gegenseitig bei der Programmierung von blinkenden Skateboards unterstützen. Rentner lassen ihre Finger durch einen mit Stroboskop angeleuchteten Wasserstrahl laufen.

Leipzig Chaos Communication Congress
Marco Gaib (l.) und Jasch sind freiwillige Helfer Bild: DW/N. Haase

Um Erstteilnehmern den Einstieg zu erleichtern, gibt es die "Chaospat*innen", freiwillige Mentoren, die den manchmal etwas scheuen Technikbegeisterten bei der Kontaktaufnahme mit anderen Kongressteilnehmern helfen. Marco Gaib oder "Linny", wie er sich nennt, ist schon viele Jahre als Mentor dabei. Für ihn stehen die spontanen Begegnungen mit Gleichgesinnten im Mittelpunkt. Und die Kreativität der Teilnehmer: Die vorhandenen Dect-Telefone habe man kurzerhand in einen Live-Dolmetscher-Dienst verwandelt, um die Vorträge einem mehrsprachigen Publikum zugänglich zu machen.

Gelebter Datenschutz

Dass alle Veranstaltungen gestreamt werden können, ist auch Freiwilligen wie dem 21-jährigen Jasch zu verdanken, der zum ersten Mal teilnimmt und als Toningenieur im Einsatz ist. Auch er hat sein Ticket bezahlt. Obwohl er beim Kongress arbeitet.

Dass Jasch seinen vollen Namen nicht nennen möchte, ist hier nichts Außergewöhnliches. Beim 34C3 herrscht Einvernehmen darüber, dass jeder und jede selbst entscheiden können muss, was er oder sie an privaten Angaben weitergeben möchte. Selbst das Fotografieren von Menschenmengen ist ausdrücklich nur nach Nachfrage erlaubt. Darauf achten die Organisatoren peinlich genau. Datenschutz ist hier eben keine Theorie.

Nina Haase Trobridge
Nina Haase Chief Political Correspondent@NinaHaase