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Nigeria auf der Überholspur

Stefanie Duckstein24. März 2014

Nigeria ist der neue ökonomische Riese Afrikas. Statistiken werden das schon bald belegen, glauben Experten. Das Öl-Land würde damit die Nummer Eins Südafrika ablösen. Doch halten die Zahlen, was sie verheißen?

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Ölplattform in Nigeria (Foto:Sunday Alamba/AP/dapd)
Bild: AP

Glaubt man Razia Khan, wird das Jahr 2014 als Meilenstein in die nigerianische Wirtschaftsgeschichte eingehen. "Nigerias Wirtschaft erreicht in diesem Jahr globale Bedeutung", schreibt Khan in ihrer jüngsten Analyse. "Und sehr wahrscheinlich ist die Volkswirtschaft noch viel größer, als wir alle annehmen." Die Diskussion unter den Ökonomen sei jetzt eher, wie groß sie genau sei, erklärt Khan in einem Interview mit der DW. Razia Khan wird geschätzt für ihre Prognosen. Die prominente Wirtschaftswissenschaftlerin leitet die Afrika-Abteilung der britischen Standard Chartered Bank. Sie berät Kunden, die vorhaben, in Afrika zu investieren. Bei Nigeria rät sie dringlich zu: "Absolut! An Nigeria führt gar kein Weg vorbei."

Schönmalen nach Zahlen

Doch es gibt einen Umstand, vor dem Khan ausdrücklich warnt: die Ungenauigkeit der Statistiken. Die letzte grundsätzliche Erhebung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Nigeria liege 24 Jahre zurück. Üblicherweise berechnen Staaten die Grundlagen ihres BIP alle fünf Jahre neu. Nigerias Wirtschaftsstruktur hat sich seitdem stark verändert. So gab es den heute starken Telekommunikationssektor vor 24 Jahren noch gar nicht.

Razia Khan im Porträt (Foto: privat).
Wird für ihre Prognosen geschätzt: Razia Khan von der britischen Standard Chartered BankBild: privat

Wenn die nigerianischen Statistiker das BIP jetzt von Grund auf neu berechnen, wird der Basiswert voraussichtlich deutlich höher liegen als bisher. Das wahrscheinliche Ergebnis: Nigeria ist noch wirtschaftsmächtiger als bisher angenommen. Nigerias Bruttoinlandsprodukt lag 2012 laut Weltbank bei 262 Milliarden US-Dollar, das Wachstum 2013 bei 6,7 Prozent - auf Basis der alten Berechnungsgrundlage. Südafrika, die bisher stärkste ökonomische Macht des Kontinents, erwirtschaftete nach diesen Zahlen 2012 noch fast 50 Prozent mehr. Mit den neu berechneten Zahlen wird jetzt wohl Nigeria vorne liegen.

Wirtschaftskraft auf wackligen Beinen

Was verbirgt sich hinter den Zahlen? Michael Monnerjahn verfolgt für den Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft die volkswirtschaftlichen und politischen Entwicklungen in Afrika. Er winkt ab. "Die absolute Zahl des Bruttoinlandsproduktes ist sicher nicht so hilfreich. Gerade bei so einem Land wie Nigeria, wo rund 90 Prozent der Exporterlöse aus dem Erdöl kommen." Selbst, wenn sich die Bruttoinlandsprodukte Nigerias und Südafrikas jetzt auf einem ähnlichen Niveau bewegen, sei ihre Wirtschaftskraft noch lange nicht gleich, so Monnerjahn. "Die Wirtschaft ist doch ganz unterschiedlich strukturiert." Südafrika sei die deutlich reifere und differenziertere Volkswirtschaft. "Die haben eine eigene Autoproduktion, Maschinenproduktion, chemische Erzeugnisse."

Nigeria hingegen hat Öl. Das Land ist der achtgrößte Erdölexporteur der Welt. Doch die absolute Abhängigkeit vom Erdölexport stellt die Wirtschaftskraft Nigerias auf eher wacklige Beine. Denn die Preise auf dem Weltmarkt für Rohöl sind launisch; die Raffinerien zur Veredelung befinden sich im Ausland. Und außer Erdöl hat Nigeria erst einmal: nicht viel. Auch wenn Mobilfunkmarkt und Baubranche boomen und selbst die Filme aus "Nollywood" sich international gut verkaufen - es fehle Nigeria an so genannten Mikro-Level-Indikatoren, sagt Wirtschaftswissenschaftlerin Khan. "Haben die Millionen Menschen eine Kaufkraft? Gibt es einen starken Einzelhandel? Wie geht Nigeria mit Einnahmen um?"

Skyline von Johannesburg (Foto: picture alliance/Anka Agency International)
Noch die Nummer 1: SüdafrikaBild: picture alliance/Anka Agency International

Potenzial: Mensch

Doch Nigeria hat ein für Investoren überzeugendes Potenzial: seine Menschen. Mit seinen 168 Millionen Einwohnern steht das Land an siebter Stelle weltweit. Die Formel ist einfach: viele Menschen, viele Möglichkeiten, viel Wachstum. Doch auch hier gilt, so Khan: Menschen, die produzieren und konsumieren, reichen nicht für eine stabile Volkswirtschaft.

Woran mangelt es Nigeria? Erstens: an einer funktionierenden Infrastruktur. Logistik-Kosten in Afrika sind höher als an anderen Orten der Welt. Zweitens: an einer diversifizierten Wirtschaftslandschaft. Drittens: Auch wenn Nigeria jetzt stärkste Wirtschaftsmacht des Kontinents werden sollte, leben auch nach einem Jahrzehnt stabilen Wachstums 63 Prozent der Nigerianer unterhalb der Armutsgrenze. "Die neuen Zahlen offenbaren also, dass die Ungleichheit zwischen dem starken BIP und der noch immer hohen Zahl an Menschen, die von einem Dollar am Tag leben, immer größer wird." Die Wirtschaft sei kräftig gewachsen, sagt Khan, doch verschwinde das Geld in den Taschen weniger. Die Mittelschicht wachse, aber nicht genug. Momentan profitiere eher eine kleine urbane Mittelschicht, bestätigt auch Michael Monnerjahn vom Afrika-Verein: "Von der wirtschaftlichen Entwicklung kommt zu wenig in der breiten Bevölkerung an, gerade auch im Norden Nigerias."

Lagos, Haupstadt von Nigeria ARCHIVBILD 2007 (Foto: dpa)
Nigerias Megacity LagosBild: picture-alliance/dpa

Südafrika unter Druck

Was hat dann Südafrika in den Statistiken zurückfallen lassen? Monnerjahn beschreibt die südafrikanische Wirtschaft als "stagnierend". Das habe mit der Dominanz des regierenden Afrikanischen Nationalkongress (ANC) zu tun, "der unter Druck ist, bestimmte Gruppen zu bedienen, etwa die Gewerkschaften". Änderungen im Energiesektor seien ein weiterer Grund. "Energie war bisher sehr günstig in Südafrika. Man hat jahrzehntelang sehr wenig investiert." Jetzt müsse viel Geld in diesen Bereich gesteckt werden. Dadurch steigen die Energiekosten, der Standort wird insgesamt teurer. "Wer jetzt neu in Afrika anfängt, der geht nicht mehr automatisch nach Südafrika, sondern guckt sich neue Länder an", prophezeit Monnerjahn.

Straßenszene aus Kano in Nordnigeria
Profitiert nur wenig vom Boom: Kano in NordnigeriaBild: DW/Stefanie Duckstein

Derweil präsentierte Nigerias Präsident Goodluck Mitte Februar seinen neuen "Industrial Revolution Plan". Fertigungstechnik und Infrastruktur sollen weiter ausgebaut werden. Wirtschaftslobbyist Monnerjahn empfiehlt: "Es ist in jedem Fall sinnvoll, in diesem Markt aktiv zu werden. Man kommt ganz klar an Nigeria nicht vorbei." Aber man müsse sich bewusst sein, dass das Risiko größer sei als in Südafrika.