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Neue Milliardenrisiken für VW

Rolf Wenkel mit Agenturen
29. Juni 2017

Rund 4000 Klagen enttäuschter VW-Kunden sind nach Konzernangaben allein in Deutschland anhängig, Rechtsdienstleister bereiten im Namen von 30.000 Kunden weitere Klagen vor - VW muss an vielen Fronten kämpfen.

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VW Volkswagen Tiguan TDI
Bild: Imago/Steinach

Am Landgericht Braunschweig hat am Donnerstag die mündliche Verhandlung über die Klage eines VW-Kunden begonnen, der von dem Unternehmen den Kaufpreis seines Diesel-Modells Eos-Coupé erstattet haben will. Brisanz erhält dieser Fall, von denen derzeit mehrere Tausend verhandelt werden, weil die Anwälte der US-Kanzlei Hausfeld die Aussetzung des Verfahrens beantragt haben. Sie wollen damit erreichen, dass für die Entscheidung wesentliche Fragen vorher vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) geklärt werden. Ein EuGH-Urteil wäre für alle Gerichte in der EU bindend. 

Für die Anwälte wird der Fall so zu einer Art Musterklage, die auch für große Aufmerksamkeit sorgen soll. In einem weiteren Antrag fordern sie Einsicht in möglicherweise brisante Unterlagen. Volkswagen soll interne Mails, Sitzungsprotokolle und Mitschriften von Zeugenaussagen vorlegen. Weil auch das Gericht in dem Verfahren eine grundlegende Bedeutung sieht, wird nicht vor einem Richter, sondern in Kammerbesetzung vor drei Richtern verhandelt.

Neue Klagen im September

Nach VW-Angaben sind in Deutschland knapp 4000 zivilrechtliche Verfahren gegen Volkswagen und VW-Händler anhängig. Bei der Internetplattform "myright.de", die von Hausfeld vor Gericht vertreten wird, liegen nach Angaben der Anwälte rund 30 000 weitere deutsche Fälle vor. Laut Hausfeld soll die Klage in diesen Fällen im September eingereicht werden. Entscheidend für die Argumentation der Anwälte im Braunschweiger Fall ist die Frage, ob die von VW ausgestellte Bescheinigung zum Übereinstimmen mit der Typgenehmigung korrekt ist. Der Käufer habe sich auf die Richtigkeit verlassen. Diese Angaben seien aber falsch gewesen.

Auch aus den Niederlanden droht dem VW-Konzern Ungemach: Eine niederländische Stiftung droht mit einer milliardenschweren Forderung notfalls vor Gericht zu gehen. Die "Stichting Volkswagen Car Claim" will notfalls für 180.000 Autofahrer in den Niederlanden vier bis 4,5 Milliarden Euro vor Gericht fordern, sagte Vorstandsmitglied Guido Van Woerkom der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).

Nochmal vier Milliarden?

Sie begründet den angedrohten Milliardenanspruch damit, dass der Käufer beim Erwerb getäuscht worden sei. Er müsse daher vom Kaufvertrag entbunden werden und das Auto gegen Kaufpreiserstattung zurückgeben können. Bei angenommenen durchschnittlich 25.000 Euro und 180.000 betroffenen Fahrzeugen in den Niederlanden ergäbe sich ein Betrag von 4,5 Milliarden Euro.

Diese Drohung aus den Niederlanden sei durchaus ernst zu nehmen, schreibt die FAZ:. "Stiftungen dort haben mehr rechtliche Durchschlagskraft und sind gefürchtet, weil sie - anders als nach deutschem Recht - gesammelt Feststellungen durch ein Gericht beantragen können. Dies erleichtert die Beweisführung und die Begründung der Forderungen immens."

Steigende Erfolgsaussichten

Zivilklagen von Autobesitzern gegen VW haben seit vergangener Woche ohnehin mehr Erfolgsaussichten. Erstmals hat der Konzern am vergangenen Freitag darauf verzichtet, gegen Urteile zugunsten geschädigter Diesel-Kunden in Berufung zu gehen. Dies werde aber "eine Ausnahme bleiben", ließ der Autokonzern wissen. Zuvor hatte die Düsseldorfer Kanzlei Rogert & Ulbrich mitgeteilt, drei Urteile in erster Instanz seien damit rechtskräftig. Erstmals seit Aufdeckung des Skandals würden Betroffene entschädigt und könnten ihr Fahrzeug zurückgeben. Verbraucherschützer sehen darin eine "richtungsweisende Entscheidung".

Unabhängig davon wolle sich das Unternehmen "weiterhin in jedem Einzelfall gegen ungerechtfertigte Kundenklagen verteidigen und - soweit erforderlich - auch auf das Rechtsmittel der Berufung zurückgreifen", ließ der Konzern am vergangenen Freitag wissen. Nach seinen Angaben sind von den knapp 4000 anhängigen Verfahren in rund 350 Fällen erstinstanzliche Urteile gesprochen worden, wobei laut VW drei Viertel zugunsten des Unternehmens ausgefallen sein sollen - die Zahl der getroffenen Vergleiche sei "gering".

Klagen "ungerechtfertigt"?

Wer als Besitzer eines manipulierten Autos klagt, hat nach Ansicht von Verbraucherschützern gute Chancen. Immer häufiger würden Gerichte zugunsten von VW-Kunden urteilen. Der Konzern hat dagegen bekräftigt, sich weiterhin gegen "ungerechtfertigte Kundenklagen" zu wehren. Alle betroffenen Fahrzeuge seien "technisch sicher und fahrbereit", erklärt das Unternehmen immer wieder. Sie könnten uneingeschränkt im Straßenverkehr genutzt und ohne Restwerteinbußen verkauft werden.

Auch in dem anderen großen Komplex der Klagen gegen VW - den der Aktienbesitzer, die sich getäuscht fühlen - gibt es Bewegung. Ein US-Bundesgericht in Kalifornien hat zumindest einige Forderungen von Investoren im Zuge des Dieselskandals bei Volkswagen zugelassen. Der zuständige Richter Charles Breyer teilte am Mittwoch in einem 18-seitigen Schreiben mit, dass er Ansprüche gegenüber dem deutschen Auto-Hersteller und seinem damaligen Chef Martin Winterkorn zulasse, die im Zusammenhang mit mutmaßlich falschen Angaben zur Finanzsituation stünden, allerdings nur nach Mai 2014. Die Investoren, überwiegend Pensionsfonds, werfen dem Wolfsburger Dax-Konzern vor, die Märkte nicht rechtzeitig genug informiert und die Finanzsituation geschönt dargestellt zu haben.