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Literatur

Norbert Scheuer: "Die Eifel ist Flutland"

Christine Lehnen
14. Juli 2022

Ein Jahr nach der Flutkatastrophe spricht der Autor Norbert Scheuer über die anhaltenden Schäden in seiner Heimat, die Angst vor einer nächsten Flut und seinen neuen Roman.

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Der Schriftsteller Norbert Scheuer sitzt rücklings auf einem Stuhl
Norbert Scheuers Romane spielen in der Eifel Bild: Elvira Scheuer

Der renommierte deutsche Schriftsteller Norbert Scheuer lebt in der Eifel   im Ahrtal, wo vor einem Jahr eine noch nie dagewesene Flutkatastrophe über die Menschen hereinbrach. Seine Romane spielen in dem Ort Kall, der noch immer schwer beschädigt ist. 

DW: Seit der Flutkatastrophe im Ahrtal ist ein Jahr vergangen. Wenn Sie sich umschauen: Wie groß sind die Schäden heute noch?

Norbert Scheuer: Ich wohne oben auf dem Berg, und wenn man runter nach Kall blickt, dann sieht man nach wie vor im Grunde eine völlig zerstörte Stadt. Die Infrastruktur ist einfach weg. Seit zwei Tagen fährt wieder der Zug nach Kall, aber Richtung Trier wird erst in zwei Jahren wieder eine Bahn fahren. In der Einkaufsstraße sind vielleicht drei Geschäfte wieder geöffnet. Die Hauptstraße ist leer, und man steht da und könnte es fast vergleichen mit einer alten, verlassenen Stadt im Wilden Westen. Es ist schon sehr bedrückend. 

Wie gehen die Menschen damit um?

Das hängt immer davon ab, wo sie gelebt haben. Also wenn sie direkt im Stadtkern gelebt haben und von der Flut betroffen waren, dann sind sie hochgradig traumatisiert. Das war keine normale Überschwemmung, sondern da ging es um die nackte Angst ums Überleben. Also im Haus sitzen und sehen, wie das Wasser immer höher steigt und man befürchten muss, dass es einen irgendwann wegschwemmt. Und es sind ja auch einige Menschen dabei ums Leben gekommen, und jeder kennt jeden in so einem kleinen Städtchen. Das macht was mit den Menschen. Viele sind weggezogen, die kommen auch nicht zurück. Viele können gar nicht zurück in ihre Häuser, weil es unheimlich lange dauert, bis all die Reparaturen gemacht worden sind, bis die Mauern getrocknet sind. Und ich glaube, es dauert noch Jahre bis Jahrzehnte, bis das alles wieder ganz normal ist.

Haben die Menschen denn die zugesagte finanziellen Hilfen erhalten?

Das ist so eine Sache. Also es sind natürlich Hilfen geflossen, aber nur teilweise. Vor allen Dingen die Versicherungen - zumindest höre ich das von Bekannten - zahlen nur zögerlich aus und finden immer wieder neue Gründe, nicht zu zahlen. Also es ist tatsächlich so, dass da Probleme bestehen. Und man kann ja sowieso nie alles ersetzen.

Menschen räumen nach einer Flut in einer Buchhandlung auf.
Die Buchhandlung in Kall nach der Flut. Inzwischen hat sie wieder geöffnet, dank vieler Spenden aus ganz DeutschlandBild: Oliver Berg/dpa/picture alliance

Sie wohnen 500 Meter oberhalb des Ortes. Hat die Flutkatastrophe Spuren in Ihrem Leben hinterlassen?

Wir waren auch von dem Hochwasser betroffen, wir waren auch ein bisschen überschwemmt. Aber Schwamm drüber, das war alles zu verkraften. Es hat mich insofern stark betroffen, weil viele Freunde betroffen waren. Und das geht ja nicht einfach so an einem vorüber. Wenn es jetzt regnet, wenn es längere Zeit regnet, glaubt man sofort, es könnte wieder passieren. Früher habe ich den Regen geliebt, es konnte manchmal tagelang regnen und ich dachte immer: Wie wunderbar für die Natur, und man kann auch bei Regen so schön spazieren gehen. Mittlerweile ist das alles ganz anders. Wenn es länger als fünf Stunden regnet, fängt man schon an zu zittern und denkt: Hoffentlich wird es nicht wieder so wie im letzten Juli.

Denkt man dann auch manchmal: Ich setze mich jetzt ins Auto und fahr weg, wenn es zu lange regnet?

Ich weiß, dass bei Leuten, die unten am Fluss leben, es tatsächlich so ist, dass sich schon bei kleinen Regenschauern Panik einstellt und sie wegfahren oder zumindest ihre gepackten Sachen da stehen haben. Bei mir persönlich ist das natürlich nicht so. Ich wohne 500 Meter hoch, da müsste schon eine ziemlich schreckliche Situation kommen, bevor die kleinen Flüsse so hoch steigen. Das ist ja das Eigentümliche, es sind ja alles nur kleine Flüsse. Die Ulft ist ein Fluss, der hat unter normalen Umständen vielleicht 50 bis 60 Zentimeter Höhe. 

Eine zerstörte Brücke vor einem Fachwerkhaus
Ein Bild der Zerstörung: Flutschäden im Ahrtal in der Eifel im Jahr 2021Bild: Christoph Hardt/Geisler-Fotopres/picture alliance

Ihre Romane spielen in dem Örtchen Kall, das schwer von der Flut beschädigt wurde. Auch Ihr neuer Roman "Mutabor" ist dort angesiedelt. Darin geht es um die junge, elternlose Nina Plisson, die nicht weiß, was aus ihrer Mutter geworden ist und auch nicht, wer ihr Vater war und versucht, das Geheimnis um ihre Herkunft zu lüften. Hat die Flutkatastrophe etwas an der Art geändert, wie Sie den Ort betrachten und ihn in Ihren Romanen beschreiben?

Das kann ich noch gar nicht so genau sagen. Das wird sich im nächsten Roman herausstellen. Im Grunde habe ich bei den letzten zwei Romanen, also beim aktuellen, bei "Mutabor", und bei dem vorhergehenden, die Flutkatastrophe in einem ähnlichen Ausmaß vorhergesehen. In den Romanen wird Kall überschwemmt, und es steht eigentlich nichts mehr. Für die Eifel sind Hochwasser ja nichts Ungewöhnliches, sie ist im Grunde durchzogen von Flüssen. Es gibt sogar Theorien, dass "Eifel" so viel wie "Wasserland" bedeutet. Und ich bin in der Eifel aufgewachsen. Als Kind nimmt man das ziemlich einseitig wahr, es war sozusagen immer ein Abenteuer: Die Straßen waren überflutet, und man ist dann mit dem Rad gefahren und hat nicht gesehen, was die Erwachsenen damit für Schwierigkeiten hatten und dass auch Existenzen gefährdet waren. Aber dieses letzte Hochwasser hat ja eine Dimension gehabt, die keiner sich vorstellen konnte. Und ich glaube auch, dass das einer der Gründe ist, warum die Flut so verheerend war. Man war Hochwasser gewöhnt und denkt, na ja, das kommt immer mal wieder und irgendwann steht dann halt die Hauptstraßen unter Wasser. Dass aber dann Häuser fortgeschwemmt werden und Autos, dass Menschen sterben: Damit rechnet man nicht.

Wenn Sie in die Zukunft blicken, was erhoffen Sie sich dann für Ihre Heimat?

Vor der Flut wurde diese Gegend auf einmal sehr, sehr interessant für Touristen, für Wanderer und Radfahrer. Der Tourismus hat sozusagen geboomt, und dann kam die Flut und hat die Bahnlinie, die sehr wichtig war, zerstört, genau wie die Radwege. Und das versucht man jetzt mühsam wieder aufzubauen. Aber das geht nicht so zügig, wie wie es eigentlich notwendig wäre. Und ich hoffe natürlich, dass das möglichst schnell geht und dass dann wieder die Leute in die Eifel strömen und diese wunderbare Natur hier genießen können.

Norbert Scheuers Roman "Mutabor" erscheint am 14.7.2022 im Verlag C. H. Beck.