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Neue Fronten auf dem Golan

Kersten Knipp30. Januar 2015

Nach Jahren haben Israel und die libanesische Hisbollah sich wieder tödliche Gefechte geliefert. Inzwischen herrscht wieder Ruhe im Grenzgebiet. Doch es bleibt die Angst vor einer Eskalation.

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UNIFIL-Soldaten an der Grenze zwischen Israel und Libanon (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/A. Taher

Am Tag nach den Kämpfen kehrte im Südlibanon und auf dem Golan wieder der Alltag ein. Am Berg Hermon hatten sogar die Skilifte wieder geöffnet. Am Mittwoch noch waren hier Hubschrauber und Kampfflugzeuge am Himmel zu sehen. Bei einem Angriff der Hisbollah waren zwei israelische Soldaten gestorben, die israelische Luftwaffe bombardierte Ziele im Südlibanon. Die Angst vor einer erneuten Eskalation jedoch bleibt. Denn die Erinnerung an den Libanonkrieg von 2006 ist noch wach in der Region.

33 Tage hatten sich Israel und der bewaffnete Arm der libanesischen Hisbollah im Juli und August 2006 bekämpft. Am Ende zogen beide Parteien aus dem Krieg die gleiche Konsequenz: Es ist besser, wenn man sich nicht miteinander anlegt - denn am Ende bluten beide. Tatsächlich hatte das Kräftemessen im Sommer 2006 einen hohen Blutzoll gefordert. Im Libanon verloren knapp 1200 Menschen ihr Leben, knapp 4500 wurden verletzt. Auf israelischer Seite starben rund 160 Menschen, 1100 weitere trugen teils schwere Verletzungen davon. Für den jüdischen Staat war das eine unerwartet hohe Opferzahl.

Nach dem Krieg blieb es abgesehen von kleineren Scharmützeln lange Zeit still an der Grenze. Insbesondere nach Beginn der arabischen Aufstände von 2011 galt sie als einer der ruhigsten im aufgepeitschten Nahen Osten überhaupt.

Dschihadisten auf dem Golan

Unter der Hand aber gärte es weiter. Seit dem Frühjahr 2011 wurde Syrien zu einem Schlachtfeld, auf dem zunehmend auch ausländische Akteure mitmischten. Sunnitische Dschihadisten, aber auch die Kämpfer der schiitischen Hisbollah, die auf Seiten des Regimes von Baschar al-Assad stehen. Im Verlauf des Krieges wurde es dann auch im Gebiet des israelisch besetzten Golan unruhig: Im November 2012 drangen mehrere syrische Panzer in die Pufferzone zwischen Syrien und Israel ein. Der Vorstoß galt allerdings nicht Israel, sondern Kämpfern der Anti-Assad-Koalition.

Eine ganz andere Gefahr ging hingegen von dschihadistischen Gruppen auf dem Golan aus. So etwa von der Al-Nusra-Front. Sie brachte im August 2014 auf syrischem Gebiet nahe der Grenze 72 UN-Blauhelmsoldaten in ihre Gewalt, ließ sie nach knapp zwei Wochen aber wieder frei.

Das Vorrücken der Hisbollah

Begräbnis von Jihad Mughniyed in Beirut (Foto: AFP)
Begräbnis von Jihad Mughniyed in BeirutBild: J. Eid/AFP/Getty Images

Gleichzeitig drang aber auch die Hisbollah immer weiter in Richtung Golan vor. Im März 2014 wurden israelische Soldaten von syrischem Gebiet aus beschossen. Einige Tage später übernahm Hisbollah-Chef Nasrallah die Verantwortung für den Angriff.

In dieser latent angespannten Atmosphäre startete Israel vor knapp zwei Wochen einen Angriff auf einen Hisbollah-Stützpunkt. Sechs Personen wurden getötet, darunter Jihad Mughniyed, der Sohn des hochrangigen, 2008 getöteten Hisbollah-Kommandanten Imaf Mughniyed. Auch ein Befehlshaber der ebenfalls auf Seiten Assads kämpfenden iranischen Revolutionsgarden kam ums Leben. Das waren, aus Sicht beider Gegner, sehr hochrangige Ziele.

Der Krieg als wahltaktisches Manöver?

Doch warum griff Israel just zu diesem Zeitpunkt an? Die israelische Tageszeitung "Haaretz" äußert den Verdacht, die Aktion stehe in Zusammenhang mit der Parlamentswahl am 17 März. Sie zitierte einen im Ruhestand lebenden Armee-Kommandanten, der bereits in früheren Fällen einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Kriegen und Wahlterminen wahrgenommen haben will: "Aus früheren Vorfällen kann man den Schluss ziehen, dass der Zeitpunkt [solcher Angriffe] nicht völlig losgelöst von den Wahlen besteht."

Israelischer Soldat an der Grenze zum Libanon (Foto: Reuters)
In Bereitschaft: ein israelischer Soldat an der Grenze zum LibanonBild: Reuters/B. Ratner

Berufen kann sich Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu freilich auf die Bedrohung, die von der Hisbollah und mehr noch ihrem Sponsor, der Islamischen Republik Iran, ausgeht. Die iranischen Revolutionsgarden würden muslimische Kämpfer solange unterstützen, "bis dieser Inbegriff des Bösen aus der Geopolitik der Region vollständig verschwunden ist", erklärte ein Kommandant der Revolutionsgarden einen Tag nach dem israelischen Angriff.

Auflösung der syrisch-libanesischen Grenze

Mindestens ebenso wie das verbale Dauerfeuer aus Teheran dürfte Israel etwas anderes beunruhigen: Der Angriff am Mittwoch dieser Woche, bei dem zwei israelische Soldaten ums Leben kamen, erfolgte aus zwei verschiedenen Stellungen - eine auf syrischem, die andere auf libanesischem Gebiet. In anderen Worten: Internationale Grenzen verlieren auch in Israels unmittelbarer Nachbarschaft an Bedeutung. Hatte die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) die Grenze zwischen Syrien und dem Irak praktisch aufgehoben, zeigen sich jetzt vergleichbare Phänomene im syrisch-libanesischen Grenzgebiet. Völlig offen ist, wie der Staatszerfall aufgefüllt werden soll - und von wem.

Und noch eine Frage stellt sich: Was wollte und will die Hisbollah auf dem Golan? Die israelische Zeitung "Jerusalem Post" fürchtet, Iran und die Hisbollah könnten dort eine neue Basis errichten, von wo aus sie Israel in Zukunft angreifen könnten.

Die Rolle der USA

Das aber wäre allenfalls ein langfristiges Szenario. Denn derzeit sind Iran und mehr noch Hisbollah vollauf damit beschäftigt, den "Islamischen Staat" und andere sunnitische Terrorgruppen zu bekämpfen. Die nämlich haben bereits gezeigt, dass sie für sämtliche Schiiten eine tödliche Gefahr sind. IS hat in Syrien und im Irak riesige Ländereien erobert und dort ein "Kalifat" errichtet. Die Hoffnung Irans und der Hisbollah, Staatschef Assad unbeschadet an der Macht über ganz Syrien zu halten, hat sich damit zerschlagen. Das räumte Nasrallah auch in einem Presse-Interview ein. Zwar warnte er Israel zugleich, seine Organisation verfüge über ein weit größeres und technisch höher entwickeltes Waffenarsenal als noch 2006. Doch an einer zweiten Front dürfte er kein Interesse haben. Auch würde ein neuer Krieg gegen Israel zumindest zu großen Teilen auf libanesischem Boden stattfinden. Das dürfte der "Partei Gottes" weitere Sympathien kosten. Ihren Ruf als "Widerstandskraft gegen den Zionismus" dürfte sie auf diese Weise kaum aufpolieren.

Ein syrischer Panzer in der Pufferzone zwischen Israel und Syrien (Foto: Reuters)
Ein syrischer Panzer in der Pufferzone am GolanBild: Reuters

Zugleich dürfte eine Eskalation im Kampf gegen Israel auch vom Iran momentan nicht gewollt sein. Denn derzeit nähern sich Teheran und Washington vorsichtig einander an. Die beiden Staaten einen zwei Interessen: eine Einigung bei den Atomverhandlungen. Und der Kampf gegen den sunnitischen Dschihadismus. Diese Annäherung nimmt Israel mit Sorge zur Kenntnis. Doch sollte Iran auf dem Golan tatsächlich einen größeren oder kleineren Feldzug gegen Israel vorbereiten, dürften in Washington die Alarmglocken klingeln. Die aber dürfte derzeit aber auch das Regime in Teheran nicht hören wollen.