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Politik

NSU-Morde: Beate Zschäpes tödlicher Hass

Hans Pfeifer München
11. Juli 2018

In einem der spektakulärsten deutschen Terrorprozesse wird Beate Zschäpe zu lebenslanger Haft verurteilt. Am Ende bleibt die Kälte der Neonazis, ihrer Helfer und ihrer Unterstützer im Gerichtssaal. Hans Pfeifer, München.

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Deutschland NSU Prozess
Bild: Reuters/M. Rehle

Schwarze Hose, schwarzes Shirt und schwarzes Sakko - Beate Zschäpe setzt am Tag ihrer Verurteilung ein Zeichen. Sie trägt schwarz. Vor allem trägt sie es nicht allein. Neben ihr sitzen auf der Anklagebank zwei ihrer Terrorhelfer. Auch sie tragen schwarz. Und auf den Zuschauerbänken versammeln sich zahlreiche sauber gescheitelte Männer und Frauen - es sind Neonazis, Rechtsterroristen und Unterstützer der Angeklagten, die ebenfalls schwarz tragen. Ihre Botschaft an den deutschen Rechtsstaat: Sie lehnen dieses Gericht und diesen Staat mit seinen Repräsentanten ab. Egal wie grausam die Taten waren. Egal wie das Urteil an diesem Mittwoch ausfällt: die Solidarität steht.

Lebenslange Freiheitsstrafe für Zschäpe

Über 200 Menschen kommen ein letztes Mal in diesem Münchener Gerichtssaal zusammen: Angeklagte, Ankläger, Opferangehörige, dazu das Heer an Rechtsanwälten, Journalisten und Beobachtern. Die Anspannung ist spürbar. Das Urteil ist der Höhepunkt der jahrelangen juristischen Aufarbeitung einer der grausamsten Mordserien der deutschen Nachkriegsgeschichte. Neun Migranten und eine Polizistin wurden ermordet. Es gab Sprengstoffanschläge und Raubüberfälle. Beate Zschäpe und die Mitglieder des selbsternannten "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) haben Deutschland bis zu ihrer Enttarnung im Jahr 2011 mit rechtsextremem  Terror überzogen. Gestoppt hat sie niemand. Erst mit der Selbsttötung von Zschäpes Verbündeten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einem gescheiterten Banküberfall enden die Verbrechen. Jetzt ist sie als letzte lebende Mittäterin angeklagt, gemeinsam mit vier mutmaßlichen Helfern.

Deutschland NSU Prozess
Beate Zschäpe nimmt das Urteil ohne Regung entgegenBild: Reuters/M. Rehle

Als Richter Manfred Götzl an diesem 438. Verhandlungstag ein letztes Mal den Gerichtssaal betritt, erhebt sich der Saal. Nur einige der Schwarzhemden bleiben provozierend sitzen. Götzl ignoriert sie. Er legt gleich mit dem Urteil los: lebenslange Freiheitsstrafe für Beate Zschäpe. Wegen der besonderen Schwere der Schuld kann sie keine frühzeitige Haftentlassung bekommen. Die 43-Jährige nimmt das Urteil scheinbar ungerührt auf. Noch ist es nicht rechtskräftig.

In seiner Begründung listet Richter Götzl jede einzelne Tat auf. Die Brutalität und Verachtung der Täter macht auch die erfahrenen Gerichtsreporter im Saal wieder fassungslos: Schuss in den Kopf aus nächster Nähe. Schuss in die Brust. Neun Schüsse in den Kopf. Die Opfer hatten keine Chance. Sie saßen ahnungslos in ihrem Laden oder hinter ihrem Schreibtisch. Das Motiv der Täter: Rassismus. Sie hassen Menschen, die nicht dem entsprechen, was sie selber für "deutsch" halten. Sie wollten Angst und Verunsicherung unter Einwanderern verbreiten, sagt Richter Götzl. Während seiner Ausführungen tuscheln die zahlreichen Rechtsextremisten unter den  Zuschauern. Manchmal feixen sie, einige schlafen ein. 

Kein Schlussstrich für die Opferfamilien

Für die Opferfamilien ist die Wiederholung der nackten Zahlen zum Tod ihres Sohnes, Vaters oder Bruders nur schwer zu ertragen. Viele von ihnen kämpfen an diesem Tag mit den Tränen und mit der Fassung.

Das Prozessende bringt ihnen keine Erleichterung. Beate Zschäpe wird zwar auf ganzer Linie schuldig gesprochen. Aber sie hat nie etwas zur Aufklärung der Morde beigetragen. Wenn sie geredet hat in diesem Prozess, dann war ihre gespielte Naivität eine Ohrfeige für die Opfer.

NSU Prozess 30.09.2013 München Ayse Yozgat
Ayse Yozgats Sohn Halit wurde Opfer der Neonazis Bild: picture-alliance/dpa

Neonazis inszenieren Eklat im Gericht

Der Prozess endet dann sogar noch mit einem Eklat. Denn einer von Zschäpes engsten Weggefährten kann das Gericht als freier Mann verlassen. André E. hat ihr jahrelang im Untergrund die Treue gehalten. Er hat sie gedeckt und unterstützt. Auf seinen Körper hat er sich den Hass tätowiert: "Die Jew Die", "Stirb Jude stirb". André ist zu einem Helden der rechten Szene geworden, weil er in diesem Prozess jegliche Zusammenarbeit verweigert hat. Weil er lieber ins Gefängnis ging als rechte Kameraden zu belasten. André E. ist im NSU-Prozess zu zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden - und kommt nach dem Schuldspruch dennoch frei. Die Untersuchungshaft sei nicht mehr verhältnismäßig, sagte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl.

Als seine Freilassung bekannt gegeben wird, bricht im Gerichtssaal Jubel unter seinen Anhängern aus. Der Richter macht nach einer Ermahnung einfach weiter. Er wirkt schwach in diesem Moment. Der Hass aus der Vergangenheit wird wieder ganz lebendig. Er lebt weiter. Und er hat zahlreiche Anhänger. 

Als der Richter das Verfahren dann schließt, packt Beate Zschäpe in Ruhe ihre Sachen zusammen. Sie lächelt und plaudert noch etwas mit ihren Anwälten. Einige Verteidiger machen fröhlich Erinnerungsfotos. Zschäpe winkt noch den Gerichtsmitarbeitern zu und verschwindet dann. Sie wird sehr lange nicht mehr zu sehen sein, sollte das Urteil rechtskräftig werden. Viele wirken eigenartig zufrieden. Dass sie dabei gewesen sind bei diesem Gerichtsspektakel. Draußen vor dem Eingang steht Ayse Yozgat mit ihrem Mann Ismael. Ihr Sohn Halit wurde vor zwölf Jahren von Beate Zschäpe und den rechten Terroristen ermordet. Sie sehen aus, als wäre ihr Sohn gestern ermordet worden.

 

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Hans Pfeifer Autor und Reporter