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Politik

Niger: "Alleine schaffen wir das nicht"

Thomas Mösch
16. Dezember 2016

Die Hoffnung ruht auf Bildung und Ausbildung. Doch Nigers wachsende Bevölkerung lässt alle Fortschritte im Wüstensand versickern. Eine DW-Diskussion in Niamey macht das Dilemma Migration junger Menschen deutlich.

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Debatte Dilemma Migration
Bild: DW/T. Suttor-Ba

Eines hat die europäische Debatte über die Migration von Afrika nach Europa auch im Niger schon bewirkt: Das Wort Migration hat einen negativen Beigeschmack bekommen. Manch einer, den man fragt, ob nicht mehr Menschen die Möglichkeit bekommen sollten, legal nach Europa zu gehen, um zu arbeiten oder zu studieren, antwortet erstaunt: "Aber das sind doch keine Migranten! Das wären doch 'Expatriates'." Expatriates - so werden normalerweise die in Afrika auf Zeit arbeitenden Ausländer aus anderen Kontinenten genannt.

Und so sind denn auch einige der Diskutanten bei der dritten von der DW in den Ländern des Sahel organisierten Debattenrunde zur Migration um Klarstellung bemüht. "Migration an sich ist doch nicht das Problem. Schlimm ist, dass so viele auf dem Weg nach Europa sterben", meint Abba Hassane Boukar von der Bürgerrechtsbewegung "Alternative Espaces Citoyens" bei der Diskussion am Donnerstag in Niamey - und erklärt damit den Ansatz seiner Organisation: "Deshalb sehen wir es nicht als unsere Aufgabe an, junge Leute daran zu hindern, sich auf den Weg zu machen. Wir wollen sie über die Risiken aufklären."

Debatte Dilemma Migration
Oumarou Mahamadou Labaran vom DW-Partnersender RTT (rechts) im Gespräch mit Abba Hassane BoukarBild: DW/T. Suttor-Ba

Auswanderung als Gefahr für Afrika?

Auch Rabia Aliyu Bormou von der "Jugendbewegung für Entwicklung und Bildung" (MOJEDEC) betont, man müsse einen Unterschied machen zwischen der legalen Migration und der irregulären, bei der Menschen ihr Leben riskierten. Wenn Europa seine Grenzen öffnen würde für Studenten oder solche, die auf Zeit im Ausland arbeiten wollten, könne das Leben retten. Doch eine Lösung für die Probleme Afrikas sei das keineswegs, gibt die junge Frau zu bedenken: "Wenn man mehr Afrikanern die Auswanderung ermöglicht, gefährdet das die Entwicklung bei uns. Nur wir Afrikaner können doch unseren Kontinent entwickeln!" Die jungen Menschen sollten lieber bleiben, arbeiten und bessere Lebensumstände in Afrika schaffen. "Wir können nicht alles vom Staat erwarten", appelliert Bormou.

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Rabia Aliyu BormouBild: DW/A. Mamane

Die meisten Menschen, die dieses Thema in den letzten Tagen auf der Facebookseite der Haussa-Redaktion der DW kommentiert haben, sehen dies allerdings anders. Sie fordern, dass Afrikas Regierungen mehr tun müssen, um jungen Menschen eine wirtschaftliche Perspektive zu bieten. So Kabiru Muhammad Ruwawuri aus Sokoto im Nordwesten Nigerias: "Die Frage ist doch: Wenn die Regierung die Menschen daran hindern will, ihr Glück in Europa zu suchen, was hat sie ihnen anzubieten, damit sie aufhören, nach illegalen Wegen zu suchen, um dorthin zu kommen?"

Viele neue Arbeitsplätz und doch zu wenige

Yahouza Sadissou, Minister für Arbeit und Soziales im Niger, verweist zur Antwort auf eine ganze Liste von Programmen und Projekten, mit denen die Regierung von Präsident Mahamadou Issoufou seit Beginn seiner ersten Amtszeit 2011 Hunderttausende von Arbeitsplätzen geschaffen habe: "Das war vor allem beim Bau von Gebäuden und Straßen, aber auch in der Landwirtschaft. Die Initiative 'Nigrer ernähren die Nigrer' hat vielen jungen Leuten in zahllosen Dörfern Arbeit verschafft", betont der Minister.

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Arbeitsminister Yahouza SadissouBild: DW/A. Mamane

Alles schön und gut, entgegnet Bürgerrechtler Abba Hassane Boukar. Aber das reiche doch längst nicht aus angesichts der großen Masse an arbeitslosen Jugendlichen. Und auch Minister Sadissou gibt zu, dass die schiere Zahl der auf den Arbeitsmarkt strömenden Menschen kaum zu bewältigen sei. Im Niger bekommt jede Frau statistisch mehr als sieben Kinder, die Bevölkerung von derzeit knapp 20 Millionen verdoppelt sich alle 20 Jahre. Die Hälfte der Nigrer ist jünger als 15 Jahre. Zugleich verharrt die Sahel-Republik seit Jahren auf dem letzten Platz des "Index der menschlichen Entwicklung" der Vereinten Nationen (HDI).

Ausbilden und Aufklären

"Alleine können wir das nicht schaffen", betont denn auch Sadissou. Hilfe, insbesondere aus Europa und anderen reichen Ländern, sei wichtig und willkommen. "Erst heute Morgen habe ich von der deutschen Botschaft die Nachricht bekommen, dass Deutschland uns mit 13 Millionen Euro helfen will, jungen Menschen berufliche Perspektiven zu geben", verkündet er. Das Geld solle in die Ausbildung von Handwerkern fließen, aber auch Studienabgängern helfen, sich selbständig zu machen.

Libyen: Warten auf die Überfahrt

Solche Nachrichten freuen auch Abdou Elhadj Sanoussi, der als Jugendvertreter dem Vorstand des "Forums der westafrikanischen Zivilgesellschaft" (FOSCAO) angehört: "Wir müssen die berufliche Bildung verbessern. Und wir müssen die kleinen und mittleren Unternehmen stärken." Ohne eine grundsätzlich gute Regierungsführung werde man die jungen Menschen allerdings nicht in Afrika halten können, ist Sanoussi überzeugt. Ein Zuhörer drückt es drastischer aus: "Wir müssen unsere politischen Führer endlich daran hindern, unser Geld zu stehlen und es nach Europa zu schleppen, dann würde es uns allen besser gehen!"

Jugendvertreter Sanoussi will sich derweil weiter darauf konzentrieren, junge Menschen über die Gefahren aufzuklären, die eine eigenmächtige Reise durch die Wüste und über das Mittelmeer mit sich bringen. Sie sollten sich fragen, ob sich der Einsatz wirklich lohne: "Ja, einige, die es nach Europa schaffen, erreichen dort etwas. Aber wie nachhaltig sind die diese kleinen Vorteile, die sie sich erarbeiten? Ich bin davon überzeugt, dass sich die wirklich nachhaltigen Perspektiven hier in Afrika finden."