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Neuer Börsenstern am Firmament von Shanghai

Mischa Ehrhardt mit Reuters
22. Juli 2019

Seit heute steht der "Star Market" Anlegern in China offen. Er soll ein Pendant zur Technologiebörse Nasdaq werden. Der Start geriet fulminant, dennoch raten Beobachter zur Vorsicht.

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China Eröffnung des Star Market Segments an der Börse von Shanghai
Bild: Reuters/Stringer

Ein Markt für die besonderen Sternchen unter den Unternehmen soll es sein - oder besser: werden. In Shanghai startete am Montag die Technologiebörse "Star Market". Im Prinzip soll das ein Pendant zur großen Technologiebörse Nasdaq in New York sein. Angesprochen werden sollen vor allem Unternehmen aus Zukunftsbranchen in China; Firmen also, die sich beispielsweise zu den Internetpionieren zählen, Computerchips herstellen, an Künstlicher Intelligenz forschen oder an potenziell zukunftsweisenden biotechnologischen Projekten arbeiten.

Der Auftakt geriet jedenfalls fulminant: 25 Unternehmen aus Branchen Halbleiter oder Medizintechnik, die zusammen auf einen Börsenwert von umgerechnet knapp 40 Milliarden Euro kommen, waren zunächst am Start. Der Kursgewinn am ersten Handelstag betrug durchschnittlich 140 Prozent.

Überflieger war der Halbleiter-Hersteller Anji, dessen Papiere 400 Prozent über ihrem Ausgabepreis schlossen. Damit übertrifft der Kurs den Gewinn je Aktie um das 242-fache. Im US-Index Nasdaq liegt das sogenannte Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV) derzeit bei etwa 24 und im deutschen Technologie-Index TecDax bei rund 28. 

"Die Kurssprünge sind verrückter als wir erwartet hatten", sagte Stephen Huang, Manager beim Vermögensverwalter Shanghai See Truth. "Das sind gute Unternehmen, aber die Bewertungen sind zu hoch. Es ergibt keinen Sinn, sie im Augenblick zu kaufen." Er rate dazu, die Entwicklung mindestens einen Monat zu beobachten und erst dann eine Kaufentscheidung zu treffen.

Die Spreu vom Weizen trennen

Unterscheiden wird sich dieser Markt aber nicht nur inhaltlich von der klassischen Shanghaier Börse. Es wird hier auch mehr Freiheiten geben als an anderen Handelsplätzen Chinas. So wird der Ausgabepreis von Aktien allein durch Angebot und Nachfrage bestimmt - und nicht durch staatliche Vorgaben beeinflusst. Auch der Zeitpunkt und die Größe der Emissionen, mit denen die Unternehmen an diese Börse gehen wollen, bleibt ihnen überlassen.

Überdies werden die Kurse der Börsenneulinge in den ersten fünf Tagen nach ihrem Börsengang komplett freigegeben. Danach werden Schwankungen bis zu 20 Prozent toleriert, bis der Börsenbetreiber einschreitet und Aktien vom Handel zeitweise aussetzen kann. Bei anderen staatlichen Börsen Chinas liegt diese Grenze bereits bei zehn Prozent. "Das wird zu Anfang wohl starke Schwankungen geben", meint der Kapitalmarktexperte Chris Zwermann von Zwermann Financials. "In den ersten Wochen wird dann wohl aussortiert, die Spreu vom Weizen getrennt. Nach einiger Zeit kann das dann aber auch stabil laufen."

Zwermann geht davon aus, dass diese Form der Anlaufphase ein bis zwei Jahre dauern könnte. In dieser Zeit würden vermutlich einige Unternehmen den Sprung an den neuen Markt wagen und einige dann auch wieder ausscheiden. 

Shanghai Börse Archiv 2004
Handelssaal der Börse Shanghai, hier eine Aufnahme aus dem Jahr 2004Bild: picture alliance/AP Photo

Vorbild Alibaba und Co.

Die hohen Einstandskurse wiederum sind Folge der immensen Nachfrage nach den Pionieren an der neuen Börse. Unter chinesischen Kleinanlegern übertraf die Nachfrage nach den Anteilsscheinen der Star-Market-Konzerne das Angebot Angaben zufolge um das 1700-Fache.

Damit scheint eine Mission schon einmal geglückt zu sein: Privates Kapital in Branchen und Unternehmen zu leiten, die die Regierung in Peking als zentral für Wachstum und globalen wirtschaftlichen Einfluss betrachtet: Der Star Market ist ein Baustein auf dem Weg Chinas mit dem Ziel, in entscheidenden Industrien in den kommenden Jahren Weltmarktführer zu werden.

Hintergrund ist wohl auch die Tatsache, dass chinesische Internet-Giganten wie Alibaba, JD.com oder die chinesische Suchmaschine Baidu den Sprung an die Börse erfolgreich geschafft und dabei Milliarden an Dollar eingesammelt haben. Nur: Das haben sie an der Wall Street getan. Und dieser Weg ist für kleinere Unternehmen zu kompliziert und teuer.

So haben chinesische Firmen nun also die Möglichkeit, vergleichsweise unkompliziert an das Geld von - überwiegend privaten - Anlegern zu kommen. Denn noch etwas wird die das chinesische Pendant von seinem Vorbild Nasdaq unterscheiden: Während in New York überwiegend Profianleger und institutionelle Investoren unterwegs sind, wird der Star Market wohl um einiges bunter sein. Vermutlich werden viele Privatanleger hier ihr Glück versuchen.

Erinnerungen an den "Neuen Markt"

"Viele Kleinanleger kaufen Aktien aufgrund von Empfehlungen in Sozialen Medien, ohne zu wissen, was diese Unternehmen tun", warnt Terence Lin, Chef der Investmentbank World Financial. Deswegen werde nach Ansicht von Experten der Erfolg oder Misserfolg von Star Market davon abhängen, ob auch chinesische Großkonzerne ihre Aktien über diesen Börsenplatz werden handeln lassen.

"Grundsätzlich finde ich das Projekt eine gute Idee", meint Chris Zwermann. "Denn je freier an der Börse gehandelt wird, desto besser ist es doch." Allerdings erinnern ihn die prognostizierten starken Schwankungen und hohen Börsenbewertungen auch ein wenig an die Zeiten des "Neuen Marktes".

Um die Jahrtausendwende feierten alle möglichen Unternehmen, die irgendwo im Namen oder im Kleingedruckten das Wort Internet trugen, ihr Börsendebüt in dem damals neu geschaffenen Marktsegment. Die Kurse hoben ab, bis die Blase Anfang der 2000er Jahre zerplatzte. Viele, vor allem Privatanleger, hatten damals eine Menge Geld verloren. Man darf hoffen, dass chinesischen Privatanlegern diese Erfahrung am Star Market erspart bleibt.