1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Neues Parlament in Kabul

26. Januar 2011

In Afghanistan ist das neue Parlament erstmals zusammengetreten. Der Sitzung war ein massiver Streit um Betrugsvorwürfen bei den Parlamentswahlen vor vier Monaten vorausgegangen.

https://p.dw.com/p/Qvbb
(Präsident Hamid Karsai eröffnet Parlament in Kabul Foto: dpa)
Präsident Hamid Karsai vor der Eröffnung des Parlaments in KabulBild: picture alliance / dpa

Vor mehr als vier Monaten wählten die Afghanen ein neues Parlament. Nach langem Ringen um die konstituierende Sitzung sind die 249 Angeordnete an diesem Mittwoch (26.01.2011) vereidigt worden. "Ich wünsche allen Abgeordneten Erfolg und gemäß unserer Verfassung wünsche ich, dass alle drei Säulen unserer Regierung ihre Pflichten für ein wohlhabendes und stabiles Afghanistan erfüllen", sagte Präsident Hamid Karsai. Zugleich mahnte er, die Situation im Land nicht aus dem Blick zu verlieren: "Zehn Jahre nach dem Sturz der Taliban leidet Afghanistan noch immer unter den Kämpfen. Tausende Menschen wurden getötet, darunter Frauen, Kinder, Ältere, Soldaten."

Das Zusammentreffen war erst möglich geworden, nachdem Präsident Karsai und Abgeordnete eine Einigung in ihrem seit den Parlamentswahlen schwelenden Streit gefunden hatten. Bei der Abstimmung am 18. September war es zu zahlreichen Zwischenfällen und Unregelmäßigkeiten gekommen, während der Auszählung der Stimmen wurden immer wieder Manipulationsvorwürfe laut. Noch in der Nacht auf Mittwoch hatten mehr als 100 Verlierer der Abstimmung im September den Präsidentenpalast in Kabul besetzt. Sie warfen Präsident Karsai unrechtmäßiges Handeln vor. Das Parlament dürfe seine Arbeit erst aufnehmen, wenn alle Untersuchungen zu den Betrugsvorwürfen abgeschlossen seien, sagten sie.

Streit um Sondertribunal

Karsai vor dem Parlament (Foto: epa)
Vereidigung der Abgeordneten vor dem KoranBild: picture alliance / dpa

Regierungschef Karsai hatte auf Drängen unterlegener Kandidaten der Abstimmung vom September ein Sondertribunal eingerichtet, um die Manipulationsvorwürfe zu untersuchen. Auf Empfehlung dieses Tribunals wollte Karsai die konstituierende Parlamentssitzung zunächst auf den 22. Februar verschieben. Dagegen protestierten die Wahlgewinner. Sie lehnten das Sondertribunal ab, da es weder in der Verfassung noch im Wahlgesetz vorgesehen ist.

Denn nach dem Wahlgesetz ist die Wahlbeschwerdekommission (ECC) für die Untersuchung von Betrugsvorwürfen zuständig. Und die ist bereits zu einem Ergebnis gelangt: Danach soll die unabhängige Wahlkommission (IEC) rund ein Viertel der mehr als fünf Millionen abgegebenen Stimmen nicht gewertet haben. Sie erkannte außerdem 24 Bewerbern den vorläufigen Wahlsieg wieder ab, bevor sie - wie gesetzlich vorgesehen - ein amtliches Endergebnis verkündete.

Der UN-Sondergesandte in Afghanistan, Staffan de Mistura, war in den vergangen Tagen mit zahlreichen Wahlsiegern zusammengetroffen und hatte Karsai aufgefordert, das neue Parlament so schnell wie möglich zu eröffnen. Auch die Internationale Gemeinschaft war dafür, das Ergebnis trotz Unregelmäßigkeiten zu akzeptieren, um einer weitere Destabilisierung des Landes entgegenzuwirken.

Eröffnung ohne Karsai

Wahlen in Afghanistan, September 2010 (Foto: esa)
Untersuchungen zu den Wahlen im September gefordertBild: AP

Die 249 Wahlgewinner kündigten daraufhin an, das Parlament auch ohne Präsident Karsai zu eröffnen – was laut Verfassung allerdings nicht möglich ist. Der Präsident gab schließlich nach und wendete damit eine Eskalation der Krise ab. Zum Auftakt der Sitzung am Mittwoch forderte er allerdings, "ausländische Einflussnahme" in Afghanistan zu beenden. Bereits am Vortag hatte er "ausländischen Elementen" vorgeworfen, die politische Krise ausgelöst zu haben. Diese hätten den siegreichen Kandidaten erzählt, "sie sollten die Nationalversammlung ohne den Präsidenten eröffnen, sie stünden an ihrer Seite."

Das afghanische Parlament setzt sich aus zwei Kammern zusammen: dem Unterhaus Wolesi Dschirga und dem Oberhaus Meschrano Dschirga. Beide Kammern sind am Gesetzgebungsprozess beteiligt. Die 249 Mitglieder des Unterhauses werden von der Bevölkerung auf fünf Jahre direkt gewählt. Die 102 Mitglieder des Oberhauses werden zu je einem Drittel von den Provinz- und Bezirksräten gewählt oder vom Präsidenten ernannt.

Wegen der schlechten Sicherheitslage besonders im Süden und Osten des Landes konnten zahlreiche Menschen im September nicht wählen gehen. In diesen Regionen dominieren die Paschtunen, denen auch Karsai angehört. Er baut auf die Unterstützung durch diese größte Volksgruppe im Land. Nach Ansicht der Befürworter von Neuwahlen sind Paschtunen im neuen Parlament unterrepräsentiert. Viele der nicht gewerteten Stimmen waren aus paschtunischen Gegenden.

Autorin: Anne Herrberg (dpa, afp, ap)

Redaktion: Silke Ballweg