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Wahrhaftiger Regisseur

Klaudia Prevezanos2. Mai 2012

Vom erfolgreichen Jungregisseur zum Hausregisseur am Düsseldorfer Schauspielhaus - Nurkan Erpulat hat es geschafft. Der erfolgreiche Türke ist in der deutschen Theaterszene eher die Ausnahme. Er weiß, warum.

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Der Theaterregisseur Nurkan Erpulat (m.), Hausregisseur im Düsseldorfer Schauspielhaus, bei Proben
Regisseur Nurkan Erpulat (m.) im Düsseldorfer SchauspielhausBild: picture-alliance/dpa

"Wahnsinn, das war ja die Wirklichkeit", ruft der Künstler Wagin nach einem Wutanfall des Schlossers Jegor in dem Theaterstück "Kinder der Sonne". Ende April (27.04.2012) hatte das Stück von Maxim Gorki am Volkstheater Wien, einer der größten deutschsprachigen Bühnen, Premiere. Regisseur ist Nurkan Erpulat. Der in Ankara geborene Türke war 2011 der wohl erfolgreichste Jungregisseur der deutschen Theaterszene. Sein Stück "Verrücktes Blut", in dem eine Lehrerin sich vor ihrer unwilligen Migrantenklasse mit einer Waffe Respekt verschafft, wurde in einer Kritikerumfrage 2011 zum "Deutschsprachigen Stück des Jahres" gewählt. Erpulat wurde in dieser Umfrage von "Theater heute" - einer der wichtigsten deutschsprachigen Theaterzeitschriften - zugleich als Nachwuchsregisseur des Jahres ausgezeichnet.

In 'Kinder der Sonne' ist Wagin (l.) in Jelena verliebt, die Frau des Wissenschaftlers Protassow
In 'Kinder der Sonne' ist Wagin (l.) in Jelena verliebt, die Frau des Wissenschaftlers ProtassowBild: Klaus Lefebvre

Brennende Themen bevorzugt

Die Wirklichkeit spielt in Erpulats Stücken eine wichtige Rolle. "Soziale Themen sind für mich wichtig, ich will eher brennende Themen auf die Bühne bringen", sagt der 37-Jährige nach einer der Proben in Wien über seine Arbeit.

In der österreichischen Hauptstadt arbeitet Erpulat als Gastregisseur. Seit der Spielzeit 2011/2012 ist er einer von zwei Hausregisseuren am Düsseldorfer Schauspielhaus - nachdem er vorher in Berlin, Linz, Heilbronn und Hannover gearbeitet hat. Ein Karrieresprung, den er bescheiden bewertet: "Ich glaube nicht, dass ich schon etabliert bin. Das ist ein Prozess, in dem man sich jeden Tag weiterentwickelt und neu lernt. Darauf freue ich mich." Besonders die kontinuierliche Arbeit mit dem Ensemble gefalle ihm. "Damit kann ich Dinge langfristig entwickeln, statt Projekte zu machen, die zeitlich begrenzt sind", sagt er kurz vor Ende seiner ersten Spielzeit am Rhein.

Nurkan Erpulat in Wien
Nurkan Erpulat in WienBild: Klaus Lefebvre

Von Ankara über Izmir nach Berlin und Düsseldorf

Erpulats Karriere der vergangenen neun Jahre ist nicht nur in künstlerischer Hinsicht bemerkenswert. 2003 wurde er als einer der ersten Türken an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" in Berlin im Studiengang Regie aufgenommen. Erst mit 25 Jahren war er 1999 nach Berlin gekommen. Dort lernte er innerhalb von 1,5 Jahren Deutsch und bewarb sich für die Regisseurausbildung an einer der renommiertesten Theaterhochschulen Deutschlands. In Izmir hatte er bereits ein Schauspielstudium beendet. "Ich wollte aber auch im Ausland arbeiten und Regie machen", sagt er.

"Ein gutes Auge für Widersprüche"

Neben dem Thema eines Stückes ist Erpulat die Zusammenarbeit mit den Darstellern wichtig. "Ich versuche zumindest, ein Schauspielernaher Regisseur zu sein." Tuncay Kulaoglu sagt über Erpulat: "Er geht mit unglaublicher Präzision an Texte und deren Umsetzung heran. Er hat ein gutes Auge für Widersprüche und schafft damit brüchige Hauptfiguren." Kulaoglu und Erpulat haben zusammen die Stücke "Jenseits - Bist du schwul oder bist du Türke?" (2008) und "Lö Bal Almanya" (2010) geschrieben und auf die Bühne gebracht. Beide Aufführungen sorgten in der Theaterszene für einiges Interesse, weil sie Migration zum Thema machen. Kulaoglu ist seit 2008 Leitender Dramaturg am Ballhaus Naunynstraße in Berlin. Im September 2012 übernimmt er, zusammen mit Wagner Carvalho, die Leitung des kleinen Theaters von Shermin Langhoff. Sie hat das Haus zur wohl wichtigsten Bühne für das Thema Migration gemacht.

Der Dramaturg Tuncay Kulaoglu (r.) und Shermin Langhoff, Intendantin des Theater Ballhaus Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg
Der Dramaturg Tuncay Kulaoglu (r.) und Shermin Langhoff, Intendantin des Theaters Ballhaus Naunynstraße in Berlin-KreuzbergBild: picture-alliance/dpa

Kulaoglu sagt aber auch über Erpulat: "Es geht ihm um Abgründe und Helden." Migration sei für ihn nur eine Folie von vielen, die man über eine Geschichte legen könne. "Nurkan hat sehr dafür gekämpft, dass er auch Stücke machen kann, die nichts mit dem Thema Migration zutun haben." Vor Gorkis "Kinder der Sonne" hat Erpulat bereits "Das Schloss" von Franz Kafka sowie "Herr Kolpert" von David Gieselmann inszeniert.

Die Intellektuellen im Hause Protassow wollen lieber nicht sehen, was das Volk auf der Straße tut: Gorkis 'Kinder der Sonne' in der Inszenierung von Erpulat in Wien
Die Intellektuellen im Hause Protassow wollen lieber nicht sehen, was das Volk auf der Straße tut: Gorkis 'Kinder der Sonne' in der Inszenierung von Erpulat in WienBild: Klaus Lefebvre

"An den Stadttheatern unerwünscht"

Erpulat, ein schlanker Mann mit türkisfarbenem Kapuzenpullover, der sich dafür entschuldigt, dass er ständig rauchen muss, findet es völlig okay, dass er in der Theaterszene "der Türke" sei. "Problematisch finde ich, dass man mir etwas anderes nicht zutraut - oder lange nicht zugetraut hat." Er sieht sich auch nicht als Einzelfall, sondern sagt: "Migranten, die eine Schauspielausbildung haben, waren an Stadttheatern unerwünscht - ganz klar und deutlich." Bei Regisseuren, von denen es in der Theaterszene insgesamt weniger gibt, sehe es auch so aus. "Darum wundert es mich auch nicht, dass ich einer der ersten Türken in der Regieausbildung der 'Ernst Busch' war."

Schaut man sich die Besetzungslisten an deutschsprachigen Bühnen an, fallen einem jedoch recht viele nicht-deutsche Namen auf, türkische oder arabische sind jedoch eher selten. Der Intendant des Münchner Residenztheaters, Martin Kusej, sagte zum Thema Migranten im Theaterbetrieb gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa): "Ich glaube, dass wir ausgesprochen vorsichtig sein müssen, damit wir nicht die Grenzen ständig fortschreiben, an deren Auflösung wir interessiert sein sollten." Er räumt aber auch ein: "Wir fangen am Theater gerade erst an, über diese Fragen intensiver nachzudenken." Der Intendant des Düsseldorfer Schauspielhauses, der Schwede Staffan Holm, der Erpulat in sein Haus geholt hat, meint: "Wann beginnt man Deutscher ohne Migrationshintergrund zu sein?" Diese Frage macht es so schwierig, die Lage an deutschen Theatern zu beurteilen.

'Das Schloss' von Kafka hat Erpulat im Oktober 2011 für das Deutsche Theater Berlin auf die Bühne gebracht
'Das Schloss' von Kafka hat Erpulat im Oktober 2011 für das Deutsche Theater Berlin auf die Bühne gebrachtBild: picture-alliance/dpa

Distanzierter Blick auf das Thema Migration

Erpulat, von dem sein Co-Autor Kulaoglu sagt, er habe einen distanzierten Blick auf das Thema, weil er erst als Student nach Deutschland gekommen ist, meint: "Es ändert sich zwar gerade langsam etwas. Aber es gibt in der Theaterszene noch immer deutliche Hemmungen, Menschen, die anders aussehen, bestimmte Rollen zu geben. Ich könnte hunderte Erfahrungsberichte von Schauspielern erzählen." Das macht ihn auch sichtbar wütend.

Dabei sind für Erpulat die Vorteile von mehr Migranten im deutschen Theaterbetrieb klar: "Wir kommen zu einer Normalität - mehr braucht es nicht. Es kommen aber auch neue Protagonisten, Geschichten und Farben. Wir werden wahrhaftiger." Nurkan Erpulat, ein Regisseur für die Wirklichkeit.