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Erst Wohlleben, dann Zschäpe

Marcel Fürstenau, z. Z. München12. Januar 2016

Alle rechneten mit weiteren Erklärungen der Hauptangeklagten. Stattdessen mündete der erste Verhandlungstag 2016 in eine Art Vorlesestunde. Über die Hintergründe kann man nur spekulieren.

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Beate Zschäpe am ersten Verhandlungstag 2016 im NSU-Prozess Foto: REUTERS/Michael Dalder
Bild: Reuters/M. Dalder

Ihr Schweigen hat Beate Zschäpe im Dezember überraschend gebrochen. Das war allerdings erst rund zweieinhalb Jahre nach Beginn des spektakulären Prozesses gegen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) vor dem Münchener Oberlandesgericht. Mathias Grasel, ihr vierter und bevorzugter Pflichtverteidiger, verlas eine 53 Seiten lange Erklärung. Tenor: Seine Mandantin habe nichts mit den Morden an neun Männern mit ausländischen Wurzeln und einer Polizistin zu tun. Höchstens im moralischen Sinne fühle sie sich schuldig. Fragen der Nebenkläger, also der Opfer-Angehörigen, würde Zschäpe nicht beantworten. Lediglich die des Gerichts und die auch nur schriftlich.

Auf dieses in einem Strafverfahren zwar zulässige, aber vergleichsweise selten vorkommende Procedere sind am Dienstag (12.1.2016) alle gespannt. Kein Wunder, dass die Zuschauer-Tribüne voll besetzt war. Doch der Vorsitzende Richter Manfred Götzl informiert zunächst nur darüber, eine Stellungnahme der Hauptangeklagten erhalten zu haben. Zum wiederholten Male versucht sie, ihre drei seit Prozessbeginn beteiligten Pflichtverteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm loszuwerden. Dass sich die drei und Zschäpe schon lange nichts mehr zu sagen haben, ist für Prozess-Beobachter nicht zu übersehen. Man würdigt sich keines Blickes.

Richter Götzl reagiert mitunter unwirsch

Trotzdem hat Götzl bislang keinen Anlass gesehen, dem Wunsch auf Entpflichtung der Verteidiger zu entsprechen. Dabei wäre das auch im Sinne des Anwälte-Trios, das im vergangenen Jahr ebenfalls Anträge auf Entpflichtung stellte - vergeblich. Womöglich befürchtet der Vorsitzende Richter, das Strafverfahren könnte ihm dann entgleiten. Götzl ist erfahren. Wer ihn seit Mai 2013 beim NSU-Prozess erlebt, kennt seine mitunter aufbrausende Art, aber auch seine unendliche Geduld. Das klingt widersprüchlich, ist es aber nicht. Götzl mag es nur nicht, wenn Verfahrensbeteiligte aus seiner Sicht zu forsch auftreten.

Manfred Götzl, Vositzender Richter im NSU-Prozess, vor einem Aktenordner. Foto: Tobias Hase/dpa
Lässt nicht mit sich spaßen: Manfred Götzl, Vorsitzender Richter im NSU-ProzessBild: picture-alliance/dpa

Auf die Einhaltung der Strafprozessordnung pocht dieser Richter geradezu humorlos. Warum er aber nach der Zschäpe-Erklärung im Dezember nun zunächst darauf verzichtet, ihre Antworten auf seine über 50 Fragen zu verlesen, bleibt unklar. Vielleicht will er den Verteidigern der Hauptangeklagten auf subtile Weise zeigen, was er von ihrer Strategie hält. Denn natürlich wäre eine mündliche Befragung Zschäpes aussagekräftiger und böte ihm die Chance, mehr aus ihr herauszuholen.

Zschäpe will sich keine Blöße geben

Durch das von Götzl akzeptierte schriftliche Verfahren bleiben der mutmaßlichen Rechtsterroristin die Unwägbarkeiten einer mündlichen Aussage erspart. Zschäpe könnte sich in Widersprüche verstricken, durch Gestik und Mimik Unsicherheit verraten. So bleibt es beim Bild von der Frau Anfang 40, die zuletzt ihre vorübergehend eingebüßte Selbstsicherheit im wortlosen Auftreten wiedergewonnen hat. An der Seite Grasels und ihres seit Dezember hinzugekommenen Wahlverteidigers Hermann Borchert lässt sich Zschäpe vor Verhandlungsbeginn im Sitzungssaal A 101 sogar bereitwillig fotografieren und filmen.

Mathias Grasel (r.) und Hermann Borchert genießen Beate Zschäpes Vertrauen im NSU-Prozess Foto: REUTERS/Michael Dalder
Mathias Grasel (r.) und Hermann Borchert genießen Beate Zschäpes VertrauenBild: Reuters/M. Dalder

Statt um Zschäpe geht es zum Jahresauftakt des NSU-Prozesses um ausführliche, langwierig von Gerichtsseite vorgetragene Stellungnahmen und Gutachten. Sie haben mit Anträgen auf Zeugenbefragungen und Beweisstücken, sogenannten Asservaten, zu tun. Für die Zuschauer, von denen etliche extra nach München gereist sind, ist das enttäuschend. Wahrscheinlich werden sie in dieser Woche ganz auf weitere Aussagen Zschäpes verzichten müssen. Denn zunächst soll es mit der Vernehmung des Mitangeklagten Ralf Wohlleben weitergehen. Der hat kurz vor Weihnachten ebenfalls sein Schweigen gebrochen und sogar selbst ausgesagt. Das will er auch weiterhin tun und dabei Fragen aller Prozessbeteiligten beantworten. Zunächst meldete sein Verteidiger Olaf Klemke jedoch Beratungsbedarf seines Mandanten an. Der NSU-Prozess beginnt 2016 ausgesprochen schleppend. Es ist der 253. Verhandlungstag…