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Der arme Hund

Alexander Kudascheff1. November 2006

Die europäische Union wächst. Und die Kommission mit ihr. In Brüssel wird Geduld gefragt sein - und für die Kommissare müssen Jobs erfunden werden.

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Ab dem 1. Januar werden 27 Länder der EU angehören. Und dementsprechend wird die Kommission auf 27 Kommissare wachsen - und aufgebläht. Das Parlament natürlich auch - ebenso der Rat. Und man weiß schon jetzt: die Sitzungen werden noch länger dauern, weil ganz bestimmt im Rat der Satz, nein eher die Lebensweisheit gilt: Es ist schon alles gesagt, aber noch nicht von allen. Also wird die wichtigste europäische Tugend ab 2007 die Geduld sein.

Ressort "Multilingualität"

Besonders schlimm wirkt sich die Erweiterung in der Kommission aus. Schon für 25 Kommissare war es schwierig, Ressorts zusammenzuschneidern - oder sollte man nicht ehrlicher sagen: zusammenzuschustern. Immerhin: Die Kommission wirkte weitgehend vernünftig aufgestellt. Jetzt für 27 ist die Lage prekär bis lächerlich. Die neue bulgarische Kommissarin hat mit dem Verbraucherschutz noch eine zentrale Aufgabe erhalten. Für den rumänischen Zweitkandidaten Leonard Orban - der erste fiel schon beim Kommissionspräsidenten Barroso durch, bevor ihn das Nein des Parlaments ereilte - gab es nur noch ein Ressort. Wenn man es überhaupt Ressort nennen darf: "Multilingualität".

Das muss man sich auf der europäischen, poli-und multilingualen Zunge zergehen lassen: der rumänische Kommissar ist zuständig für die Vielsprachigkeit der Gemeinschaft. Er muss Richtlinien entwerfen, wie vielsprachig der Europäer und natürlich die Europäerin von morgen sein soll oder muss. Er muss dafür sorgen, dass seine Richtlinien durchs Parlament kommen und sie dann auch kontrollieren. Und allein wenn er auftritt muss er die europäische Multilingualität verkörpern. Ganz im Sinne des Slogans, der zurzeit den Berlaymont, das Haus der Kommission, ziert: "Our differences make the difference". Unsere Unterschiede machen den Unterschied - wobei im multilingualen Brüssel der Spruch natürlich nur auf englisch an der Wand steht. Das erste Einsatzgebiet für Orban?

Binsenwahrheit der Verwaltung

Das Ressort "Multilingualität" erinnert natürlich an die Binsenwahrheiten der Verwaltung. Selbst wenn nichts zu tun sein sollte, wird eine Verantwortung geschaffen, die dann eine Abteilung nach sich zieht. In diesem Fall werden einfach die Übersetzer Orban unterstellt. Und schon unterstehen im 15 Prozent der europäischen Beamtenschaft. Also: Rumänien hat ein wichtiges Ressort, ein bedeutendes Portefeuille erhalten. Und kann sich nicht beschweren - auch wenn es eigentlich allen Grund hätte, gedemütigt zu sein. Aber vielleicht ist Orban ein solcher Sprach- und Verdrängungskünstler, dass es ihm gelingt aus Nichts Wichtiges zu machen - multilingual natürlich.

Der arme Hund

Und natürlich kann er mit neuen Initiativen und kühnen Vorstößen die Multilingualität Europas bereichern. Warum soll die EU nicht endlich alle Minderheitensprachen anerkennen und ihnen gerecht werden. Warum wird nicht in katalanisch, baskisch, kurdisch, gälisch, keltisch, okzitanisch, sorbisch, wendisch übersetzt? Denn das hätte Orban nicht nur ein wichtiges Ressort, nein er hätte eins mit Wachstumspotential. So oder so: er ist ein armer Hund, der neue Kommissar für Multilingualität.

Das allein ist schon ein Grund für eine europäische Verfassung, ein europäisches Grundgesetz oder wenn die Europäer das nicht wollen - für eine europäische Geschäftsordnung. 15 Kommissare in Brüssel sind genug. Für mehr ist in einem dezentralen Europa nicht zu tun. Nicht einmal multilingual.