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Nichtwähler entscheiden doch

Wolfgang Dick14. März 2016

Nach den drei Landtagswahlen suchen die Parteien nach genauen Antworten, warum die rechtspopulistische AfD so viel Zuspruch erfuhr. Im Fokus von Wahlforschern: bisherige Nichtwähler.

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Wahlzettel wird in Wahlrurne gesteckt. Landtagswahlen Rheinland-Pfalz. Foto: picture-alliance/dpa/R. Wittek
Bild: picture-alliance/dpa/R. Wittek

Von allen Parteien profitierte die rechtspopulistische "Alternative für Deutschland" am meisten von den so genannten Nichtwählern. Das sind Bürger, die sich an den letzten Wahlen nicht beteiligt haben, jetzt aber zur Wahlurne gingen.

Ein Blick auf die Auswertungen des Meinungsforschungsinstituts infratest-dimap zeigt, dass die AfD in Baden- Württemberg immerhin 207.000 Nichtwähler für sich gewinnen konnte, in Sachsen-Anhalt über 100.000 und selbst in Rheinland-Pfalz noch über 70.000. Diese Zahlen liegen zwei bis drei mal höher als alle Zugewinne der AfD von Wählern, die bisher Anhänger anderer Parteien waren.

Nichtwähler näher betrachtet

Über den Nichtwähler sind in den vergangenen 25 Jahren mehrere Studien angefertigt worden. Zu finden sind sie eher in sozial schwächeren und bildungsfernen Schichten. "Die AfD hat es geschafft, vor allem in den typischen Nichtwählermilieus zu mobilisieren", stellt Robert Vehrkamp von der Bertelsmann Stiftung fest. Er ist Autor einer Studie der Bertelsmann Stiftung, die in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut infratest-dimap ermittelte, dass die Hälfte der Nichtwähler durchaus politische Präferenzen hat.

So steht ein Drittel der Nichtwähler der CDU/CSU nahe, fast gleichauf mit der SPD. Die Piraten, NPD und AfD rangieren allerdings nur zwischen drei und maximal sechs Prozent Zustimmung. Wieso kam es dann bei den Landtagswahlen anders? Robert Vehrkamp dazu: "Wir wissen, dass es sich bei den meisten Nichtwählern eben nicht um radikale Protestwähler handelt, sondern, dass das Menschen sind, die an die etablierten Parteien keine positiven Erwartungen mehr haben, die aber eigentlich von ihren politischen Präferenzen ansprechbar bleiben für die etablierten Parteiprogramme". Tatsächlich sagten nur 27 Prozent der AfD-Wähler, dass sie die Partei aus Überzeugung gewählt hätten. Überwogen habe für 64 Prozent Enttäuschung über andere Parteien.

Es gebe für die übrigen Parteien daher nur eine Chance, verloren gegangene Wähler zurück zu gewinnen. Sie müssten vor allem in den Stadtteilen, wo die Wahlbeteiligung besonders niedrig ist, wo schon "wahlkampffreie Zonen" entstanden seien, mit Angeboten und Diskussionen präsent sein. Das sei aber vor den Wahlen zu wenig der Fall gewesen. ."Das muss sich ändern", sagt Robert Vehrkamp, der das Programms "Zukunft der Demokratie" der Bertelsmann Stiftung leitet. Benötigt würde eine Mobilisierungsstrategie für Nichtwähler. Das kann funktionieren. Von den bisherigen Nichtwählern entschieden sich zum Beispiel in Rheinland-Pfalz fast ebenso viele für SPD und CDU wie für die AfD.

Landtagswahl Sachsen-Anhalt Wahlparty der AfD Foto: Foto: Sebastian Willnow/dpa
Jubel auf der Wahlparty der AfD in Sachsen-AnhaltBild: picture alliance/dpa/S. Willnow

Auch andere Parteien geben ab

Wähler der AfD sind aber auch von anderen Parteien abgewandert. Ganz weit vorne liegt dabei die CDU. Sie traf es in Baden-Württemberg am härtesten. Nach der Erhebung von infratest-dimap gab die CDU an die AfD 188.000 Wähler ab. Etwas geringer der Zustrom von früheren Anhängern der SPD. Die Zahlen hier schwanken zwischen 21.000 in Sachsen-Anhalt und 88.000 in Baden-Württemberg. Insofern beschäftige das Ergebnis der Landtagswahlen in erster Linie die Unionsparteien. Eine interessante Zahl der Wahlforscher dazu: 70 Prozent der Nichtwähler hätten sich auch vorstellen können, die konservative bayerische CSU zu wählen, wenn diese Partei zu den drei Landtagswahlen angetreten wäre.

Wechselwähler stabilisieren Spitzenkandidaten

Die AfD hat ungeachtet ihrer Gewinne eines nicht vermocht. Sie hat den Zuspruch für starke Landespolitiker wie Baden-Württembergs grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und die Sozialdemokratin und Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, nicht gestört. Wohl aber deren künftige Regierungsfindung aufgrund veränderter Mehrheiten erschwert. Die Grünen in Baden Württemberg erhielten von bisherigen SPD-Wählern Unterstützung. Die SPD in Rheinland-Pfalz gewann von den Grünen Wähler hinzu. Die CDU in Sachsen-Anhalt profitierte von ehemaligen SPD-Wählern und der insgesamt erhöhten Wahlbeteiligung.

"Mobilisierend wirkt immer, wenn die Menschen den Eindruck haben, es geht um was", erklärt Michael Kunert, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts infratest-dimap. Das könne eine Entscheidung zwischen zwei Kandidaten sein, wie in Rheinland-Pfalz, oder "ein Thema, bei dem Emotionen und Herzblut dabei sind" – das sei die Flüchtlingssituation gewesen. Es gebe im übrigen einen zunehmenden Teil der Wähler, der taktisch wähle und genau darüber nachdenke, dass er keine Stimmrechte verschenke. Das erhöhe die Chancen für größere Parteien. Ganz pessimistisch ist Kunert ohnehin nicht: "Ich sehe es schon als etwas Positives der Landtagswahlen an, dass die Demokratie hier in Deutschland lebt und dass, wenn es besondere Fragen gibt, die die Menschen bewegen, dass dann auch die Wahlbeteiligung steigt." Tatsächlich lag die Wahlbeteiligung im Vergleich zu den letzten Landtagswahlen um fünf bis zehn Prozent höher.