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Das Syrien-Debakel

Jan Fritsche, Washington29. August 2014

Nach dem Irak breiten sich die islamistischen IS-Kämpfer auch in Syrien immer weiter aus. Doch der US-Präsident zögert mit einem Eingreifen. Für Experten ist das ein Versagen auf ganzer Linie.

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US-Präsident Barack Obama (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Barack Obama wollte bei seiner Pressekonferenz am Donnerstag zeigen, dass er nicht untätig ist. Betonen, dass er gerade einen wohl überlegten Plan entwickelt, um gegen die islamistische Terrorgruppe IS (Islamischer Staat) vorzugehen, die sich nicht nur im Irak, sondern auch in Syrien immer weiter ausbreitet. Die viel ehrlichere Botschaft rutschte dem Präsidenten nebenbei heraus: "Wir haben noch keine Strategie."

US-amerikanische Nahost-Experten sind sich einig: Obama hat in Sachen Syrien auf ganzer Linie versagt. Nicht nur angesichts der aktuellen Bedrohung durch IS, sondern bereits seit dem Beginn des syrischen Bürgerkriegs. Die Bedrohung durch IS war "nicht nur vorhersehbar, sie hat sich klar abgezeichnet", sagt etwa Shadi Hamid, Nahost-Experte der Washingtoner Denkfabrik Brookings. Bereits 2012 habe die Regierung über Luftschläge in Syrien diskutiert und darüber, gemäßigte Gruppen zu unterstützen. Stattdessen hätten die USA lediglich erreicht, dass die syrischen Chemiewaffen zerstört werden. Damit hätten sie dem dortigen Machthaber Baschar al-Assad zu mehr Legitimation verholfen, so der Nahost-Experte.

Shadi Hamid Brookings Institution (Foto: Brookings Institution)
Nahost-Experte Hamid: "Die Bedrohung durch IS war vorhersehbar"Bild: Brookings Institution

Fehlende Aufklärung

Für Obamas Vermächtnis sehe es im Moment nicht gut aus, konstatiert Hamid. Dabei könne jetzt der Moment des Präsidenten sein. Hamid sagt, vielleicht mache es ja "Klick" und Obama realisiere, dass ein massives Einschreiten in Syrien nötig ist. Bislang sieht es jedoch nicht danach aus. Das große Problem: Die USA haben kaum Erkenntnisse über die aktuelle Lage in Syrien. Erst vor zwei Tagen haben sie hastig Aufklärungsflüge gestartet. "Daran hätte viel früher gearbeitet werden müssen", sagt Hamid im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Hinzu kommt: Aufklärung in Syrien zu betreiben ist viel schwieriger als etwa im Irak. Dort arbeiten die USA bereits mit irakischen und kurdischen Bodentruppen zusammen, was ein solches Unterfangen in hohem Maße erleichtert. Außerdem hatte Bagdad ausdrücklich um Unterstützung gebeten. Ein völlig anderes Szenario als in Syrien, wo die USA bislang weder in engem Kontakt mit der Opposition, noch mit dem Assad-Regime waren.

"Wir sind im Krieg mit IS"

Was kann Obama in Syrien jetzt tun? Markige Worte gab es bereits von seinen Ministern. Verteidigungsminister Chuck Hagel etwa beschrieb IS als "unmittelbare Gefahr für all unsere Interessen" und "alles übersteigend, was wir bislang gesehen haben". Außenminister John Kerry sagte, IS "muss zerstört werden".

Das sieht auch Verteidigungsexperte Michael O'Hanlon von Brookings so: "Wir sind im Krieg mit IS." Die 500 Millionen US-Dollar, die Obama für die Unterstützung moderater syrischer Rebellen vom Kongress gefordert hat, seien ein guter Anfang. Das amerikanische Engagement in Syrien müsse jedoch viel weiter gehen. "Militärische Ausbildung und Waffenlieferungen sind längst überfällig", sagt O'Hanlon. Dazu müsse es im Irak neben Luftschlägen auch mehr US-Truppen geben. Die USA müssten mit 5000 bis 10.000 Soldaten einmarschieren, um für begrenzte Zeit beim Kampf gegen IS-Milizen zu helfen. "Es wird Verluste geben, aber ich sehe keine Alternative dazu", sagt O'Hanlon. Die Amerikaner müssten die irakischen Truppen außerdem trainieren, damit diese langfristig selbst gegen IS vorgehen könnten.

Michael O'Hanlon Brookings Institution
Verteidigungsexperte O'Hanlon empfiehlt Obama den Einmarsch von US-Truppen in den IrakBild: Brookings Institution

Mit oder ohne den Kongress

Was genau die Vereinigten Staaten in Syrien unternehmen können, darüber gibt es bislang nur Spekulationen. Medienberichten zufolge könnten die Berater des Präsidenten bald eine Operation mit Drohnen und Luftschlägen vorschlagen. Solche Operationen haben die USA bereits in einer Reihe von Ländern wie Afghanistan oder Pakistan durchgeführt. Der Unterschied: Diese Länder hatten die US-Unterstützung jeweils angefordert. Nicht so Syrien - hier der syrische Außenminister Obama vor dem Eindringen in syrischen Luftraum gewarnt.

Karte Konfliktparteien Syrien
Bild: DW

Einige US-Funktionäre erwarten eine Entscheidung Obamas erst im Laufe des Septembers, nach dem NATO-Gipfel in Wales nächste Woche. Der Präsident machte am Donnerstag deutlich, der Kampf gegen IS werde ein "langfristiges Projekt". Noch ist unklar, ob Obama auch die Genehmigung des Kongresses für eine Intervention in Syrien einholen müsste, der in den USA für Kriegsentscheidungen verantwortlich ist.

Im Irak haben die Amerikaner seit Anfang August bereits über 100 Luftschläge durchgeführt, ohne dass der Kongress dazu seine Genehmigung hätte erteilen müssen. Obama hat das mit der Dringlichkeit der Operation und der Warnung vor einer humanitären Krise begründet. Ähnlich könnte er Rechtsexperten zufolge wohl auch diesmal allein entscheiden. Michele Dunne vom Carnegie Endowment for International Peace sagt dazu der Deutschen Welle: "Wenn Obama es wirklich will, wird er die Unterstützung des Kongresses bekommen", da der Kampf gegen Terroristen in den USA stets viel Rückhalt erfahre.

Koalition gegen den IS

Michele Dunne Carnegie Endowment for International Peace
Nahost-Expertin Michele Dunne: EU-Länder warten die Entscheidung der USA abBild: Carnegie Endowment for International Peace

Die Unterstützung beim Kampf gegen IS durch Länder der Europäischen Union spielt in den USA kaum eine Rolle. Zwar wurden geplante Waffenlieferungen, etwa durch Deutschland, hier positiv aufgenommen. Doch eine Führungsrolle wird den Europäern nicht zugetraut: "Wenn eine klare Entscheidung in den USA getroffen wird, dann wird es auch europäische Unterstützung geben", prophezeit Michele Dunne.

Auch Nahost-Experte Shadi Hamid sieht die Europäer eher zögerlich: "Niemand will sich in der Syrien-Frage exponieren, bevor die USA es tun. Erst wenn wir handeln, werden andere bald folgen." Dabei stellen die IS-Anhänger vor allem für die Europäer eine Bedrohung dar. Rund 2000 Kämpfer haben Schätzungen zufolge europäische Wurzeln und könnten mit ihren EU-Pässen leicht nach Europa zurückkehren, um dort Anschläge zu verüben.

In den USA dreht sich die Diskussion derweil eher um die US-Partner im Nahen Osten. Die Türkei und andere Golfstaaten stellen ihre Militärbasen für Luftschläge zur Verfügung, Obama will in der Region vermehrt um Unterstützung werben. Sein Außenminister John Kerry soll in die Region reisen, um dort für eine Koalition gegen die radikale Islamistengruppe zu werben. US-Verteidigungsminister Chuck Hagel ist derweil damit beauftragt, Optionen im Kampf gegen IS für den Präsidenten zusammen zu stellen. Nicht gegen die Islamisten vorzugehen, wäre laut Hamid verhängnisvoll: "Wenn Obama nichts tut, müssen wir akzeptieren, dass IS uns in der absehbaren Zukunft weiter verfolgen wird."