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NSU: Neues von der V-Mann-Front

Marcel Fürstenau, Berlin7. April 2016

Der mutmaßliche Rechtsterrorist Uwe Mundlos soll für die Firma eines Verfassungsschutz-Spitzels gearbeitet haben. Die Story klingt plausibel und passt ins Bild der staatlichen Geheimniskrämerei.

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Nahaufnahme Uwe Mundlos (Foto: BKA/dpa)
Der mutmaßliche NSU-Mörder Uwe Mundlos auf einem Urlaubsfoto aus den 1990er JahrenBild: picture-alliance/dpa/BKA

Es ist Wasser auf die Mühlen von Verschwörungstheoretikern, die den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) im schlimmsten Fall für ein Produkt des Verfassungsschutzes halten. Nach Recherchen eines Reporter-Teams um "Welt"-Chefredakteur Stefan Aust sollen zwei der drei mutmaßlichen Rechtsterroristen nach ihrem Untertauchen in einer Zwickauer Firma für Abrissarbeiten gearbeitet haben. Bei Uwe Mundlos haben die Autoren keinen Zweifel, dass er von 2000 bis 2002 unter falschem Namen beim Bau-Service des Neonazis Ralf Marschner beschäftigt war. Gleichzeitig lieferte er als V-Mann aus der rechtextremistischen Szene Informationen für den Verfassungsschutz.

In den genannten Zeitraum fallen die ersten fünf von zehn rassistisch motivierten Morden, zu denen sich der am 4. November 2011 aufgeflogene NSU in einem Video bekannte. Am selben Tag wurden die Leichen von Uwe Mundlos und seines Komplizen Uwe Böhnhardt in einem ausgebrannten Wohnmobil in Eisenach gefunden. Das Duo soll sich selbst gerichtet haben, um seiner Festnahme nach einem gescheiterten Banküberfall zu entgehen. Davon gehen die Ermittler und Ankläger im NSU-Prozess aus.

Regierung schweigt "aus Gründen des Staatswohls"

Dritte im Bunde war Beate Zschäpe, die Hauptangeklagte vor dem Münchener Oberlandesgericht. Sie hat womöglich für denselben V-Mann gearbeitet wie Mundlos. Ihre Geschichte bewege sich allerdings im Bereich von Indizien, "die sein können, aber auch nicht sein können", sagte Rechercheur Aust am Donnerstag dem MDR-Hörfunk. Am Mittwochabend hatte das ARD-Fernsehen seine Dokumentation "Der NSU-Komplex" ausgestrahlt, in der erstmals von der V-Mann-Connection des Uwe Mundlos die Rede ist.

Stefan Aust (r.) und sein Kollege Dirk Laabs im Mai 2014 bei der Präsentation ihres NSU-Buches (Foto: Jörg Carstensen/dpa)
Stefan Aust (r.) und sein Kollege Dirk Laabs im Mai 2014 bei der Präsentation ihres NSU-BuchesBild: picture-alliance/dpa/J. Carstensen

Der Wahrheitsgehalt lässt sich wie in allen anderen Fällen nicht eindeutig klären, weil die Politik jede Auskunft über staatliche Spitzel verweigert. Die "Welt" erhielt von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) die übliche Antwort: Zu V-Leuten gebe die Regierung "aus Gründen des Staatswohls keine Auskunft". Und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat laut Präsident Hans-Georg Maaßen "keine Anhaltspunkte" dafür, dass Mundlos für V-Mann Marschner gearbeitet hat.

Andreas T., "Piatto", "Corelli" - lauter mysteriöse Fälle

Die neusten Enthüllungen und Gerüchte nähren erneut den Verdacht, der Staat wisse mehr über den NSU, als er zugibt. Sowohl in den zahlreichen parlamentarischen Untersuchungsausschüssen als auch beim NSU-Prozess scheitert jeder Aufklärungsversuch, wenn es um den Verfassungsschutz geht.

Eklatantester Fall ist der V-Mann-Führer Andreas T., der am 6. April 2006 in einem Kasseler Internet-Café war, als dessen Betreiber Halit Yozgat erschossen wurde. Zunächst leugnete er, den Tatort überhaupt zu kennen. Ermittlungen der Polizei, die ihn des Mordes verdächtigte, wurden eingestellt. Weiterführende Erkenntnisse befinden sich vielleicht in Akten des hessischen Verfassungsschutzes, die aber bleiben unter Verschluss.

V-Mann "Piatto" (M.) mit Kapuze über dem Kopf als Zeuge im NSU-Prozess (Foto: Marc Müller/dpa)
V-Mann "Piatto" (M.) im Dezember 2014 als Zeuge im NSU-ProzessBild: picture-alliance/dpa/Marc Müller

Auch das undurchsichtige Treiben des V-Mannes "Piatto" bleibt in vielen Punkten mysteriös, weil Informationen zurückgehalten werden. Der verurteilte Gewalttäter hat sich aus dem Gefängnis heraus selbst dem Verfassungsschutz angedient. Er soll angeblich gewusst haben, wo sich das NSU-Trio kurz nach dem Untertauchen Ende der 1990er Jahre aufhielt.

Oder V-Mann "Corelli" - mit besten Kontakten zur rechtsextremistischen Szene in Baden-Württemberg. Er starb vor zwei Jahren, am 7. April 2014, kurz vor einer geplanten Vernehmung durch die Polizei. Die Beamten erhofften sich Neues zum letzten NSU-Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn. Offizielle Todesursache des 39-Jährigen: Diabetes.

V-Mann Tino Brandt schwärmt von der guten alten Zeit

Als Schlüsselfigur im unübersichtlichen Geflecht aus NSU und Verfassungsschutz gilt Tino Brandt. Der Thüringer Neo-Nazi wurde kurz nach der Jahrtausendwende als V-Mann enttarnt und gilt in der Szene seitdem als Verräter. In seinem Umfeld radikalisierten sich auch Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Inzwischen ist er wegen Sexualdelikten zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.

In der aktuellen TV-Dokumentation zum NSU-Komplex äußert sich Brandt offenherzig zu seinem Doppelleben: "Es ändert nichts dran, dass wir die Zeit damals positiv in Erinnerung haben." Sie müssten sich nicht schämen für die Sachen, die sie politisch gemacht hätten. Natürlich habe das zusammengeschweißt: "Und da fällt - glaub ich - keiner dem Anderen in den Rücken."

V-Mann Tino Brandt im Jahr 2001 (Foto: Michael Reichel, dpa)
Bereut nichts: V-Mann Tino Brandt im Jahr 2001Bild: picture-alliance/dpa

Die neusten Enthüllungen von der V-Mann-Front haben zahlreiche Reaktionen bei Politikern und Nebenkläger-Anwälten von NSU-Opfern ausgelöst. Clemens Binninger, Vorsitzender des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, fühlt sich in seiner seit langem gehegten Skepsis bestätigt. "Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es gar keinen V-Mann gab, der zumindest wusste, wo sich das Trio aufhielt", sagte der Christdemokrat der Deutschen Presseagentur (dpa).

Opfer-Anwalt Daimagüler appelliert an Merkel

Mehmet Daimagüler, Anwalt von Opfer-Angehörigen im Münchener Strafprozess, forderte sogar eine Reaktion von höchster politischer Stelle. "Wir erwarten jetzt Antworten, auch von Merkel." Er wird dabei besonders an einen Satz gedacht haben, den die Bundeskanzlerin 2012 bei der Gedenkfeier für die NSU-Opfer in Berlin gesagt hat: "Wir tun alles, um die Morde aufzuklären."