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Nordkaukasus

24. November 2010

Vom 16. bis 20. November 2010 reiste Marieluise Beck, Sprecherin für Osteuropapolitik der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, zum zweiten Mal in den Nordkaukasus. Im DW-Interview schildert sie ihre Eindrücke.

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Marieluise Beck im Gespräch mit der Deutschen Welle (Foto: DW)
Marieluise Beck zurück aus Inguschetien und NordossetienBild: DW

Deutsche Welle: Frau Beck, Sie waren fünf Tage in Inguschetien und Nordossetien unterwegs. Was hat sich Ihrer Meinung nach dort verändert?

Marieluise Beck: Es ist nicht einfach, in diese Region hereinzukommen, es muss das föderale Regierungssystem zustimmen und auch die Institutionen vor Ort. Ich hatte eine Einladung des Präsidenten von Inguschetien, nachdem er in Straßburg in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates gesprochen hatte, als es um den Nordkaukasus ging. In Inguschetien hatte ich den Eindruck, dass doch versucht wird, umzusteuern, etwas stärker in Richtung Politik des Dialogs auch mit Menschenrechtsorganisationen, mit Angehörigen von Verschwundenen zu gehen. Das ist eine Politik, die durchaus Beachtung verdient.

Menschen Gedenken der Opfer des Überfalls auf die Schule in Beslan (Foto: AP)
Menschen Gedenken der Opfer des Überfalls auf die Schule in Beslan im Jahr 2004Bild: AP

Nordossetien habe ich besucht, weil ich gerne noch einmal nach Beslan gehen wollte. Ich bin dort vor drei Jahren gewesen. Es hat sich dort äußerlich nicht sehr viel verändert. Das ist schwierig, weil die Frage aufkommt, ob es für die Bevölkerung nicht ein Problem ist, mitten im eigenen Ort immer diese Erinnerung an die wahnsinnige Brutalität, Zerstörung und das Leid zu haben. Man sieht immer noch die Gebäude mit den leeren Fenstern. Das sind die beiden Gebiete, die ich besucht habe. Nach Tschetschenien und Dagestan zu gehen ist im Augenblick kaum möglich.

Aus welchem Grund?

In Dagestan gibt es militärische Auseinadersetzungen. Tägliche Anschläge sind so verbreitet, dass sich die Sicherheitsfrage ganz extrem stellt. Ich kann nicht andere in Gefahr bringen, damit sie für meine Sicherheit sorgen. Und in Tschetschenien gibt es ein politisches Problem. Durch einen Präsidenten Kadyrow möglicherweise eingeladen zu werden, ist eine ziemlich heikle Angelegenheit, wenn man bedenkt, dass derzeit in Österreich ein ausgesprochen prekärer Prozess geführt wird, nämlich wegen der Ermordung von Asylsuchenden, Schutzsuchenden aus Tschetschenien in Österreich. Zumindest der österreichische Geheimdienst geht davon aus, dass die Spuren direkt zum tschetschenischen FSB-Geheimdienst, den militärischen Machtstrukturen führen. Ich glaube, da ist man im Augenblick gut beraten, sich ein bisschen zurückzunehmen.

Gab es während Ihrer Reise etwas, was Sie überrascht hat?

In Inguschetien war ich schon erstaunt über die Zivilität eines Präsidenten, der immerhin General gewesen ist. Wir erwarten vom russischen Militär eher nicht, dass es in dieser Weise zivil auftritt. Ich kann nur hoffen, dass nicht von Seiten der Extremisten dieses Model, was sie vielleicht gar nicht wollen, kaputt gemacht wird. Der Anschlag auf Präsident Jewkurow war vermutlich genau das: jemanden wegzusprengen, der doch möglicherweise in Richtung einer Politik der Versöhnung gehen könnte und damit auch die islamistischen Kräfte aus dem Land raus hält. Was aber natürlich auch bedeutet, den FSB endlich in seine Schranken zu verweisen und eine Politik der staatlichen Willkür nicht mehr zuzulassen.

Karte Nordossetiens, Inguschetens und Dagestans (Grafik: DW)
Konfliktregion Nordkaukasus

Ist die Rolle Moskaus in der Region konstruktiv oder eher kontraproduktiv?

Ich bin sehr vorsichtig mit der Bewertung, denn es liegen so viele Schichten übereinander, dass ein Urteil schwer zu fällen ist. Wir hatten ein bisschen den Eindruck, dass man zwei Modelle betrachten kann, wenn man diese beiden Länder nebeneinander stellt. Das Modell Inguschetien mit Präsident Jewkurow ist eher ein Medwedew-Modell, was doch verstanden hat, dass staatliche Willkür und Gewalt letztlich den Extremisten in die Hände arbeiten. Und in Nordossetien ist eher noch das alte, fast sowjetisch wirkende System, das auf Demonstration der Macht setzt und damit mehr nach dem Modell des Ministerpräsidenten Putin aussieht.

Was könnten Deutschland und Europa unternehmen, um Stabilität in der Region zu gewährleisten?

Die Einflussnahme auf der Ebene der Machtapparate ist sicherlich durchaus eingeschränkt. Die Macht liegt in Moskau, das muss man sich schon klarmachen. Insofern ist es eine mittelbare Einflussnahme. Was wirklich im langfristigen Sinne Einfluss schafft, ist die Arbeit mit jungen Menschen, mit Akademikern. Ich habe eine Universität in Nasran besucht, mit 150 jungen Menschen, die neugierig und wissbegierig sind, die Deutsch sprechen und die Kontakt haben möchten. Ich setze auf ein hohes Maß an Öffnung, was bedeutet, dass wir restriktive Visumregimes wirklich abschaffen müssen. Ich setze auf Begegnung, dass wirklich Kontakte hergestellt werden, Professoren für eine gewisse Zeit vor Ort sind, aber eben auch der Austausch zu uns in offene Gesellschaften möglich ist. Das ist auf lange Sicht gesehen die allerklügste Form der Einflussnahme.

Das Gespräch führte Nikita Jolkver
Redaktion: Markian Ostaptschuk / Gero Rueter