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Neue Gewalt nach Urteil in Dhaka

Grahame Lucas1. März 2013

Der späte Versuch Bangladeschs, den Unabhängigkeitskrieg aufzuarbeiten, spaltet die Gesellschaft. Im Fokus der gewalttätigen Auseinandersetzungen steht der Kriegsverbrecherprozess.

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Demonstranten und Polizisten auf einer Sraße in Chittagong (Foto:Reuters)
Bild: Reuters

Am Freitag (01.03.2013) kamen landesweit erneut zahlreiche Menschen ums Leben, als es nach dem Freitagsgebet zu neuen Ausschreitungen zwischen Islamisten und der Polizei kam. Die Nachrichtenagentur AFP spricht von insgesamt 53 Toten seit Beginn der Ausschreitungen. Andere Quellen sprechen von 37 Toten, zahlreiche weitere wurden verletzt.

Die jüngste Gewaltwelle wurde durch eine dritte Verurteilung im Kriegsverbrecherprozess in Dhaka ausgelöst. Über ein Verbot der Jamaat-e-Islami-Partei wird unterdessen parlamentarisch beraten. Die Partei ist politische Heimat der meisten Angeklagten im Kriegsverbrecherprozess und außerdem Drahtzieherin hinter den Demonstrationen gegen das Verfahren.

Im DW-Gespräch erklärte Mahbubul Alam Haolader, er sei über den aktuellen Schuldspruch erleichtert. Haolader war Kämpfer im Unabhängigkeitskrieg von 1971 und ist nun Nebenkläger im Prozess gegen Delwar Hossain Sayedee von der Jamaat-e-Islami. "Die damalige pakistanische Regierung trägt zwar die Hauptverantwortung für die ethnische Säuberung von Minderheiten, Vergewaltigungen und anderen Gräueltaten", sagt Haolader, "aber ohne die tatkräftige Unterstützung von Jamaat-e-Islami hätte man die Opfer nicht so einfach aussuchen können. Die Parteimitglieder haben auch selber an diesem Kriegsverbrechen teilgenommen." In der Tat sollen damals viele von ihnen als Mitglieder von pro-pakistanischen Milizen gegen die Aufständischen gekämpft haben.

"Schauprozess"

Brennender Bus und Radfahrer in Bangladesch (Foto: Getty Images)
Die Flammen um den Kriegsverbrecherprozess schlagen hochBild: AFP/Getty Images

Die Anhänger der Islamisten wollen solche vernichtenden Aussagen nicht wahrhaben. Sie fordern seit Wochen die sofortige Einstellung des Verfahrens, das den Befreiungskrieg 1971 aufarbeiten soll, und liefern sich blutige Kämpfe mit der Polizei. Sie sehen den Prozess, der 2010 begann, nicht als Aufarbeitung der Vergangenheit, sondern als eine Schauveranstaltung der Premierministerin Sheikh Hasina. Ihr gehe es, so der Vorwurf, nicht um Gerechtigkeit, sondern um eine Abrechnung mit den politischen Gegnern - und zwar möglichst vor den nächsten Parlamentswahlen, die spätestens Ende 2013 abgehalten werden. Auch die Gegner der Islamisten halten Großdemonstrationen ab und fordern die Todesstrafe für alle Angeklagten.

In Dhaka zweifelt inzwischen niemand an der Entschlossenheit Hasinas, den sogenannten internationalen Kriegsverbrecherprozess durchzuziehen. Auf die Kritik westlicher Menschenrechtsorganisationen hat die Regierung bislang nicht reagiert. Die Frage, ob nach 40 Jahren die Beweise für ein sauberes und faires Verfahren ausreichen, spielt für die Regierung keine Rolle. Hinter Sheikh Hasina steht immerhin der größte Teil der Öffentlichkeit, die Rache für die Bluttaten aus der Geburtsstunde des Landes fordert und den Abschluss dieses Kapitels der Geschichte des Landes herbeisehnt.

Regierung zeigt Entschlossenheit

Baumstämme versperren eine Straße in Bangladesch (Foto: Getty Images)
Die Aufarbeitung der Vergangenheit könnte das Land in die Sackgasse führenBild: AFP/Getty Images

Das Kabinett Hasinas hat seinen Willen, den Prozess zum Abschluss zu bringen, jüngst unterstrichen. Es brachte eine Gesetzesvorlage ins Parlament, die ein verkürztes Revisionsverfahren vorsieht. Damit wäre der Weg für die schnelle Hinrichtung der zum Tode Verurteilten frei. Gemäßigte islamische Parteien unterstützen diesen Regierungskurs und distanzieren sich von Jamaat-e-Islami. Acht islamische Parteien haben unlängst ein Bündnis gegründet. Mujibur Rahman Hamidi, einer der Anführer, sagte der DW: "Auch wir verlangen die Verurteilung von Kriegsverbrechern, ganz egal welcher Partei sie angehören. Wenn Jamaat-e-Islami rechtmäßig verboten würde, hätten auch wir nichts dagegen."

Wunden der Vergangenheit

Eigentlich sollte der Kriegsverbrecherprozess die Geschehnisse im Lande im Jahre 1971 aufarbeiten und die Wunden heilen. Dafür gibt es Grund genug: Der damalige Volksaufstand gegen die pakistanischen Herrscher in Westpakistan kostete schätzungsweise drei Millionen Menschen im damaligen Ostpakistan das Leben. Etwa 200.000 Frauen sollen vergewaltigt worden sein. Ausgelöst wurde der Befreiungskrieg durch die Ankündigung der Regierung in Islamabad, Urdu zur einzigen Amtsprache zu erklären. Für die Aufständischen ging es um die nationale Identität, die eng mit der bengalischen Sprache verknüpft ist. Nach neun Monaten wurde Bangladesch als unabhängiges Land ausgerufen und international anerkannt. Die Aufständischen von damals sind noch die Nationalhelden von heute. Nicht umsonst wird der Tag der Muttersprache in Bangladesch jedes Jahr groß gefeiert. Inzwischen hat die UNESCO den Tag weltweit als internationalen Tag der Muttersprache anerkannt.

Bangladeschis feiern den Tag der Muttersprache (Foto: AP)
Bangladeschis feiern den Tag der Muttersprache. Nicht zuletzt um die eigene Sprache ging es bei der Loslösung von Pakistan 1971Bild: picture-alliance/AP

Herkulesaufgabe Vergangenheitsbewältigung

Beobachter bezweifeln, dass ein Verfahren mit erheblichen juristischen Defiziten und rasch vollstreckten Todesurteilen geeignet ist, die politischen Gräben in Bangladesch zuzuschütten. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass die nächste Regierung des Landes, wenn sie vom heutigen Oppositionsbündnis der Nationalisten und Islamisten gebildet wird, das Verfahren einfach einstellt. Beide Möglichkeiten bergen die Gefahr, dass die Aufarbeitung der Geschichte des Landes scheitern könnte.