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Frankreich darf überwachen

Kersten Knipp9. Juni 2015

Nach dem Parlament hat auch der französische Senat dem neuen Überwachungsgesetz zugestimmt. Es gesteht den Geheimdiensten des Landes weitreichende Befugnisse zu. Das Gesetz bietet Chancen, birgt aber auch Risiken.

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Debatte im französischen Parlament. Im Mittelpunkt: Premier Manuel Valls, 09.05.2015 (Foto: AFP)
Bild: AFP/Getty Images/D. Faget

Das neue französische Überwachungsgesetz steht. Vor einer Woche sprachen sich die Abgeordneten der Nationalversammlung für das neue Regelwerk aus, am Dienstag folgten ihnen die Senatoren. In beiden Kammern stimmten die regierenden Sozialisten und die oppositionellen Konservativen für das Gesetz. Damit verfügt der französische Staat über weitreichende Befugnisse zur digitalen Gefahrenabwehr, aber auch zur Sicherung politischer Interessen.

In der öffentlichen Diskussion vor der Entscheidung stand vor allem ein Punkt des Gesetzes im Mittelpunkt: die Terrorabwehr. Tatsächlich ist diese aber nur eines von mehreren Anliegen, die das neue Gesetz regelt. Darüber hinaus verfolgt es fünf weitere Punkte: die Wahrung der nationalen Unabhängigkeit und territorialen Integrität; die "essentiellen Interessen" der französischen Außenpolitik; die ökonomischen, industriellen und wissenschaftlichen Interessen Frankreichs; die Abwehr aller Versuche, den öffentlichen Frieden zu unterminieren; und schließlich den Kampf gegen Kriminalität und organisiertes Verbrechen.

Schwarze Boxen und schwache Signale

Um diese Ziele umzusetzen, erhalten die sechs französischen Geheimdienste weitreichende Vollmachten. So können sie bei Internet-Providern und sozialen Netzwerken sogenannte "schwarze Boxen" installieren. Diese zeichnen zwar keine Inhalte, wohl aber sämtliche Verbindungsdaten auf. Auf dieser Grundlage sollen dann sogenannte "schwache Signale" identifiziert werden: Verbindungsdaten, die Hinweise auf mögliche Gefahren, etwa die Vorbereitung terroristischer Anschläge, geben sollen. Diese sind aber aus den Daten selbst nicht ablesbar. Vielmehr müssen die Geheimdienstler diese auf mögliche Gefährdungen hin interpretieren. In verdächtigen Fällen sollen sie die Identität der jeweiligen Nutzer ermitteln dürfen. Die entsprechenden Daten sollen zentral erfasst werden. Ebenso ist vorgesehen, Internetverkehr und Telefongespräche verdächtiger Personen aufzuzeichnen.

Radikale Islamisten in Frankreich, 21.11.2011 (Foto: AFP / Getty Images)
Im Visier der Geheimdienste: Radikale Islamisten in FrankreichBild: Getty Images/AFP/F. Perry

Juristisch sollen diese Maßnahmen von einer neuen Institution, der Nationalen Kommission zur Kontrolle der Spähtechniken (CNCTR), begleitet werden, und zwar in jedem einzelnen Fall. Sie soll den Premierminister dazu autorisieren, die entsprechenden Schritte anzuordnen. Im "äußersten Notfall" soll der Premierminister aber auch ohne Auftrag der CNCTR Anordnungen geben können.

Logik des Verdachts

Gegner des Gesetzes hatten dieses in scharfen Worten kritisiert. So etwa hatten Amnesty International, die Liga der Menschenrechte und weitere Organisationen in einem gemeinsamen Papier das Gesetz als "liberticide" - also "freiheitstötend" - bezeichnet. In einem Interview mit Amnesty International erklärte der Jurist und Essayist Denis Salas, seiner Einschätzung nach habe das Gesetz einen schweren Fehler: Es ziele auf Personen, die möglicherweise, aber nicht erwiesenermaßen eine Gefahr darstellten. Das Gesetz gehe nicht von der nachgewiesenen, sondern nur von der virtuellen Gefährlichkeit bestimmter Personen aus. "So tritt der 'potenzielle Delinquent' auf den Plan. Dieser hat keine objektive Tat begangen. Dennoch lastet ein Verdacht auf ihm. Auf diese Weise opfert man Freiheiten auf Grundlage simpler Vermutungen."

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Soziale Netzwerke: Anlaufstellen für den französischen StaatsschutzBild: Imago/R. Wölk

In einem Beitrag für die Zeitung "Le Monde" hatte der auf die politischen Folgen der digitalen Revolution spezialisierte russische Journalist Evgeny Morozov ähnlich argumentiert. Das Gesetz riskiere, allzu viele Personen allzu schnell zu Verdächtigen zu machen. "Wenn Algorithmen in der Lage sind, uns Filme zu empfehlen, die wir eventuell mögen könnten - warum sollten sie uns dann nicht auf Verdächtige hinweisen, die wir dann untersuchen könnten?" Außerdem wies Morozov darauf hin, dass einer der Punkte des neuen Gesetzes, die Sicherung der "Interessen der französischen Außenpolitik", einen zu weiten, nicht hinreichend definierten Auslegungsspielraum zulasse.

Geheimdienste an der Belastbarkeitsgrenze

Die Anhänger des Gesetzes, allen voran der französische Premier Manuel Valls und Innenminister Bernard Cazeneuve, verteidigten die neuen Regelungen. "Die über Frankreich schwebenden Bedrohungen vorwegnehmen, entdecken, analysieren und verstehen heißt, die Sicherheit des Landes zu garantieren", twitterte Valls auf der offiziellen Seite der französischen Regierung. Außerdem wies er darauf hin, dass derzeit 1730 Franzosen direkt oder indirekt an dschihadistischen Aktivitäten in Syrien oder im Irak beteiligt seien. 860 Franzosen hätten sich in den beiden Ländern bereits aufgehalten. Weniger als die Hälfte der französischen Dschihadisten seien vor ihrer Abreise identifiziert worden.

Ähnlich argumentiert Innenminister Cazeneuve. Er erklärte, der französische Staatsschutz überwache derzeit rund 3000 Personen. Der französische Inlandsgeheimdienst (DGSI) verfüge über nur etwas mehr als 3000 Agenten. "Man muss also neue technologische und juristische Instrumente zur Verfügung stellen, dazu weitere menschliche und materielle Ressourcen." Der DGSI solle darum um 500 Personen aufgestockt werden.

Frankreich Innenminister Bernard Cazeneuve, 24.07.2014 (Foto: AFP / Getty Images)
Innenminister Bernard CazenevueBild: BERTRAND GUAY/AFP/Getty Images

In fünf Jahren, so sieht es das heute verabschiedete Gesetz vor, sollen Parlament und Senat ein Resümee der auf der neuen juristischen Grundlage geleisteten Arbeit ziehen. Bis dahin haben die Franzosen Gelegenheit, Freiheit und Sicherheit, Kosten und Nutzen des Gesetzes abzuwägen.