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"Neue Ära" und Schatten der Vergangenheit

Srinivas Mazumdaru16. Mai 2014

Narendra Modi und seine BJP sind die klaren Sieger der indischen Parlamentswahlen. Modi, der als Macher und Modernisierer gilt, will eine neue Ära Indiens einleiten, ist aber mit schwerem historischem Gepäck belastet.

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Narendra Modi zeigt umgeben von Menschen seinen mit Tinte gefärbten Finger (Foto: Uni Photo-2U)
Bild: UNI

27. Februar 2002 im westindischen Bundesstaat Gujarat: In einem Zug mit hinduistischen Pilgern bricht unter bis heute ungeklärten Umständen ein Feuer aus. 58 Pilger kommen ums Leben. Dieser Vorfall, zusammen mit Berichten, dass aufgeputschte Muslime das Feuer gelegt hätten, löste eine der schlimmsten Gewaltorgien in der jüngeren Geschichte Indiens aus: Bei den anschließenden Unruhen kamen nach offiziellen Angaben 254 Hindus und 790 Muslime ums Leben, Tausende wurden verletzt. Diese anti-muslimischen Pogrome beschädigten das Image Narendra Modis, der seit 2001 Ministerpräsident in Gujarat war, nachhaltig. Immer wieder ist ihm seither vorgeworfen worden, er habe nicht eingegriffen, um die Gewalt zu stoppen.

"Hindu-Nationalist"

Modi stammt aus einer Mittelschicht-Familie und studierte an der Universität von Gujarat Politikwissenschaft. Viele Jahre lang propagierte er anschließend für die radikale hindu-nationalistische Basisorganisation RSS die "Hindutva"-Ideologie einer Hinduisierung Indiens, bevor er Ende der achtziger Jahre in die rechtskonservative hindu-nationalistische "Indische Volkspartei" (BJP) eintrat. Nach seinem Aufstieg innerhalb der Partei wurde Modi 2001 in Gujarat zum Regierungschef gewählt - nur wenige Monate, bevor die Gewalt zwischen Hindus und Muslimen ausbrach.

Anti-muslimischer Extremist vor Feuern im Hintergrund (Foto: dpa)
Modi tue zu wenig, um anti-muslimische Fanatiker zu stoppen, sagen KritikerBild: picture-alliance/dpa

Menschenrechtsgruppen werfen seiner Regierung seither vor, sie habe nicht nur versäumt, die Minderheiten zu schützen, sondern durch ihre Tatenlosigkeit den blutigen Ausschreitungen sogar Vorschub geleistet. Politische Gegner und Nichtregierungsorganisationen benutzten diese Vorwürfe, um Modi als "Anti-Muslim" oder "Hindu-Nationalist" abzustempeln und machten ihn so zu einem der umstrittensten Politiker in Indien. Modi selber wies stets alle Beschuldigungen von sich. Seine Anhänger behaupten, er sei unfair behandelt und schlecht gemacht worden.

Ein Untersuchungsausschuss des Obersten Verfassungsgerichts Indiens sprach Modi zwar von jeglichem Fehlverhalten frei, erinnert sich Milan Vaishnav, Südasien-Experte bei der US-Stiftung "Carnegie Endowment for International Peace". "Doch der Freispruch reichte nicht aus, um seine Kritiker zum Schweigen zu bringen. Sie geben ihm bis heute die Schuld an der Eskalation der religiösen Unruhen im Jahr 2002."

Wirtschaftliche Erfolge

Auch Modis Regierungsstil ist kontrovers und hat in den vergangen zehn Jahren häufig starke Reaktionen hervorgerufen. Gegner kritisieren ihn als "autoritär". Anhänger halten ihn jedoch für "entschlussfreudig" und loben seine wirtschaftlichen Erfolge. Tatsächlich machte der umstrittene "Chief Minister" Gujarat zu einem der am schnellsten wachsenden Bundesstaaten und bescherte ihm zeitweise zweistellige Wachstumsraten. "Modi hat viele einheimische und ausländische Investoren nach Gujarat geholt", sagt Jagdish Baghwati, Wirtschaftsprofessor an der New Yorker Columbia Universität. "Er bietet ihnen eine korruptionsfreie Umgebung und ist bekannt für seine schnellen Entscheidungen, wenn es um Investitions- und Produktionslizenzen geht. In fast allen anderen indischen Bundesstaaten ist die Situation aufgrund bürokratischer Verzögerungen vergleichsweise erbärmlich."

Solarpark in Gujarat (Foto: AFP/Getty Images)
Solaranlage in Gujarat, eines von Modis "grünen" VorzeigeprojektenBild: SAM PANTHAKY/AFP/Getty Images

Gujarat verzeichnete zwischen 2000 und 2013 Direkt-Investitionen im Wert von rund 8,8 Milliarden US-Dollar. Das entspricht knapp vier Prozent der gesamten Auslandsinvestitionen in Indien in diesem Zeitraum, so die offiziellen Zahlen. Dieses Wirtschaftswachstum sei jedoch nicht der sozialen Entwicklung Gujarats zugute gekommen, wenden Kritiker ein. Modi habe sich ausschließlich auf den Ausbau der äußerlichen Infrastruktur konzentriert und dabei Bildung und Gesundheit außer Acht gelassen. Der Wirtschaftsfachmann Bhagwati ist anderer Ansicht: "Modi hat durchaus einen bemerkenswerten Beitrag geleistet, wenn es um soziale Indikatoren wie Armutsbekämpfung oder Alphabetisierungsrate geht. Außerdem hat er viele Dörfer ans Stromnetz angeschlossen."

Im Zeitraum 2011 bis 2012 wuchs das Bruttoinlandsprodukt Gujarats um 8,5 Prozent, während Indiens Wirtschaft im Ganzen lediglich um fünf bis sechs Prozent zulegte. Die anhaltende starke Wirtschaftsleistung hat dazu beigetragen, das Image des BJP-Politikers im ganzen Land zu verbessern.

Außenpolitisch belastet

Kurz vor Bekanntgabe der Ergebnisse der Parlamentswahlen wiesen Nachwahlbefragungen auf einen Erdrutschsieg für Modis BJP hin. Seine Botschaft vom machbaren wirtschaftlichen Wiederaufschwung Indiens hat offenbar viele Wähler überzeugt, nicht länger auf die von Korruptionsskandalen geplagte Kongresspartei zu setzen.

Protest von Hindu-Nationalisten vor US Botschaft in Neu Delhi (Foto: Reuters)
Auch Obama wird auf die Hindu-Nationalisten zugehen müssenBild: Reuters

Mit dem Wahlsieg der BJP oder einer Koalition unter ihrer Führung stehen die westlichen Staaten, allen voran die USA, vor einer kniffligen Situation. Nach den Unruhen im Jahr 2002 hatten viele, darunter Deutschland, Großbritannien und die USA, ihre Verbindungen zu Modi abgebrochen und ihm die Einreise in ihre Länder untersagt. Der US-Kongress erließ 2005 sogar eine Resolution, die den "Chief Minister" aufgrund seiner Rolle bei den Unruhen verurteilte und ihm vorwarf, "Nazi-Ideologie" und "Rassenhass" zu verbreiten.

In den vergangenen Jahren haben verschiedene Länder ihren Boykott des BJP-Führers aufgegeben. Die Vereinigten Staaten, die Modi im Jahr 2005 das Visum entzogen hatten, sind allerdings bis heute bei ihren Restriktionen geblieben. Dennoch habe auch Washington keine andere Wahl, als sich auf einen Regierungschef Modi einzulassen, meint Südasien-Exprte Milan Vaishnav von der Carnegie Foundation in Washington. "Die Regierung unter Barak Obama wird in diesem Fall pragmatisch vorgehen, angesichts der wachsenden wirtschaftlichen, diplomatischen und sicherheitspolitischen Verbindungen zwischen Indien und den Vereinigten Staaten."