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Nur Kampf und Krieg in Afghanistan?

12. Juli 2011

Sicherheit, Taliban und Frauenrechte - das sind die Themen, wenn deutsche Medien über Afghanistan berichten. Über die Kultur des Landes und den Alltag der Menschen erfahren die Deutschen nur wenig.

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Ein deutscher ISAF Soldat steht am 20. Feb. 2007 in Kabul, Afghanistan (Foto: AP Photo/Musadeq Sadeq)
Deutscher Soldat in AfghanistanBild: AP

Stellen Sie sich vor, es gibt eine international relevante Geschichte und keiner geht hin, um darüber zu berichten. Aus finanziellen Gründen - oder aber, weil die Sicherheitslage zu gefährlich ist. Das ist das Argument vieler deutscher Redaktionen, wenn es um Afghanistan geht. Das Ergebnis: "Eine Menge weißer Flecken in der deutschen Berichterstattung über Afghanistan", sagt Martin Gerner, ein freiberuflicher Afghanistan-Korrespondent. Das bestätigt auch Susanne Koelbl, die für das deutsche Wochenmagazin "Der Spiegel" über die Region berichtet: "Es ist derzeit nur möglich, über Ausschnitte zu informieren.

"Stippvisiten der Journalisten

Afghanische Kunst (Foto: DW/kultur.21)
Selten in den Medien: Afghanische Kunst

Während etwa britische und amerikanische Medien Auslandsbüros in Afghanistan haben, gibt es keine festangestellten deutschen Journalisten, die permanent dort leben. Deutschland stelle zwar das drittgrößte ausländische Truppen-Kontingent, hänge aber mit der Präsenz seiner Journalisten hinter anderen Ländern zurück, sagt Gerner, der im Schnitt zwei bis fünf Monate im Land unterwegs ist.

Viele deutsche Journalisten reisten für ein oder zwei Wochen durch das Land – oft in Begleitung der Bundeswehr. Diese Art zu reisen wird "embedded" genannt: Die Bundeswehr arrangiert Treffen und überwacht diese oft. Das führe dazu, dass die Öffentlichkeit im Allgemeinen nur über den Kriegszustand im Zusammenhang mit der Bundeswehr informiert sei, sagt Abdul-Ahmad Rashid vom Fernsehsender ZDF.

Der Journalist, dessen Vater Afghane ist, kritisiert, dass in den deutschen Medien Sensationsmeldungen überwiegen. "Religiöse und kulturelle Themen interessieren nur einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung, denn sie sind einfach nicht sexy genug", meint er. Die reichhaltige Kultur und Religion von Afghanistan fehle in den deutschen Medien.

Leichtverdauliche Berichte

Es gibt sie zwar, die Berichte über afghanische Filme und Musiker oder aber die beliebte Fernsehserie "Afghanistan sucht den Superstar", doch sie sind rar. Das liege daran, dass viele Medien oft nach deutschen Protagonisten suchten, sagt Gerner. Das sei normal, verkaufe sich die nationale Sichtweise doch am besten. "Aber auch das Exotische zieht, wie man an dem bekannten Skateboard-Projekt sieht, das vom Auswärtigen Amt unterstützt wird", sagt der freie Journalist. Die Geschichte von der ersten Skateboardschule Afghanistans in Kabul sei in fast allen Medien rauf und runter gelaufen, sogar ein Dokumentarfilm sei schon über das Projekt gedreht worden.

Ebenfalls beliebt seien Berichte über Skifahren im Bamiyan Tal, in dem früher die Bhudda-Statuen standen, die von den Taliban gesprengt wurden. Gerner kritisiert, dass Fernsehen und Kino leicht verdauliche Dokumentarfilme, wie etwa über das Skateboard-Projekt, suchten. Denn die Realität in Afghanistan sei einfach sehr komplex und vielschichtig und damit keine leicht verdauliche Kost.

Eine Bilder-Ausstellung in Kandahar, die Bilder von insgesamt 13 Künstlern ausstellte (Foto: Ibrahim Speasaly)
Ausstellung in KandaharBild: DW

Fehlende Kritik

Die Afghanen, die ihre Realität wohl am besten verstehen und kommentieren können, kommen wenig zu Wort. Ulrich Ladurner von der Wochenzeitung "Die Zeit" findet es eine Anmaßung, ohne die Stimme der Afghanen über Afghanistan zu reden. Rashid, der in Deutschland aufgewachsen ist, erzählt, dass er oft als "Alibi-Afghane" zu Talkshows eingeladen werde. Dabei würden afghanische Journalisten ihr Land doch am besten kennen. Gerner kritisiert: "Bei Interviews in Afghanistan scheint manchmal eine Art Pauschalverdacht zu herrschen, dass man einem Afghanen nicht wirklich trauen kann."

Kritik fehle auch oft in der Berichterstattung über Frauen in Afghanistan, ein beliebtes Thema in den deutschen Medien. Es würden zwar immer wieder Frauengeschichten gedruckt, etwa wenn es um die Befreiung von der Burka gehe, doch die Berichterstattung greife viel zu kurz, meint Gerner. "Im Moment sorgen sich viele Afghaninnen vor allem, dass wegen der angestrebten Gespräche mit den Taliban ein ganzer Teil der Frauenförderung zum Erliegen kommt." Diese Sorge spiegele sich aber kaum in den Medien wider.

Musikschule in Afghanistan (Foto: Karlos Zurutusa)
Musikschule in AfghanistanBild: Karlos Zurutuza

2014 - Abschalten von Afghanistan?

Ein verzerrtes, einseitiges Bild, fehlende Afghanen und Berichte über den Alltag, die das komplexe Land und seine Kultur dem deutschen Publikum näher bringen – wie reagieren die deutschen Medien auf diese Kritik? Sehr verhalten. Viele scheuten sich, ihre Berichterstattung kritisch zu beleuchten, so Gerner. "Ich nehme an, diese Zurückhaltung lässt sich darauf zurückführen, dass man sehr wohl ahnt, dass da erhebliche Defizite zum Vorschein kommen würden."

Mit dem Abzug der Truppen 2014 werde ein politisch-medialer Abzug einhergehen, fürchtet Gerner. "Wir werden, auf gut Deutsch gesagt, abschalten von Afghanistan." Gut möglich, dass sich die weißen Flecken in der Berichterstattung über Afghanistan noch weiter ausdehnen werden.

Autorin: Naomi Conrad
Redaktion: Sabine Damaschke