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"Nicht in unserem Namen"

23. Juni 2010

Nicht alle Israelis und nicht alle Juden in Deutschland sind einverstanden mit Israels Besatzung und Unterdrückung der Palästinenser. Für die Politik aus Jerusalem wollen sie nicht kollektiv verurteilt werden.

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Zwei jüdische Demonstrantinnen halten ein Plakat mit der Aufschrift "Nicht in unserem Namen. Jüdische Stimme für einen gerechten frieden im Nahen Osten. Die andere jüdische Stimme.", Foto: DW/ Marx
Nicht alle Juden stehen hinter der Politik IsraelsBild: DW/Bettina Marx

An einem Sonntagmittag im Zentrum von Berlin. Vor der Gedächtniskirche findet eine kleine proisraelische Kundgebung statt. Etwa hundert Demonstranten, Deutsche und Israelis, schwenken blau-weiße Fahnen. Sie sind gekommen, um dem jüdischen Stadt ihre Solidarität zu versichern. Nach dem tödlichen Angriff der Marine auf eine internationale Flotille Ende Mai, die die Blockade des Gazastreifens durchbrechen wollte, ist das Land weltweit in die Kritik geraten.

In Sichtweite dieser Kundgebung findet eine andere kleinere Demonstration statt. Etwa ein Dutzend Männer und Frauen halten Transparente und selbst bemalte Pappschilder in die Höhe: "Nicht in unserem Namen!" steht auf einem der Plakate. Auch der israelische Student Yossi hält ein Schild in der Hand: "Die da drüben", sagt er und zeigt auf die pro-israelische Kundgebung, "die sprechen nicht in unserem Namen." Es gebe viele Israelis, die gegen die Besatzung seien und die Politik der israelischen Regierung ablehnten, sagt er. Er habe aber schon immer zur linken Opposition in seinem Land gehört. Früher habe er in Israel selbst gegen die Besatzung protestiert, so Yossi, mit der Jerusalem seit 43 Jahren gegen das Völkerrecht verstoße.

Zwei junge Israelis, die in Berlin gegen die israelische Politik demonstrieren. Auf einem Schild ist zu lesen: "Befreit Israel vom Libermannismus". Foto:DW/Marx
Zwei junge Israelis demonstrieren in Berlin gegen die israelische RegierungBild: DW/Bettina Marx

Israelis in Deutschland

Vor drei Jahren kam der junge Israeli nach Deutschland, um in Berlin zu studieren. Er wohnt in Neukölln, einem Viertel mit hohem Ausländeranteil und sozialen Problemen. Für Yossi sind das keine Nachteile. Er liebt die Atmosphäre dort und er genießt das multikulturelle Miteinander der Menschen aus verschiedenen Ländern, die dort friedlich zusammen leben. Sogar Israelis und Palästinenser könnten hier problemlos Tür an Tür wohnen, meint Yossi. Darüber hinaus mag er auch die deutsche Kultur, der er sich eng verbunden fühlt. "Meine Helden sind Brecht, Walter Benjamin und Marlene Dietrich", erzählt er. Seine israelische Heimat hat er deswegen aber nicht vergessen. Im Gegenteil, von Berlin aus setzt er seinen Kampf für Gerechtigkeit und Frieden im Nahen Osten fort.

Seit acht Jahren lebt auch die Israelin Galit in Deutschland. Auch sie hat sich aus politischen Gründen dazu entschieden, ihre Heimat Israel zu verlassen. "Ich will nicht in Israel leben. Ich will nicht ein Teil des Konflikts sein, ich will nicht der Unterdrücker sein", betont sie. An diesem Sonntag ist sie extra aus Frankfurt nach Berlin gekommen, um sich an der kleinen Demonstration gegen die israelische Politik zu beteiligen. Denn, so fügt sie hinzu, auch sie bezahle für diese Politik einen hohen Preis, den Preis des Exils. Weil sie in ihrem Land nicht mehr leben könne, müsse sie fern der Heimat in einem fremden Land und mit einer fremden Sprache leben.

Pappschilder mit Parolen auf hebräisch und englisch auf den Stufen vor der Gedächtniskirche in Berlin. Foto: DW
Protestplakate auf den Stufen vor der Gedächtniskirche in BerlinBild: DW/Bettina Marx

Diskussionen vor der Gedächtniskirche

Inzwischen ist die pro-israelische Kundgebung zu Ende gegangen. Einige der Teilnehmer sind herübergekommen, um zu diskutieren. Mai, eine junge Palästinenserin aus der israelischen Stadt Nazareth, die auf einem Plakat Menschenrechte für alle fordert, führt eine lebhafte Auseinandersetzung mit einem jüdischen Israeli. "Ich habe nicht die gleichen Rechte wie du, nur, weil ich keine Jüdin bin!", ruft sie empört. Israel sei daher keine wirkliche Demokratie, sondern ein "rassistischer Staat", der die jüdische Bevölkerung bevorzuge und alle anderen von gleichberechtigter Teilhabe ausschließe, argumentiert sie weiter.

Ein anderer Israeli hält sein Fotohandy hoch wie eine Waffe und fotografiert jeden einzelnen der Israel-Kritiker. Dann spuckt er einer jungen Frau vor die Füße. "Tinofet!", zischt er gehässig auf hebräisch, zu deutsch: "Du Stück Dreck!"

Andere sind nicht so aggressiv. Sie bemühen sich um einen sachlichen Austausch. "Es gibt einen großen Unterschied zwischen Hamas und Israel", sagt einer, aber einer der israel-kritischen Demonstranten fällt ihm ins Wort: "Ja!", sagt er, "Stimmt! Die Hamas besetzt kein israelisches Land, Israel aber besetzt palästinensisches Land. Das ist schon ein Unterschied!"

Zwei Demonstrantinnen halten ein blaues Transparent mit der Aufschrift: Gaza-Flotilla. 31.5.2010. Wann nennt die deutsche Regierung Brüche der Völkerrechts Verbrechen? Foto: DW/Marx
Demonstrantinnen erinnern an den Angriff auf die Gaza-FlotilleBild: DW/Bettina Marx

Deutsche Juden gegen den Zentralrat

Nicht nur Israelis demonstrieren an diesem Sonntag in Berlin gegen die Politik ihrer Regierung in Jerusalem. Auch deutsche Juden sind dabei, die sich in der Organisation "Die jüdische Stimme" zusammengeschlossen haben. Eine von ihnen ist Ruth Fruchtmann. Sie ist Mitglied der jüdischen Gemeinde in Berlin, mit der offiziellen Meinung der Gemeinde ist sie jedoch selten einverstanden: "Wir wollen zeigen, dass es auch eine andere jüdische Stimme gibt, die die israelische Politik kritisch sieht", sagt sie. Sie finde es verhängnisvoll, dass sich die jüdischen Gemeinden in Deutschland stets blind an die Seite Israels stellten und die israelische Politik unterstützten.

Mit ihrer Kritik an Israel wenden sich die Mitglieder der "Jüdischen Stimme" daher auch gegen den Zentralrat der Juden in Deutschland, der die israelische Politik in der Regel vehement unterstützt. "Der Zentralrat", sagen sie, "spricht nicht für uns. Wir sind Juden in Deutschland und wir lehnen die israelische Besatzungspolitik ab!"

Autorin: Bettina Marx
Redaktion: Ina Rottscheidt