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Neuer Glanz für Deutschland

Baha Güngör24. September 2002

Eines der wichtigsten Ergebnisse der Wahl ist, dass es keinen Rechtsruck gegeben hat. Damit hat die Wahl das Ansehen Deutschlands in der Welt steigen lassen - meint Baha Güngör in seinem Kommentar.

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Mit dieser Bundestagswahl hat das Deutschlandbild im Ausland an neuem Glanz gewonnen. Die in manchen Ländern verbreitete Auffassung, Deutschland stehe vor einem Rechtsruck, hat sich nicht bewahrheitet. Der Wahlausgang bestätigt eine klare Absage an Rechtsextremismus. Damit korrigiert es das Bild Deutschlands in den ausländischen Medien, die das Land gerne und oft als vom Krebsgeschwür eines neu aufflammenden Nationalsozialismus befallen darstellen. Am deutlichsten bekamen die liberale FDP und ihr Partei-Vize Jürgen Möllemann zu spüren, dass mit anti-semitischen Ressentiments kein politischer Boden zu gewinnen ist.

"Ausländer raus"-Parolen halfen rechtsextremen Parteien nicht. Sie blieben allesamt marginal - so marginal, wie sie in funktionierenden Demokratien akzeptiert werden können: spürbar unter der 1-Prozent-Marke. Die deutschen Wähler haben sich nicht beirren lassen von Slogans, mit denen eine Verbindung zwischen der hohen Arbeitslosigkeit und der wachsenden Zahl von Zuwanderern hergestellt worden war.

Auch der Kanzlerkandidat Edmund Stoiber hat sich mit solchen Argumenten selbst eine Falle gestellt. Es war politisch unklug und menschlich unfair, Themen wie Staatsbürgerschaftsrecht und Zuwanderungsdebatte so plakativ vereinfachend in den Wahlkampf einzubeziehen. Menschlich unfair, weil die betroffenen Menschen nicht in der Lage waren, sich zu wehren. Politisch unklug, weil Stoiber hätte wissen müssen, dass zu den Wahlberechtigten rund 900.000 Bürger mit ausländischer Abstammung zählen und mehr als die Hälfte davon eingebürgerte Türken sind.

Kein Wunder, dass führende Vertreter der türkischen Gemeinde offen zur Stimmabgabe für SPD oder Grüne aufgerufen haben. Möglicherweise haben sie mit ihren Stimmen entscheidend dazu beigetragen, dass der alte Bundeskanzler auch der neue ist und Stoiber sein Ziel der Kanzlerschaft verfehlte.

Gerade die Türken fühlen sich in Deutschland heimisch. Ihre Kinder leben in zweiter und dritter Generation hier, die meisten von ihnen mit Geburtsorten verteilt auf ganz "Almanya". Weit mehr als zwei Millionen Menschen aus der Türkei arbeiten in Deutschland, zahlen seit Jahren Milliarden von Mark und Euro an Steuern und Beiträgen in die Sozialkassen. Sie haben das Recht mit zu entscheiden, wer dieses Land regiert. Schließlich sind sie längst keine "Gastarbeiter" mehr. Bei ihnen handelt es sich nicht mehr um "Gäste", sondern um vollwertige Mitglieder der deutschen Gesellschaft.

Wenn diese deutsche Gesellschaft sich mit wachsender Präzision als "multikulturell" und als "offen für den Dialog zwischen Kulturen und Religionen" bezeichnen will, dann wird sie Ausländer nicht mehr alleine als eine "Bereicherung für Deutschland" betrachten können. Vielmehr ist es höchste Zeit, dass Ausländer - und unter ihnen die Türken als die größte Gruppe - als vollwertige Bürger mit allen Rechten und Pflichten nicht nur auf dem Papier akzeptiert werden. Ausländer als Ärzte, Wissenschaftler und Unternehmer, aber auch als alleinerziehende Mütter, Rentner, Behinderte oder als Arbeitslose warten darauf, dass ihre Leistungen oder ihre Not nicht mit anderen Maßstäben als für Deutsche gemessen werden.

Die Sozialdemokraten und die Grünen müssen den Mut, den sie bislang auf diesem Gebiet gezeigt haben, verstärkt fortsetzen. Die Christdemokraten und vor allem ihre christsoziale Schwesterpartei aus Bayern sollten künftig auf Versuche verzichten, Ausländer für negative Entwicklungen in Deutschland verantwortlich zu machen. Ausländer leiden nicht mehr und nicht weniger als Deutsche unter hoher Arbeitslosigkeit, steigenden Sozialabgaben und an der Misere im Bildungswesen. Verantwortlich für diese sind sie aber nicht.