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"Weltmaschine" läuft wieder

Tatiana Ivanova (mit Reuters)2. April 2015

Zwei Jahre lang haben Ingenieure den Teilchenbeschleuniger LHC umgebaut. Nach einer Verzögerung wegen eines Kurzschlusses in einem Elektromagneten rasen die Protonen nun wieder durch die 27 Kilometer lange Röhre.

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Bildüberschrift: CERN: Atlas Detektor Blick nach unten
Der ATLAS-Detektor während der Renovierung. Hier war das Higgs-Teilchen gefunden worden.Bild: DW/F.Schmidt

In der letzten Märzwoche hätte der Large Hadron Collider (LHC) an der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) wieder in Gang gesetzt werden sollen. Doch aus dem Zeitplan wurde nichts. Die Ingenieure des CERN hatten kurz vor dem geplanten Anlaufen am 25. März einen Kurzschluss in einem der Elektromagneten gefunden, der den Start der komplexen Maschine um 10 Tage verzögert hat.

Mit dem Neustart am Ostersonntag soll der LHC nach einer längeren Anlaufphase von einigen Monaten fast die verdoppelte Energie erreichen, wie zuvor. Physiker hoffen, dass der Teilchenbeschleuniger jetzt das Tor zum noch besseren Verständnis der Zusammenhänge unserer Welt aufstößt. Ihre Erwartungen sind hoch: CERN-Generaldirektor Rolf-Dieter Heuer hatte Mitte März gesagt: "Wir sind alle schon ganz aufgeregt."

In dem knapp 27 Kilometer langen Ringtunnel des LHC lassen die Wissenschaftler schon seit 2008 Protonen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aufeinanderprallen. Bei diesen Kollisionen zerlegen sich die Protonen in ihre kleinsten Bausteine, wie zum Beispiel Hadronen und Bosonen. Dazu gehört etwa das zuvor nur hypothetisch bekannte Higgs-Boson, dass kurz vor dem letzten Abschalten der Anlage vor knapp drei Jahren nachgewiesen werden konnte. Gemessen werden die Teilchen mit riesigen Sensoren, die ähnlich funktionieren wie Chips einer Digitalkamera.

Die Suche nach der Dunklen Materie

Anfang 2013, wurde die wohl komplexeste Maschine der Welt, nach dreijährigem Betrieb heruntergefahren um umgerüstet und modernisiert zu werden. Wenn der LHC in den kommenden Monaten und Jahren seine volle Energie erreicht, soll er Kollisionen mit einer bislang unerreichten Energie von 13 Teraelektronenvolt (TeV) ermöglichen. Sein bisheriger Energierekord lag im Jahr 2012 bei 8 TeV.

Ursprünglich waren sogar Energien von 14 TeV vorgesehen, aber am Ende haben die Forscher beschlossen sich zu beschränken - auch um die Gefahr von technischen Ausfällen zu verringern. "Bei einer Geschwindigkeit von 13 TeV wird der Teilchenbeschleuniger zuverlässiger und stabiler laufen", sagt der Teilchenphysiker Andrej Golutvin. Der Professor forscht mit einem der vier großen Detektoren, dem LHCb. Dieser Detektor widmet sich vor allem der Untersuchung der Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie.

Langsamer Neustart

Um die Kollisionen noch wirksamer zu machen, testen die CERN-Physiker derzeit einen neuen Protonen-Modus. Das heißt, die Anzahl der Teilchen, die in einzelnen Paketen durch den Ring fliegen, soll reduziert werden, die Häufigkeit von Kollisionen dieser Pakete aber erhöht. Jetzt fliegen die Pakete noch dichter hintereinander her: Ihr Abstand im Strahlenkanal wurde um die Hälfte reduziert auf 25 Nanosekunden. Das erleichtert den Detektoren die Datenanalyse.

Auch nach dem offiziellen Start des LHC wird die Anlage erst mit niedrigerer Energie beginnen. Tests und Überprüfungen der Systeme werden das ganze Frühjahr über laufen. Anfang Juni könnten dann die ersten mit Spannung erwarteten Protonen-Kollisionen stattfinden. "Erst dann können wir mit dem Sammeln von Daten für die Teilchenphysik anfangen", erklärt Golutvin, "vorher wird eher die Beschleuniger-Physik davon profitieren" - also diejenigen, die etwas über den Betrieb und die Sicherheit der Anlage wissen wollen.

Nach der Entdeckung des lange gesuchten Higgs-Teilchens erhoffen sich die Forscher nun weitere bahnbrechende Entdeckungen. "Die neue verfügbare Energie ermöglicht uns die Suche nach neuen, sehr schweren, Teilchen, mit einer zwei bis dreimal höheren Masse", ergänzt der russische Physiker. "Das war bei den früheren Experimenten nicht möglich".

Suche nach der Supersymmetrie

Vor allem, wollen die Wissenschaftler das Standardmodel der Teilchenphysik überprüfen. "Nachdem wir die Existenz des Higgs-Bosons belegt haben, ist es sehr wichtig, die Genauigkeit der Messungen der Parameter dieses Teilchens zu verbessern", sagt der Wissenschaftler. "Bei den höheren Energien werden wir das Boson viel häufiger registrieren können."

So wächst die Wahrscheinlichkeit, auch Schwestern oder Brüder des Higgs-Teilchens zu finden. Nach Vorstellung der Physiker durchzieht das Higgs-Feld das Universum wie ein unsichtbarer Sirup, an dem sich die Teilchen reiben und somit Masse bekommen. Noch faszinierender als der Nachweis des Higgs-Bosons wäre für die Physiker die Entdeckung der Supersymmetrie.

Nach der Theorie der Supersymmetrie haben alle Elementarteilchen einen schwereren Partner. Der Theorie nach gäbe es ein noch nicht nachgewiesenes Super-Teilchen namens Neutralino. Dieses hochstabile Teilchen könnte die sogenannte Schwarze Materie bilden. Sollte das Rätsel dieser Materie am LHC gelöst werden, wäre dies ein weiterer Meilenstein in der Geschichte des sechs Milliarden Euro teuren Teilchenbeschleunigers.

ALICE-Detektor Innenansicht (Foto: Fabian Schmidt)
Während des zweijährigen Umbaus wurden die Detektoren, wie ALICE, mit neuen Sensorschichten versehenBild: DW/F.Schmidt

Stärkere Kontakte, Magneten und Detektoren

Die zweijährige Pause benutzten die Physiker um den Teilchenbeschleuniger noch sicherer zu machen. Um die Energien bewältigen zu können, haben sie elektrische Kontakte erneuert, Kühlungen der Supraleitenden Elektromagnete verstärkt und neue, feiner messende Detektorenschichten eingebaut.

Auch haben die Ingenieure das Kontrollsystem verbessert, das sicherstellt, dass alle Komponenten der riesigen Anlage immer zuverlässig laufen. Entstehende Probleme können so sehr frühzeitig erkannt werden. "Bevor wir diese Verbesserungen umgesetzt hatten - also noch beim letzten Run des LHC - haben wir uns kaum getraut, die Energie weiter zu steigern", sagt Golutvin.

Auch die Auswahlmechanismen für die Abermilliarden von Teilchen, die die Detektoren registrieren, wurden verfeinert. Denn nicht jede Kollision ist für die Forschung interessant und die riesigen Serverräume des CERN wären ohne Vorauswahl schnell mit den Datenmengen überlastet. Immerhin wird dabei die Zahl der auswertbaren "Crash-Test-Bilder" von 20 Millionen pro Sekunde auf 40 Millionen steigen.

Mehr als 10.000 Forscher aus über 100 Staaten sind an dem größten Teilchenforschungslabor der Welt beteiligt. Aber nicht alle arbeiten in Meyrin bei Genf: Dort sind es einige Tausend. Andere sitzen an Computern in ihren Heimatinstituten. 21 Mitgliedsstaaten teilen sich die hauptsächliche Finanzierung. Deutschlands Steuerzahler bringen 20 Prozent des CERN-Budgets von derzeit jährlich insgesamt einer Milliarde Franken auf (850 MillionenEuro).

Mit den nächsten bahnbrechenden Entdeckungen rechnet Professor Golutvin nicht vor 2016: "Erst dann wird es uns gelingen, eine große Menge an Daten zu sammeln und zu verarbeiten."