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"Fatale Kettenreaktion"

Helen Seeney/ db21. September 2012

Die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen in einer französischen Satire-Zeitung sorgt weiter für Unruhe. Es war die falsche Entscheidung zur falschen Zeit, sagt der Europaabgeordnete Sajjad Karim im DW-Interview.

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Sajjad Karim (Foto: Sajjad Karim)
Bild: Sajjad Karim

DW: Die französische Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" hat eine Serie von Mohammed-Karikaturen veröffentlicht - einige zeigen ihn nackt. Wie haben Sie reagiert, als Sie von der Veröffentlichung der Cartoons erfahren haben?

Sajjad Karim: Der Zeitpunkt der Veröffentlichung war sehr unglücklich gewählt, wenn man bedenkt, was bereits in vielen Ländern der Welt als Reaktion auf das Video geschehen ist. Daher denke ich, dass es nicht die beste redaktionelle Entscheidung war.

Der französische Außenminister kritisiert die Entscheidung der Zeitschrift als Provokation, der Innenminister verweist auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung - und dazu gehören Karikaturen. Herr Karim, Sie sind Moslem und Europaabgeordneter - soll man demokratische Freiheiten um jeden Preis aufrechterhalten?

Es ist ein Balanceakt. Ich finde diese spezielle Veröffentlichung anstößig. Sie ist beleidigend. Und auch das Video ist darauf ausgelegt, zu provozieren, aber nicht auf konstruktive Art und Weise. Aber man darf nicht vergessen, dass es bei beiden Veröffentlichungen um einzelne redaktionelle Entscheidungen geht.

In meiner Heimat Großbritannien hat es solche Veröffentlichungen nicht gegeben. Nicht, weil die Regierung sie verboten hätte, sondern weil Redakteure es so entschieden haben. In Frankreich hat der verantwortliche Redakteur eine Entscheidung getroffen, die, wie ich finde, weder im Interesse seiner Zeitschrift, noch Frankreichs ist. Vor allem wenn man sich die Reaktionen auf den Film weltweit anschaut.

Pakistanische Anwälte verbrennen die US-Flagge (Foto: AP)
Proteste in Pakistan gegen das amerikanischen Anti-Islam VideoBild: AFP/Getty Images

In den vergangenen Tagen ist es wegen dieses anti-islamischen Internetfilms "Die Unschuld der Muslime" in muslimischen Ländern zu wütenden Protesten und teilweise anti-westlichen Angriffen gekommen. Haben die Spannungen zwischen Christen und Muslimen einen kritischen Punkt erreicht?

Ich finde es bedauerlich, dass wir uns in einer Situation befinden, in der eine radikale Minderheit die Tagesordnung diktiert. Es handelt sich ganz klar um eine Minderheit mit extremen Ansichten, die hinter dem Film steht. Die Reaktion vieler Muslime darauf ist sehr verständlich. Man darf auch nicht vergessen, dass den meisten Protestierenden nicht klar ist, dass sowohl in den USA und ganz sicher in der EU die Regierungen einfach keine Kontrolle über die Medien haben. So wie sich die Bevölkerung dieser muslimischen Länder das wohl vielleicht vorstellt. Dieses grundlegende Missverständnis führt eben auch zu diesen Reaktionen.

Das Video habe ich mir übrigens angeschaut und fand es sehr beleidigend. Der Film basiert auf keinerlei Tatsachen. Ich kann daher schon verstehen, dass die Toleranz der Menschen an Grenzen stößt.

Haben Sie den Eindruck, dass - zumindest hier in Europa - gemäßigte Muslime aufgrund solcher Karikaturen und Schmähfilme über den Propheten radikalisiert werden?

Dafür sehe ich keine Anzeichen. Was ich sehr wohl bemerkt habe: Die überwältigende Mehrheit der Muslime in Europa hat ihre Meinung innerhalb der demokratischen Normen geäußert, und zwar friedlich. Was wir hier sehen, ist eine kleine Minderheit von Extremisten, die dieses Video gedreht haben. Die repräsentieren auch nicht  westliche oder christliche Ansichten. Und die Minderheit von Extremisten, die mit Gewalt reagiert hat, steht auch nicht für alle europäischen Muslime.

Viele Christen würden zustimmen, dass die Karikaturen eine Provokation darstellen. Gibt es hier eine gewisse Einigkeit zwischen den Religionen?

Ich denke, viele Menschen machen solche Aktionen mit dem Ziel, die Religionsgemeinschaften zu spalten. Im Endeffekt bewirkt es das Gegenteil: Es ermuntert diejenigen, die an eine Harmonie zwischen den Religionen glauben, sich noch mehr anzustrengen. Das hilft einander besser zu verstehen und die Ansichten der anderen eher zu akzeptieren.

Profitiert die Rechte von diesen Vorfällen?

Es sind radikale Strömungen, die sich gegenseitig die Bälle zuspielen. Sie brauchen einander, um in einer bestimmten Art und Weise zu funktionieren. Die Eskalationen geben ihnen quasi den nötigen Sauerstoff, um zu reagieren. Und diese Reaktion bewirkt wieder eine Gegenreaktion. Das ist die Situation, in der wir uns befinden. Leider werden die neuen Massenkommunikationsmittel dafür misbraucht und manipuliert.

Ein französischer Polizist auf einer Straße (Foto: AP)
Das Redaktionsgebäude von "Charlie Hebdo" steht unter PoliezischutzBild: dapd

Politiker sprechen von Dialog und Verständnis. Aber was muss jetzt ganz praktisch getan werden, um weitere Gewaltausbrüche zu verhindern?

Die Erklärung der US-Regierung, die den Film und seinen Inhalt, seine Produktion und Verbreitung, verurteilte, war natürlich sehr hilfreich. Ebenso die Tatsache, dass es in der internationalen Gemeinschaft eine überwältigende Unterstützung gibt. Es gibt viele Leute, die sagen, der Inhalt des Films sei nicht gerechtfertigt. Der Film sei nur aus einem bestimmten Grund gemacht: um zu provozieren.

Solange das der Fall ist, ist es wichtig für Muslime in der ganzen Welt, zu erkennen, dass die internationale Gemeinschaft sagt: Wir verstehen, dass ihr verletzt seid. Wir akzeptieren das. Wir verurteilen, was geschehen ist. Daher solltet ihr nicht so reagieren, dass die Macht dieses Gefühls der internationalen Gemeinschaft, die in diesem Moment an eurer Seite steht, geschwächt wird.

Religiöse Gewalt ist Ihnen nicht fremd: 2008 waren Sie im Taj Mahal Hotel in Mumbai als es angegriffen wurde. Sie haben  von rechtsextremen Gruppen wie die "English Defence League" Morddrohungen erhalten. Hat das Ihre Ansicht über die Menschheit verändert?

Es hat mich noch mehr darin bestärkt, mich dafür einzusetzen, dass diese extremistischen Minderheiten nicht das Geschehen bestimmen. Ich habe dem Zorn muslimischer Extremisten in Mumbai ins Auge gesehen und ich habe rechtsextreme Weiße erlebt, die mein Haus belagerten, während meine Frau und meine Familie völlig verängstigt drinnen saßen. Aber der Punkt ist doch, dass diese kleinen Extremistengruppen niemanden außerhalb ihrer kleinen Gruppe habe, der ihre Ansichten teilt.

Es ist absolut notwendig, dass Leute wie ich aufstehen und für die Mehrheit sprechen. Aber eben auch mein Entsetzen äußere über Leute, die zu Gewalt aufrufen. Ob es die Anders Breiviks dieser Welt sind oder Anhänger von Al Kaida - sie sind in der Minderheit, sie sind die Extremisten und wir sind die Mehrheit und werden uns ihnen entgegenstellen.

Sajjad Karim ist seit 2004 Europaabgeordneter. Er war der erste britische Moslem, der ins Europäische Parlament gewählt wurde und ist Ko-Vorsitzender des "European Muslim Forum."