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Nordkoreaner in Südkorea

1. Dezember 2010

Immer mehr Nordkoreanern gelingt es, nach Südkorea zu fliehen. Doch dort angekommen – in einer vollkommen anderen, modernen Gesellschaft – kämpfen sie mit ihrer eigenen Überforderung und der Ablehnung der Südkoreaner.

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Riesiges Propaganda-Plakat vor Hochhäusern (Foto: dw)
Propaganda-Plakat in Nordkoreas Hauptstadt PjöngjangBild: Lina Elter

Der Nordkoreaner Sehyuk Oh war 21 Jahre alt, als er ohne seine Familie nach Südkorea floh. In Nordkorea musste er täglich harte Feldarbeit leisten. Da sein Vater aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen worden war, blieb dem Sohn selbst der kleinste Bürojob verwehrt. Irgendwann wurde Sehyuk bewusst, dass sich sein Leben in Nordkorea nicht bessern würde. Mit viel Glück gelang ihm die lebensgefährliche Flucht über die Grenze nach China. In Peking sprang er schließlich über die Mauer der deutschen Botschaft, von dort wurde er nach Südkorea gebracht. Seine Familie in Nordkorea hat er seitdem nicht wieder gesehen.

Sehyuk Oh ist heute 29 und lebt seit mittlerweile acht Jahren in Seoul, der Hauptstadt Südkoreas. Er erinnert sich aber noch genau, welche Momente für ihn anfangs eine besondere Herausforderung waren. "Als ich zum ersten Mal in meine neue Wohnung kam", sagt er, "war sie völlig leer und meine Stimme hallte von den Wänden. Da habe ich wirklich verstanden, dass ich ganz alleine bin."

Schwieriger Anpassungsprozess

Eine Straße mit ein paar wenigen Passanten in Pjöngjang (Foto: dw)
Straße in PjöngjangBild: Lina Elter

Die Menschen in Nordkorea leben völlig isoliert vom Rest der Welt und dürfen ihr Land nicht verlassen. Doch immer mehr Nordkoreaner schaffen es, vor dem repressiven Regime und den schlechten Lebensbedingungen zu fliehen. Letztes Jahr erreichten fast 3000 nordkoreanische Flüchtlinge Südkorea.

Aber mit der Ankunft im Süden beginnt für die Flüchtlinge auch ein langwieriger und schwieriger Anpassungsprozess. Als erstes überprüft der südkoreanische Geheimdienst, ob es sich nicht um Spione handelt, die das nordkoreanische Regime einschleusen will. Wenn die Herkunftsgeschichte akzeptiert wird, kommen die Nordkoreaner in das staatliche Hanawon, das "Haus der Einheit". Hanawon ist eine ausgedehnte Anlage rund 80 Kilometer südlich von Seoul mit Unterkünften, einer Klinik, Unterrichtsräumen, Werkstätten und einer Bibliothek.

In Hanawon sollen die Flüchtlinge vor allem das Basiswissen erlernen, um in der neuen, modernen Welt einigermaßen zurechtzukommen. So lernen sie unter anderem, wie man ein Konto eröffnet, eine Bewerbung schreibt oder elektrische Geräte bedient.

Erste Schritte und eigene Entscheidungen

Fußgängerzone mit vielen Menschen und viel Leuchtreklame am Abend (Foto: dw)
Shoppingviertel Myeongdong in SeoulBild: Lina Elter

Sehyuk Oh verlässt Hanawon nach drei Monaten mit einem Startgeld zum Wohnen und Leben von rund 22 Millionen Won (ca. 14.500 Euro). Trotz aller Vorbereitung ist er zuerst überfordert vom alltäglichen Leben in der Millionenmetropole Seoul. Aber er macht erste Schritte in sein neues Leben. Er besorgt sich einen Telefonanschluss und kurz darauf findet er Arbeit auf einer Baustelle. Er ist glücklich, sein eigenes Geld zu verdienen.

Für nordkoreanische Flüchtlinge ist es völlig neu, Entscheidungen für sich und ihr Leben zu treffen. Sie sind es nicht gewöhnt, denn das Regime in Nordkorea gibt alles vor: Wo man lebt, zur Schule geht, welchen Beruf man ausübt. In Südkorea sind sie dann plötzlich für sich selbst verantwortlich.

"Viele freuen sich, nun eine Wahl zu haben. Aber manchen ist dabei nicht klar, dass Entscheidungen Konsequenzen haben", sagt Soo-Jin Clare Park, die in Seoul für die Menschenrechtsorganisation 'Citiziens Alliance for North Korean Human Rights' arbeitet und sich um nordkoreanische Flüchtlinge wie Sehyuk Oh kümmert. Manchmal kämen Nordkoreaner deshalb bei dem Versuch, schnelles Geld für Verwandte im Norden zu verdienen mit dem Gesetz in Konflikt. In Nordkorea würde man dann einfach die Polizei bestechen, um das Problem zu lösen. Aber in Südkorea gibt es klare Regeln.

Keine Helden mehr

Auch in anderer Hinsicht, sagt Sehyuk Oh, kollidieren einige seiner Landsleute mit der Realität in der neuen Gesellschaft: "Manche Nordkoreaner, die nach Südkorea kommen, haben viel zu hohe Erwartungen, auch an sich selbst." Sie würden zum Beispiel Diplomat werden wollen, ohne realistisch einzuschätzen, dass man dafür in Südkorea eine lange Ausbildung, Geld oder auch Beziehungen brauche.

Soo-Jin Clare Park sitzt in einem Büro an einem Konferenztisch (Foto: Soo-Jin Clare Park)
Soo-Jin Clare ParkBild: Soo-Jin Clare Park

Viele Südkoreaner begegnen den Flüchtlingen aus dem Norden zudem voreingenommen und ablehnend. Anders als in den 70er oder 80er Jahren werden die Flüchtlinge nicht mehr als tapfere Helden gefeiert. Damals waren es ein paar hundert. Heute leben rund 20.000 Nordkoreaner in Südkorea. Aber über 60 Jahre nach der Trennung der Halbinsel wollen immer weniger Südkoreaner etwas mit den Problemen des verarmten Nordens zu tun haben.

Manche Südkoreaner denken, die Flüchtlinge kommen hierher, nehmen ihnen die Jobs weg und sie müssen auch noch Steuern für sie zahlen", sagt die 28-jährige Menschenrechtlerin Soo-Jin Clare Park. "In meiner Generation wurde mir in der Schule noch beigebracht, dass wir eine Nation sind und wir alle wollten die Wiedervereinigung. Die Kinder heute wollen das nicht."

Eine Freiheit fehlt

Sehyuk Oh hat nie aufgegeben: Er hat seinen Führerschein gemacht, einen Teilzeitjob in einem Supermarkt gefunden und studiert nun sogar an einer Universität in Seoul. Trotzdem sagt Sehyuk Oh, sei es ein langer Prozess bis man ein richtiges Mitglied der südkoreanischen Gesellschaft sei: "Viele Nordkoreaner haben diesen einen mutigen Moment, wenn sie fliehen. Aber um sich in diese Gesellschaft zu integrieren, braucht es viel Zeit. Und für Nordkoreaner ist es schwer."

Seine Flucht aus Nordkorea bereut Sehyuk Oh nicht. In Südkorea kann er offen seine Meinung sagen und sein Leben selbst gestalten. Doch die Freiheit, seine Familie im Norden zu besuchen hat er nicht – nicht solange das kommunistische Regime an der Macht ist.

Autorin: Lina Elter
Redaktion: Marco Müller