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Politik

Neue Koalition in Rom steht

3. September 2019

Die Regierungskrise in Italien sei vorbei, meint der Chef der populistischen 5 Sterne, Luigi Di Maio. Seine Bewegung hat mit fast 80 Prozent "Ja" zur Ehe mit den Sozialdemokraten gesagt. Aus Rom Bernd Riegert.

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Italien | Luigi Di Maio
Parteichef Di Maio (M.) gibt das klare "Ja" seiner Bewegung zur Koalition bekanntBild: picture-alliance/ZUMAPRESS/R. Monaldo

Der Versuch der bisher verfeindeten Bewegung 5 Sterne und der Sozialdemokraten, in Italien eine den Parteifarben folgende gelb-rote Koalition zu schließen, ist gut für den italienischen Staatshaushalt. Die Anleger vertrauen offenbar darauf, dass das neueste Experiment der turbulenten italienischen Politik besser gelingt als die vor einigen Wochen gescheiterte Zusammenarbeit mit der rechtsradikalen Lega.

Die Preise für italienische Staatsanleihen sinken. Der stark überschuldete Staat kann sich billiger Geld leihen. Der Risikoaufschlag, genannt "spread", ist im Vergleich zu deutschen Staatsanleihen am Montag auf 1,58 Prozent gefallen, der niedrigste Wert seit März 2018, als die letzten Parlamentswahlen stattfanden.

Dass das Experiment, eine Koalition zwischen der selbst erklärten "Anti-Partei" 5 Sterne und den Sozialdemokraten, einer etablierten Kraft in der italienischen Politik, überhaupt starten kann, dafür haben jetzt die Mitglieder der 5 Sterne in einer umstrittenen Online-Abstimmung gesorgt.

Nach Angaben der privaten Firma "Rousseau Association" haben sich 79.000 von 117.000 stimmberechtigten 5-Sterne-Mitgliedern an der Abstimmung an diesem Dienstag beteiligt. 79,3 Prozent sagten "Ja" zur politischen Ehe mit den einst scharf kritisierten Sozialdemokraten, die in den Augen der Sterne-Anhänger für das "alte" politische System standen.

Screenshot | vote.rousseau.movimento5stelle.it
Abstimmungsmaschine Rousseau: Ein privater Server dient der Basis-Demokratie à la 5 SterneBild: www.vote.rousseau.movimento5stelle.it

Rousseau im digitalen Zeitalter

Die Abstimmungsplattform "Rousseau", benannt nach einem französischen Philosophen, der sich für direkte Demokratie einsetzte, steht in der Kritik, weil nicht offen gelegt ist, wie sie genau funktioniert und wer sie beaufsichtigt. Die Internetfirma gehört Davide Casaleggio. Der Unternehmer ist der Sohn des Mitbegründers der 5 Sterne, Gianfranco Casaleggio.

Die graue Eminenz der 5 Sterne, der Komiker Beppe Grillo, hat in seinem Blog, der auch auf Rousseau veröffentlicht wird, für eine Teilnahme an der Abstimmung geworben. "Macht mit, erweist Italien einen Dienst", schrieb Grillo.

In der Führung der 5-Sterne-Bewegung hatte sich die Ansicht durchgesetzt, dass nur durch eine Koalition mit den kleineren Sozialdemokraten Neuwahlen und damit die Machtübernahme durch die rechtsradikale Lega verhindert werden könne.

Der Chef der Lega, Matteo Salvini, hatte die Koalition platzen lassen und auf schnelle Neuwahlen spekuliert, die er nach aktuellen Umfragen gewonnen hätte. Doch die unerwartete gelb-rote Koalition, die die "verrückte Sommerkrise" – so italienische Zeitungen – beenden soll, machte Matteo Salvini einen Strich durch die Rechnung. Salvini reagierte trotzig und sagte, er habe Zeit, das Scheitern dieser neuen Koalition abzuwarten. "Ich bin glücklich, dass die Lega nicht Teil dieses Theaters ist", sagte Salvini am Dienstag.

Italien Regierungsbildung Schaulustige vor dem Palazzo Chigi in Rom
Warten auf die neue Regierung: Schaulustige vor dem Palazzo Chigi in RomBild: DW/B. Riegert

Regierung soll Mittwoch vorgestellt werden

Im Palazzo Chigi, dem Amtssitz des Ministerpräsidenten in der historischen Altstadt von Rom, verhandelte Premier Giuseppe Conte den ganzen Tag über mit Sozialdemokraten und 5 Sternen über das Regierungsprogramm und die Liste der Minister.

Es ist heiß in diesen ersten Septembertagen. Die großen Fensterflügel im ersten Stock des Palazzo sind weit geöffnet, um ein wenig Luft hereinzulassen. Die Stadt ist voller Touristen. Sie strömen am Palazzo Chigi vorbei. Einige halten kurz an, was drinnen vor sich geht, verstehen nur wenige. An den Absperrgittern harren nur wenige Römer mit ihren Einkaufstüten aus. "Das wird nicht lange gutgehen", meint ein Passant. "Die Sozialisten und die Sterne haben doch nichts gemein."

Italien | Guiseppe Conte
Kurz vor dem Ziel: Premier Conte will sein zweites Kabinett dem Staatspräsidenten präsentierenBild: Getty Images/S. Gallup

Das Regierungsprogramm soll EU-freundlicher werden als der bisherige populistische Kurs. Es reicht von einer Senkung der Mehrwertsteuer über eine Grundrente bis zu einer Lockerung der strikten Flüchtlingspolitik. Die 5 Sterne hatten das Programm bereits im Internet veröffentlicht.

Die Sozialdemokraten reagierten beleidigt. "Es handelt sich nur um einen Entwurf. Wir arbeiten noch daran", meinte der Chef des "Partito Democratico", Nicola Zingaretti. Unklar ist auch noch, welche Partei welches Ministeramt bekommen wird und was Luigi Di Maio in Zukunft macht. Di Maio ist der politische Kopf der 5 Sterne und war bislang stellvertretender Regierungschef.

Am Mittwoch will der parteilose Premier Conte sein zweites Kabinett dem Staatspräsidenten Sergio Mattarella präsentieren. Wenn dieser zustimmt, könnte die gelb-rote Regierung noch am gleichen Tag vereidigt werden und sich Ende der Woche einer Vertrauensabstimmung im Parlament stellen. Es wäre das 66. Kabinett in Rom seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.    

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union