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Musik

Gewaltige Töne beim Beethovenfest

Gaby Reucher
3. März 2020

Mit einem großen Programm zum Beethoven-Jubiläumsjahr will Nike Wagner das internationale Publikum begeistern. Mit dabei ist Stardirigent Theodor Currentzis. Was sie an ihm schätzt, sagt Nike Wagner im DW-Interview.

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Bildergalerie Persönlichkeiten 2020 | Nike Wagner
Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Seit 2014 ist Nike Wagner Intendantin des Bonner Beethovenfestes. Die Urenkelin des Komponisten Richard Wagner legt nach dem Herbstfest im September 2020 ihr Amt nieder. Zum Beethoven-Jubilläumwartet Sie noch einmal mit großen Stars und Orchestern auf und das gleich zweimal: vom 13. bis zum 22. März und vom 4. bis zum 27. September. (Das Märzfest wurde wegen des Coronavirus'  kurzfristig abgesagt. (Anm. der Red.))

DW: Frau Wagner, der erste Teil des diesjährigen Beethovenfestes beginnt am 13. März, ein Programm mit Starbesetzung, doch im Zuge der Verbreitung des Corona-Virus' taucht natürlich zunächst die Frage auf, inwieweit das Beethovenfest davon betroffen sein könnte?

Nike Wagner: Wir nehmen die Entwicklungen ernst und bewerten die Lage zum Schutze der Belegschaft, der Künstlerinnen und Künstler und des Publikums täglich. Wir stehen mit Behörden, Agenturen und Ensembles sowie Gesellschaftern im Kontakt, um besonnen und angemessen reagieren zu können. Derzeit gibt es keine Hinweise darauf, dass die angekündigten Konzerte nicht stattfinden können.

"Seid umschlungen" lautet das Motto für das Märzprogramm des Beethovenfestes. Beethovens Neunte wird in diesem Jubiläumsjahr von fast jedem Sinfonieorchester gespielt - haben Sie deshalb darauf Bezug genommen oder steckt noch etwas anderes dahinter?

Ich bin in meinem siebten Jahr hier in Bonn und habe niemals die 9. Sinfonie spielen lassen, auch nicht sozusagen enzyklopädisch, alle Symphonien Beethovens von einem einzigen Klangkörper oder Interpreten. Mir kam es mehr darauf an, Beethoven im Kontext der Zeit vor und nach ihm zu zeigen.

Bei einem großen Jubiläum aber ist alles etwas anders. Wir haben uns zu einer zusätzlichen Saison im Frühjahr entschlossen - aus der Sorge heraus, dass das Publikum von all den Beethoven-Veranstaltungen dann schon erschöpft sein würde, wenn wir wie üblich erst im September anfangen. Da war ich dann bereit, "alle Neune" zu programmieren - aber eben in einer Interpretation, die momentan die interessanteste ist: die des Orchesters MusicAeterna unter der Leitung von Teodor Currentzis.

Was schätzen Sie an seiner Interpretation?

Das ist ein fabelhaft präzises Original-Instrumenten-Orchester mit einem äußerst präzisen Chor. Currentzis Kennzeichen sind energische Tempi und das größtmögliche Auslegen der dynamischen Unterschiede, ein extremes Splitten von laut und leise. Nie habe ich die Freudenmelodie in den tiefen Streichern so hauchfein leise gehört wie von MusicAeterna. Zugleich pfeffert Currentzis am Schluss fast militärisch drein, und so ganz falsch ist das vielleicht nicht. Von den fünf vorgesehenen Abenden übernimmt Theodor Currentzis allerdings nur drei, für die verbleibenden kommt der ebenfalls höchst versierte Dirigent Giovanni Antonini, Chef des Barockensembles "Il Giardino Armonico".

Das Beethoven-Denkmal auf dem Münsterplatz in Bonn
Das Beethoven-Denkmal auf dem Münsterplatz in BonnBild: Bundesstadt Bonn/M. Sondermann

Sie sagten, Sie haben in Ihren sieben Jahren die Neunte nicht gespielt. Wie stehen Sie denn zu dem Werk?

Bei der Neunten liebe ich die ersten drei Sätze, die sind sinfonisch grandios, die leeren Quinten am Anfang, das Unheimliche, Schmerzvolle, Chaotische, dann das Bacchantische des zweiten und das Introvertierte des dritten Satzes. Es ist auch ein genialer Kunstgriff, im vierten Satz zunächst die ersten drei Sätze gleichsam zu rekapitulieren.

Aber dann eben das Chorfinale, jetzt sollen "freudenvollere Töne" angestimmt werden. Mit einer einfachen, volksliedhaften Melodie und einer gewaltigen Doppelfuge gegen Schluss, alles ist auf Überwältigung ausgerichtet. Natürlich ist die Neunte ein zentrales Werk der Musikgeschichte und sie hat eine Botschaft: Nur eben - Beethovens und Schillers Idealismus ist nicht mehr der unsere. Alle Menschen werden Brüder? Nicht dass ich wüsste…

Aber das klingt so, als würde Ihnen der Schluss der Neunten nicht gefallen.

Ich habe Schwierigkeiten mit diesem Auftürmen von affirmativen Chormassen im Finalsatz. Daher rührt doch auch die Anfälligkeit der Symphonie für staatstragende Gelegenheiten. Aber wer bin ich, an Beethoven herumzumäkeln?

Im Märzprogramm hören wir neben den Sinfonien auch noch einmal Auftragswerke, die Sie in den letzten Jahren an zeitgenössische Komponisten vergeben haben, gespielt von internationalen Orchestern. Warum war es ihnen wichtig, Auftragswerke zu bestellen, die explizit einen Bezug zu einem ausgewählten Werk Beethovens haben sollten?

Wir leben heute in einer vollkommen anderen Zeit als Beethoven. Die Formensprache der Musik, die Weltanschauungen, alles hat sich geändert. Deshalb hat es mich interessiert, was Komponisten heute von Beethoven denken. Gibt es da noch einen Einfluss oder sind alle Bande gekappt? Es wäre nicht unwahrscheinlich gewesen, dass einer sagt: 'Ach lass mich mit dem alten Zeug in Ruhe, die Sonate hat längst ausgedient, Beethoven ist Musikgeschichte'. Aber zu meiner großen Freude hat keiner den Auftrag abgelehnt.

Es wurden Komponisten aus fünf europäischen Ländern angefragt. Alle haben sich zu Beethoven bekannt, und es war ihnen eine Ehre, sich innerhalb des Beethovenkosmos frei bewegen zu dürfen. Natürlich wird Beethoven in den neuen Werken nicht einfach zitiert oder paraphrasiert, man hört kaum je direkte musikalische Anklänge, aber man hört den Duktus, bestimmte Sensibilitäten, die sich äußern zu einem großen Vorbild.

Franz Liszt schwarz weiß Portrait
Franz Liszt gehörte zu den größten Bewunderern und Bearbeitern von Beethovens MusikBild: Getty Images

Bearbeiter von Beethovens Musik spielen auch in Ihrem Septemberprogramm eine große Rolle, allen voran Gustav Mahler und Franz Liszt, aber auch Karlheinz Stockhausen im weitesten Sinne. Franz Liszt hat alle Sinfonien von Beethoven für Klavier bearbeitet. Sie werden beim Beethovenfest zu hören sein. 

"Bearbeitet" ist nicht ganz das richtige Wort. Franz Liszt hat, beginnend im Jahr 1837 alle neun Sinfonien für Klavier transkribiert und das waren mehr als nur "Klavierauszüge". Das waren "Klavierpartituren" - einfach Wunderwerke. Liszt meinte, sie verhielten sich zu den sinfonischen Originalen wie Stahlstiche zu einem Ölgemälde. Es fehlten dann zwar die Farben, aber die Strukturen seien alle vorhanden. Außerdem ließen sich Stahlstiche reproduzieren und verbreiten. Es war Liszt ja auch daran gelegen, die Sinfonien Beethovens bekannt zu machen, sie quasi als "Hausmusik" in Umlauf zu bringen. So wurden diese Transkriptionen oft zur ersten Begegnung mit Beethoven-Symphonien.

"Auferstehn, ja auferstehn" heißt das Motto beim Beethovenfest im September. Es stammt aus dem letzten Satz von Gustav Mahlers 2. Sinfonie. Mahler hat Beethoven zum einen bearbeitet, aber er hat sich auch in seinen eigenen Werken auf das große Vorbild bezogen. 

Als Dirigent hat Mahler nicht nur vielfach "Retouchen" an Beethovens Neunter vorgenommen - seine zweite Sinfonie ist auch eine Auseinandersetzung mit diesem Werk. Wie Beethoven führt auch Mahler das erste Mal Vokalstimmen in das sinfonische Gewebe ein: Sopran, Alt, gemischter Chor. Auch in Anlage, Größe und Anspruch gibt es da Vergleichbares. Wobei die Ambition Mahlers, Beethoven noch einmal zu übergipfeln, deutlich ist. Mir war das Werk wichtig, um die Kontinuität zu zeigen, die Art, wie man sich später mit Beethoven auseinandersetzen musste. Und wenn Beethoven als der erste Romantiker in der Musik gilt, dann war Mahler ganz sicherlich der letzte.

Auch Stockhausen, der Beethovens Neunte zum 200. Geburtstag des Komponisten 1970 in seinem Werk "Kurzwellen mit Beethoven" elektronisch verfremdet hat, steht im September im Deutsche Welle Campus auf dem Programm, allerdings mit seinem Werk "Gruppen".

So ist es. Das hat nun nichts mit Beethoven zu tun, sondern spiegelt nur unseren Wunsch, im Beethoven-Jubiläumsjahr einmal die besonders groß angelegten Werke zu bringen – neben der Neunten und der Missa Solemnis von Beethoven und der Zweiten Mahlers auch Stockhausens aufwendiges Werk "Gruppen". Zum Konzept gehört auch, dass wir dafür die internationale Jugend herbeiholen, Musiker aus aller Welt, die zusammen mit dem Bundesjugendorchester spielen. Dazu haben wir György Kurtágs Beethoven-Hommage „…quasi una fantasia…" ins Programm genommen und die Uraufführung eines Werkes einer jungen türkischen Komponistin.

Wir haben das Gewaltige, das Universalistische, das Monumentale beim Jubiläumsjahr nicht ausgespart: wann sonst, wenn nicht jetzt, kann man diese "Meilensteine der Musik" wieder einmal zu Gehör bringen?