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NSU-Prozess: Kein Ende in Sicht

Marcel Fürstenau31. März 2014

Im Strafverfahren gegen die rechtsextremistische Terrorgruppe sind 99 Verhandlungstage vorbei und weitere 86 angesetzt. Dass danach die Urteile fallen, darf nach dem bisherigen Verlauf bezweifelt werden.

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NSU-Prozess in München 05.09.2013
Bild: picture-alliance/dpa

Die mutmaßlichen Serien-Mörder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos können nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden. Sie haben sich am 4. November 2011 das Leben genommen, um ihrer Festnahme zu entgehen. Dass die beiden Rechtsextremisten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zehn Menschen erschossen haben, davon kündet ein Bekenner-Video des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Darin rühmen sich die Verfasser mit unfassbarer Menschenverachtung ihrer Taten. Sie lassen die bekannte Comic-Figur Paulchen Panther durchs Bild stolzieren und mit Fotos der toten Opfer prahlen.

Das Video ist ein wichtiges Beweismittel im NSU-Prozess vor dem Münchener Oberlandesgericht (OLG), in dem am Dienstag (01.04.2014) der 100. Verhandlungstag ansteht. Die Freundin und Komplizin der beiden Uwes, Beate Zschäpe, hätte die Video-Spur verwischen können. Sie tat aber das Gegenteil und verschickte mehrere Kopien an Medien, bevor sie sich vier Tage nach dem Freitod ihrer Neonazi-Kameraden der Polizei stellte. Warum sich Zschäpe so widersprüchlich verhielt, gehört zu den vielen offenen Fragen. Als Hauptangeklagte im NSU-Prozess könnte sie entscheidend zur Aufklärung der Mordserie beitragen, hat aber seit Verhandlungsbeginn am 6. Mai 2013 kein einziges Wort gesprochen.

Die Opfer-Familien sind vom Prozessverlauf tief enttäuscht

DasSchweigen der 39-Jährigen ist vor allem für die vielen Angehörigen der Opfer viel mehr als eine Geduldsprobe. Sie erleben das Verhalten der wegen Mordes angeklagten Zschäpe als bewusst inszenierte Verlängerung ihrer endlosen Leidenszeit. Nach dem Tod ihrer Männer, Väter, Söhne oder Geschwister wurden die Familienangehörigen von den Ermittlern über Jahre verdächtigt, in die Taten verwickelt zu sein. Erst mit der Selbstenttarnung des NSU war es damit vorbei. Durch das Versprechen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die rassistisch motivierten Taten schonungslos aufzuklären, schöpften die Angehörigen Trost und Mut für die Zukunft.

Kanzlerin Merkel (M.) zwischen Angehörigen der NSU-Opfer und Repräsentanten des Staates auf der Gedenkfeier 2012 in Berlin.
Kanzlerin Merkel zwischen Opfer-Angehörigen und Repräsentanten des Staates auf der Gedenkfeier im Februar 2012 in Berlin.Bild: dapd

Knapp elf Monate nach Prozess-Beginn und unter dem Eindruck von inzwischen 99 Verhandlungstagen haben die meisten Nebenkläger jedoch den Glauben an einen fairen Prozess und ein in ihren Augen gerechtes Urteil verloren. Dabei spielt Zschäpe im wahrsten Sinne des Wortes eine maßgebliche Rolle. Ihr Verhalten müssen die Angehörigen als gezielte Provokation empfinden. Die Hauptangeklagte tritt betont selbstbewusst auf, mitunter wirkt sie bestens gelaunt. Wenn alte Weggefährten als Zeugen erscheinen, darunter ihre Mutter und ein Cousin, gibt sich Zschäpe ungerührt.

Beate Zschäpe vermeidet jedes Anzeichen von Schwäche

Ganz anders geht sie mit ihren drei Pflichtverteidigern um, die sich beim Betreten des Sitzungssaals A 101 stets schützend vor sie stellen, um neugierigen Fotografen die Arbeit zu erschweren. Im Gespräch mit ihrem Verteidiger-Trio huscht der Rechtsextremistin häufig ein Lächeln übers Gesicht, das auch von der etwa drei Meter höher gelegenen Besucher-Tribüne aus gut zu erkennen ist. Zschäpe lässt mit ihrer Mimik viel Raum für Spekulationen, sie scheint mit den Gefühlen der Opfer-Angehörigen zu spielen. Nur selten kommt es vor, dass sie durch ihren Rechtsbeistand ausrichten lässt, ihr sei unwohl und sie könne dem Geschehen nicht mehr folgen. Wahrscheinlich stimmt das sogar. Aber die mutmaßliche Rechtsterroristin, der die Staatsanwaltschaft keine unmittelbare Tatbeteiligung nachweisen kann, will auch das kleinste sichtbare Anzeichen der Schwäche vermeiden.

Beate Zschäpe zwischen ihren Verteidigern.
Zschäpe zwischen ihren VerteidigernBild: picture-alliance/dpa

Für die Opfer-Angehörigen ist es nur ein schwacher Trost, dass zwei der wegen Beihilfe zum Mord Mitangeklagten die Mauer des Schweigens durchbrochen haben. Carsten S. und Holger G. wollen aber von der Mordserie nichts gewusst haben. André E. und der frühere hochrangige Funktionär der rechtsextremen NPD, Ralf Wohlleben, halten es wie die Hauptangeklagte: Sie schweigen. Aber unabhängig von der Verstrickung der vier Männer in die Terrorgruppe ist und bleibt Beate Zschäpe das Gesicht des NSU-Prozesses.

Carsten S. verbirgt sein Gesicht unter einer Kapuze.
Carsten S.Bild: picture-alliance/dpa

Viele fragwürdige Zeugen

Der Mensch hinter diesem Gesicht wird wohl auch die kommenden 86 Verhandlungstage den Mund nur für ein gelegentliches Lächeln oder Gähnen öffnen. Bis kurz vor Weihnachten dieses Jahres ist das Strafverfahren terminiert. Ein Urteil dürfte es aber erst 2015 geben. Dafür spricht der bisherige Prozessverlauf mit weit mehr als 100 zum Teil fragwürdigen Zeugen. Sie stammen aus dem persönlichen Umfeld der Angeklagten, der Neonazi-Szene, aber auch vom Verfassungsschutz. Vernommen werden zudem zahlreiche Sachverständige, die Spuren gesichert oder überprüft haben, und Augenzeugen von den Tatorten. Wobei es keinen gibt, der einen Mord beobachtet hätte.

Es ist diese letztlich unvermeidliche Mischung der Beweisaufnahme, die den NSU-Prozess so anstrengend und emotional belastend macht. Das ist besonders dann der Fall, wenn Angehörige der Opfer über ihr Leid berichten. Sie sind aber nicht nur wegen der Verschwiegenheit Zschäpes empört. Irritationen löst bei ihnen gelegentlich der Vorsitzende Richter Manfred Götzl aus, wenn er hartnäckig fragende Nebenkläger-Anwälte zurechtweist. Der Ton mag zuweilen unangemessen sein, Verstöße gegen die Strafprozessordnung kann man Götzl jedoch nicht vorwerfen.

Gamze Kubasik: "Immer mehr Fragen, immer weniger Antworten"

Auf Unverständnis stößt allerdings oft das Gebaren der Staatsanwaltschaft, wenn sie Beweisanträge der Nebenkläger-Anwälte für irrelevant erklärt. Rechtsanwalt Sebastian Scharmer, der die Interessen der Familie des 2006 in Dortmund ermordeten Mehmet Kubasik vertritt, wirft der Anklage offen fehlendes Aufklärungsinteresse vor. Gamze Kubasik, Tochter des achten von zehn NSU-Opfern, ist kurz vor dem 100. Prozesstag tief enttäuscht. Das Schlimmste sei, "dass es immer mehr Fragen und immer weniger Antworten gibt", sagte sie dem "Tagesspiegel".

Gamze Kubasik im Sitzungssaal
Gamze Kubasik im SitzungssaalBild: picture-alliance/dpa

Bundesanwalt Herbert Diemer äußerte sich gegenüber derselben Zeitung hingegen zufrieden. Die gerichtliche Klärung der Tatvorwürfe sei auf einem "gutem Weg". Die bisherige Beweisaufnahme spiegele die Ermittlungsergebnisse wider. In der Anklageschrift wirft der Generalbundesanwalt Beate Zschäpe vor, zehn Menschen "heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen" getötet zu haben. Zschäpe-Verteidiger Wolfgang Heer sieht sich trotzdem in seiner Überzeugung bestätigt: Es hätten sich bislang keine rechtsgültigen Beweise für "eine Beteiligung meiner Mandantin an den Tötungsdelikten ergeben".

Überraschungen sind nicht mehr zu erwarten

In der Logik ihrer Argumentation müsste Bundesanwalt Diemer nach dem Ende der Beweisaufnahme für eine lebenslange Haftstrafe plädieren und Zschäpes Pflichtverteidiger für einen Freispruch. Nach 99 Verhandlungstagen spricht nichts dafür, dass es im weiteren Verlauf des NSU-Prozesses noch große Überraschungen geben wird. Es sei denn, die Hauptangeklagte Beate Zschäpe bricht doch noch ihr Schweigen.