1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Neue Hürden für den deutschen Pass

27. Juni 2019

Auf dem Weg zum deutschen Pass gelten neue Regeln. Die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts zielt vor allem auf Terrorkämpfer, Vielehen und Identitätstäuscher ab. Änderungen und Reaktionen im Überblick.

https://p.dw.com/p/3LCLz
Deutscher Reisepass
Bild: Imago/STPP

1. Deutsche, die im Ausland an Kampfhandlungen für eine Terrormiliz beteiligt waren, sollen in Zukunft den deutschen Pass verlieren, wenn sie noch eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen.

Nach Ansicht der Bundesregierung zeige jemand, der sich zum Beispiel dem Islamischen Staat anschließt, "dass er sich von Deutschland und seinen grundlegenden Werten abgewandt hat". Mit der Reform will die Große Koalition Ausreisewillige in IS-Gebiete wie auch IS-Unterstützer mit Doppelpass abschrecken.

Die sogenannte "Verlustregelung" setzt eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag um, bezieht sich ausdrücklich auf Kampfhandlungen in der Zukunft, kann nicht rückwirkend angewendet werden und gilt auch nicht bei Minderjährigen. Aufgeschreckt durch die hohe Zahl deutscher Staatsangehöriger, die sich in der Vergangenheit der Terrororganisation angeschlossen hatten, wollte die Bundesregierung zunächst nur diesen Passus im Staatsbürgerschaftsrecht ändern.

Stephan Thomae
Stephan Thomae, FDPBild: Monika Rohlmann

Vorbild waren Großbritannien und Australien, wo bereits jetzt Dschihadisten der Pass abgenommen werden kann. Stephan Thomae, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP, warnt allerdings "vor einem Wettlauf der Staaten, welcher die eigene Staatsangehörigkeit zuerst aberkennt und sich damit aus der Verantwortung stiehlt".

Filiz Polat, Sprecherin für Migrations- und Integrationspolitik bei den Grünen, fürchtet Probleme bei der Strafverfolgung: "Völkerrechtsverbrechen und schwere Menschenrechtsverletzungen von deutschen IS-Kämpfer könnten so ungesühnt bleiben". Das Staatsangehörigkeitsrecht sei auch nicht der richtige Rahmen für solche Taten, sondern "das internationale Völkerstrafrecht oder das deutsche Strafrecht".

2. Mit mehr als einer verheirateten Person verheiratete Ausländer werden vom Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft ausgeschlossen.

Polygamie, also die Verheiratung mit mehreren Partnern, ist in Deutschland verboten. Das neue Gesetz will Mehrehen durch die Hintertür vermeiden - also dass Menschen eingebürgert werden, die im Ausland mehrfach geheiratet haben.

Thorsten Frei MdB CDU
Thorsten Frei, CDUBild: DW/Anila Shuka

"Das Normalste von der Welt" ist dieser neue Passus für den stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion, Thorsten Frei. "Wenn, wie im Fall einer Mehrehe, ein ganz konkreter Hinweis darauf vorliegt, dass keine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse erfolgt ist, dann kann es keinen deutschen Pass geben."

Bundestag - Linda Teuteberg FDP
Linda Teuteberg, FDPBild: picture-alliance/dpa/C. Soeder

Auch Linda Teuteberg, Generalsekretärin der FDP, sieht die Mehrehe mit den Werten der deutschen Gesellschaft als nicht vereinbar an: "Offenheit darf nicht mit Beliebigkeit verwechselt werden." Die Kritik von Daniel Thym, Jura-Professor und Experte für Migrationsrecht in Konstanz, richtet sich dagegen, dass der Gesetzgeber Probleme wie die Mehrehe, von der es nur wenige Fälle gebe, zu "etwas aufbauscht, das die Gesellschaft spaltet".

3. Behörden können eine Einbürgerung statt fünf Jahre noch zehn Jahre lang zurücknehmen, wenn falsche oder unvollständige Angaben gemacht wurden.

Nach Schätzungen der Polizei konnte im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 weniger als jeder dritte Asylsuchende einen Reisepass vorlegen. Bei Stichproben ab 2016 in einigen Bundesländern wurden zahlreiche gefälschte Pässe entdeckt. Manche Flüchtlinge gaben sich in den vergangenen Jahren als Syrer aus, um eine bessere Bleibeperspektive zu haben.

"Diese Fristverlängerung ist nicht durchdacht", moniert FDP-Politiker Stephan Thomae trotzdem, denn wer die deutsche Staatsbürgerschaft beantrage, lebe seit mindestens acht Jahren in Deutschland. Außerdem kritisiert der stellvertretende Fraktionsvorsitzende: "Jemandem, der sich gut integriert hat, eine so grundlegende Position wie die Staatsangehörigkeit zu entziehen, ist unverhältnismäßig."

Bundestag - Filiz Polat - Bündnis 90/Die Grünen
Filiz Polat, Bündnis 90/Die GrünenBild: picture-alliance/dpa/B. v. Jutrczenka

Filiz Polat von den Grünen geht noch weiter: "Neben den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Verdoppelung der Frist ist es ein unzumutbares und desintegratives Signal für die Eingebürgerten. Zehn Jahre lang sind alle Eingebürgerten nur noch Deutsche unter Vorbehalt."

4. Die Einbürgerung wird auch von der "Einordnung in deutsche Lebensverhältnisse" abhängig gemacht.

Bisher bekamen Ausländerinnen und Ausländer einen deutschen Pass, wenn sie einen mindestens acht Jahre langen legalen Aufenthalt, ausreichende Sprachkenntnisse und einen gesicherten Lebensunterhalt nachweisen konnten. Die neue Zusatzanforderung wurde in Bezug auf die Vielehe formuliert, lässt aber viel Spielraum für Spekulationen.

"Diese Formulierung signalisiert einen eindeutigen Schritt rückwärts", kritisiert Tarik Tabbara, Professor für Öffentliches Recht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Sie erinnere "an die Regelungen der 1950er Jahre, bei denen Einbürgerungen immer nur im Ausnahmefall stattfinden sollten, wenn es im Interesse des Staates war und nicht ein Anspruch der Betroffenen".

Tarik Tabbara, Professor für Öffentliches Recht
Jurist Tarik Tabbala, Professor für Öffentliches RechtBild: Maurice Weiss

Der Jurist sieht schon jetzt "einen relativ großen Spielraum für die Behörden in Einwanderungsfragen". Die Formulierung der Einordnung in deutsche Lebensverhältnisse sei "einfach ein deutliches Signal und das werden die Ämter auch so verstehen". Für Tabbara ist die Reform "mehr als nur ein kleiner Federstrich, der im Staatsangehörigkeitsrecht gemacht wird". Es zeige sogar "einen gewissen Geist restriktiver Politik".

Auch Aziz Bozkurt, Bundesvorsitzender der AG Migration und Vielfalt in der SPD, kann die Hereinnahme dieses Passus nicht nachvollziehen und bezeichnet ihn als "Leitkultur-Paragrafen, der zur aktuellen Stimmungslage, getrieben von Rechtspopulisten, passt". Deutschland müsse im Gegenteil die sehr hohen Hürden für die Einwanderung abbauen und nennt das Beispiel Kanada: "Das ist ein Einwanderungsland, in dem man schon nach drei Jahren die Staatsangehörigkeit bekommen kann."

Aziz Bozkurt
Azis Bozkurt, SPDBild: privat

Auch den Zeitpunkt der Gesetzänderung kurz vor der Sommerpause hält Bozkurt für problematisch: "Es gibt da einige Politiker, welche die Diskussion scheuen und das Gesetz so durchpeitschen." Dies sei auch schon beim "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" von Bundesinnenminister Horst Seehofer der Fall gewesen. "Das ist schon sehr auffällig und tut der demokratischen Kultur nicht gut", sagt der SPD-Politiker.

Daniel Thym zeigt sich dagegen überrascht von der heftigen Diskussion über das Gesetz. "Hier geht es nicht um eine grundsätzliche Neuausrichtung der Einwanderungspolitik", analysiert der Jurist, "da werden Schreckgespenster an die Wand gemalt, die in der bisherigen Praxis keine Grundlage finden". Die Beamten hätten eben kein Ermessen: "Die 'Einordnung in deutsche Lebensverhältnisse' ist vollumfänglich gerichtlich überprüfbar."

Daniel Thym, Mitglied des Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration
Jurist Daniel Thym von der Universität KonstanzBild: DW/D. Bellut

Der Experte für Migrationsrecht mahnt, die neuen Regelungen richtig einzuordnen, und lobt explizit die "sensible" Arbeit der Großen Koalition auf diesem Gebiet: "Sie geht sehr sachlich, konzentriert und unaufgeregt an dieses Thema heran, damit es eben nicht im öffentlichen Diskurs zum Beispiel von der AfD missbraucht werden kann." Thyms Fazit zur Reform des Staatsbürgerschaftsrechts: "Viel Aufhebens um nichts!"

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur