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NS-Raub? Nicht nur in der Kunst

Sarah Judith Hofmann21. November 2013

Der Münchner Kunstfund bei Cornelius Gurlitt hat eine Debatte über Restitution entfacht. Kunst ist dafür nur ein Beispiel. Auch für Grund und Boden, das einst Juden gehörte, wurden die Erben bislang kaum entschädigt.

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Außenansicht des Möbelhauses Hermann Gerson in der Berliner Werderstraße, um 1890 (Copyright: Stadtmuseum Berlin)
Bild: Stadtmuseum Berlin

Zeitungen von München bis New York berichten über den Fall Gurlitt – seit vor mittlerweile gut zwei Wochen rund 1400 Werke berühmter Künstler wie Henri Matisse, Max Liebermann oder Marc Chagall in der Münchner Wohnung des Kunsthändler-Sohns Cornelius Gurlitt gefunden wurden. Die Geschichte dieses spektakulären Kunstfunds zeigt: Bis heute wurden die meisten Erben für das Eigentum, das ihren jüdischen Familien von den Nationalsozialisten geraubt wurde, nicht angemessen entschädigt. Und das trifft keineswegs nur auf Kunst zu, bei der man meinen könnte, es läge daran, dass die Kunstwerke schlicht noch nicht wiedergefunden wurden.

Es lohnt ein Blick auf Berlins "neue Mitte". Hier leben heute junge Israelis, Deutsche, Amerikaner und überhaupt Menschen aus aller Welt miteinander, oder schauen sich die Gegend rund um Fernsehturm und Rotes Rathaus als Touristen an. Was kaum einer von ihnen weiß: Eben diese Gegend des alten Berliner Stadtzentrums war einst deutsch-jüdisch geprägt. Gut ein Fünftel der Häuser, die hier bis 1933 standen, gehörte jüdischen Deutschen. Sie alle verloren ihren Besitz an die Nationalsozialisten.

Straßenszene auf dem Hausvogteiplatz, um 1932 (© Berlin-Mitte-Archiv)
Der Berliner Hausvogteiplatz um 1932. Rot markiert ist das Haus einer jüdischen Familie.Bild: Berlin-Mitte-Archiv

"Im übrigen Deutschland, oder auch in anderen Teilen Berlins, waren oft private Ariseure zugange - wenn auch häufig über den Zwischenschritt einer Gläubigerbank." [Die Weitergabe jüdischen Eigentums an "arische" Besitzer wurde staatlich organisiert. Anm. der Redaktion]. Hier im Stadtkern hat aber tatsächlich die Stadt und am Ende der Staat ein so großes Interesse an diesen Flächen gehabt, dass er sich selbst in Besitz dieser brachte." Der Architekt Lutz Mauersberger hat gemeinsam mit dem Historiker Benedikt Goebel eine Ausstellung ins Leben gerufen, die sich der jüdischen Geschichte des Berliner Stadtzentrums widmet. "Geraubte Mitte" ist eine kleine Schau im Berliner Ephraim-Palais, doch ihr Inhalt birgt Sprengstoff.

Denn heute ist Berlins Mitte nicht allein ein attraktiver Ort für Touristen, sondern auch für Investoren. Von den Plänen großer Architektenbüros wie "Graft Architekten" oder David Chipperfield bis zu luxuriösen Mietshäusern designt von Philippe Starck – Grund und Boden in Berlins Mitte ist heute viel wert. Die meisten Flächen gehören inzwischen dem Land Berlin, einige wenige auch dem Bund. Den Erben der einstigen Besitzer wurde – wenn überhaupt – nur eine geringe Entschädigung gezahlt.

Der Berliner Hausvogteiplatz 2013. Rot markiert, ein Neubau auf dem einstigen Grundstück einer jüdischen Familie. (© Stadtmuseum Berlin)
Kaum wiederzuerkennen: Der Berliner Hausvogteiplatz 2013. An der Stelle des einst jüdischen Hauses steht mittlerweile ein Neubau.Bild: Stadtmuseum Berlin

Das hat durchaus Gründe. Denn kaum ein Gebiet hat sich seit 1933 städtebaulich so kontinuierlich verändert wie das der Berliner Mitte. Die Nationalsozialisten wollten hier ihre neue "Reichshauptstadt Germania" errichten und die historische Altstadt durch monumentale Verwaltungsgebäude ersetzen. Hitlers Lieblingsarchitekt Albert Speer wurde zum Generalbauinspektor Berlins ernannt und seine Behörde entschied, welche jüdischen Grundstücke man zu diesem Zweck gut gebrauchen könnte. Diese wurden dann ins Staatsbesitz gebracht. "Mit welcher Akribie und Systematik hier über fremdes Eigentum verhandelt wurde", so erzählt Mauersberger von den Recherchen zu der Ausstellung, "war mir bis dahin fremd". Teilweise wurde den Eigentümern eine – natürlich viel zu geringe – Kaufsumme gezahlt. Teilweise nahm sich der NS-Staat den Besitz ohne auch nur den Anschein eines Kaufes zu erwecken, indem er die Menschen, die zur Emigration gezwungen waren, schlichtweg ausbürgerte.

Alles, was in der von Speer geplanten Ost-West-Achse lag, die mitten durch das alte Zentrum führen sollte, wurde gesprengt. Diese Häuser sind heute kaum wiederzufinden, weil es nicht einmal mehr die Straßen gibt, in denen sie einst standen. Den Rest besorgte der Bombenkrieg und schließlich die DDR, die auch kein großes Interesse daran hatte, ruinierte Altbauten oder überhaupt alte Strukturen zu bewahren.

Die Kuratoren der Ausstellung "Geraubte Mitte": Benedikt Goebel (links) und Lutz Mauersberger (Copyright: Stadtmuseum Berlin)
Die Kuratoren der Ausstellung Benedikt Goebel (links) und Lutz MauersbergerBild: Stadtmuseum Berlin

Mathias Wolski ist zu einer Ausstellungsführung von Lutz Mauersberger gekommen. Er ist in der DDR aufgewachsen. "Im Osten sozialisiert", wie er sagt, genauer: in Berlins Mitte. "Ich habe meine Kindheit auf diesem leergeräumten Mitte verbracht und mir nie Gedanken darüber gemacht, wem das alles mal gehört hat", sagt er. Eigentum spielte in der DDR keine Rolle, alles sollte der Volksgemeinschaft gehören. Dementsprechend wurde in den Jahren zwischen der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik 1949 bis zur Wiedervereinigung 1990 auch nicht restituiert. "Die Anfragen von Erben aus den USA oder Israel wurden auf die diplomatische Ebene verwiesen", weiß Lutz Mauersberger. "Wenn es die Politik des Staates ist, privates Eigentum zu verstaatlichen, warum sollte man dann irgendeine Personengruppe davon ausnehmen?"

Erst 1990 konnten die Erben der einst jüdischen Eigentümer erneut versuchen, eine Restitution zu erreichen. Zuständig ist dafür bis heute das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV), angesiedelt im Bundesfinanzministerium. Hier kümmert man sich um jegliche Form von Restitutionsansprüchen, ganz gleich, ob es sich um Grund und Boden oder um Kunstwerke handelt. Bei der Akteneinsicht zucke er jedes Mal zusammen, meint Mauersberger. "Da gibt es kein Wort des Bedauerns, sondern einfach ganz trockene Verwaltungssprache."

Außenansicht, Ephraim-Palais (© Stadtmuseum Berlin | Foto: Oliver Ziebe)
Auch der Ephraim Palais wurde für "Germania" abgebaut. Die Fassade wurde jedoch an anderem Ort gelagert und blieb erhalten. Heute steht der Palais wieder am einstigen Ort und beherbergt das Berliner Stadtmuseum.Bild: Stadtmuseum Berlin/Oliver Ziebe

Lag das Grundstück zum Zeitpunkt der Antragstellung mitten auf einer Straßenkreuzung oder einer Wiese, so wurde nicht restituiert oder wenn überhaupt sehr gering – je nach Schätzwert. Heute aber werden in Berlin nicht wenige dieser einstigen "Wiesen" und Brachflächen wieder zu Bauland erklärt. Damit könnten neue Restitutionsansprüche entstehen und völlig neue Summen. Denn – wie eingangs erwähnt – Berlins Mitte ist bei internationalen Investoren gefragt.

"Wir sind der Meinung, es muss neu verhandelt werden", sagt Ausstellungsmacher Mauersberger. "Auch in den Fällen, in denen es vielleicht keinen Rechtsanspruch gäbe, würde es der Stadt gut zu Gesicht stehen, sich dieser moralischen Verantwortung zu stellen." Man könne ja auch einen gewissen Prozentsatz der durch den Verkauf von Bauland eingenommenen Gelder an eine Stiftung überweisen, die sich der Erinnerungskultur widmet.

In Berlins Senat ist man sich derzeit nicht einig, wie mit der neuen Bebauung und möglichen Restitutionsansprüchen umgegangen werden sollte. Berlins Kulturstaatssekretär André Schmitz bekennt zwar, die Ausstellung gebe "Anlass und Material für ein neues Nachdenken über die zerstörte und entsorgte historische Mitte und ihre gesellschaftliche wie stadtplanerische Bedeutung." Doch was das für die jüdischen Erben des Baulandes heißt, bleibt unklar. Für den geborenen Berliner Mathias Wolski ist klar: "Es ist so viel Unrecht geschehen, dass man das materiell nicht wieder gut machen kann." Aber man solle doch wenigstens offenlegen, dass an diesen Orten einmal jüdische Deutsche gewohnt haben.