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Politik

Oberhausener Gymnasium fördert Flüchtlingskinder

Carsten Grün
7. März 2018

Sie kommen aus Syrien, Afghanistan oder Osteuropa. In Oberhausen besuchen sie die Integrationsklasse des Bertha-von-Suttner Gymnasiums. Trotz unterschiedlicher Herkunft verbindet sie eines: Motivation.

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Deutschland | Integrationsklasse des Oberhausener Bertha-von-Suttner-Gymnasiums
Bild: DW/C. Grün

"Ich bin seit zwei Jahren hier in Deutschland. Zuerst bin ich zu Fuß los, dann hat mich jemand mit dem Auto mitgenommen, dann ging es mit dem Bus und dann wieder zu Fuß weiter. In Österreich bin ich mit einem Freund einfach in einen Zug nach München gestiegen. Deutsch konnte ich gar nicht." Was Aziz Ahmad Noori erzählt, ist jetzt zwei Jahre her. Damals war er erst 15. Seine Reise aus Afghanistan, die eigentlich eher eine Flucht vor der Gewalt war, gelang ihm ohne die Eltern.

Aziz ist ein klassischer Fall in der Integrationsklasse des Bertha-von-Suttner Gymnasiums in Oberhausen im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Fluchterfahrung, Alleinsein, Zurechtkommen. Zurzeit wohnt er in einem Wohnheim. Die Möglichkeit, in Deutschland ein Gymnasium zu besuchen, ist für ihn ein Glücksfall. Sein Ziel: das Abitur. Er spricht nach zwei Jahren ein grammatikalisch fast richtiges Deutsch mit Akzent. In den Naturwissenschaften zeigt er großes Potenzial. Ideal für die deutsche Wirtschaft - Ingenieure werden gesucht. Bei der diesjährigen MINT-Olympiade der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer erreichten Schüler der Integrationsklasse den zweiten Platz.

Traditionelles Programm 

Integration hat beim Bertha-von-Suttner Gymnasium Tradition. Die Schule unterhält seit den 1980er Jahren ein Integrationsprogramm für Kinder von Zuwanderern und Flüchtlingen. Kinder von Übersiedlern aus Osteuropa, Flüchtlingskinder aus Sri Lanka, die vor dem Bürgerkrieg geflohen waren, Schüler, die dem Balkankonflikt entronnen waren: So gesehen gab es nie einen "Mangel" an Arbeit für die Lehrer der Schule. "Die Aufnahme von Kindern aus anderen Ländern haben wir damals zu unserem Programm gemacht. Das war für uns immer eine Aufgabe, der wir uns stellen wollten", sagt der stellvertretende Schulleiter Stefan Schubert. 

Deutschland | Integrationsklasse des Oberhausener Bertha-von-Suttner-Gymnasiums
Ihr Ziel ist das Abitur: Die Schüler Rokhsar Babaj, Marwa Sherbez, Aziz Ahmad Noori und Sanda Jacub Bild: DW/C. Grün

Begleitet wird das Integrationsprojekt der Schule vom Kommunalen Integrationszentrum (KI) der Stadt. "Wir wählen immer in Zusammenarbeit mit dem KI die Kinder so aus, dass man erkennen kann: Deren Ausbildung in den Heimatländern deutet bereits an, dass die Kinder auch das Gymnasium hier schaffen könnten. Das hat dann unheimlich gut funktioniert. Wir haben in fast jedem Jahrgang Schüler, die nach ihrer Querintegration das Abitur bestehen."  

Dennoch werden nicht alle Schüler der Klasse am Gymnasium das Abitur erreichen. "Einige gehen weiter zu Berufskollegs und machen dort ihr Fachabitur", erklärt Schubert.

Sprachvermittlung im Vordergrund

Der Unterricht, der im Schnitt 15 bis 18-jährigen Schüler läuft etwas anders als in den Regelklassen. Die Vermittlung der Sprachkompetenz steht an erster Stelle, aber auch die anderen Fächer werden unterrichtet. "Sie sollen eine Vergleichbarkeit zu den Regelschülern haben. Daher unterrichtet auch zum Beispiel ein Erdkundelehrer oder ein Geschichts- oder Physikkollege in der Klasse", sagt Schubert.

Zahlreiche Länder, Sprachen und unterschiedliche Bildungsvoraussetzungen machen den Lehrer zum Improvisierer. "Manchmal geht es mit Händen und Füßen, Schüler übersetzen für Mitschüler aus dem gleichen Sprachraum. Anders geht es manchmal nicht", sagt Stefan Schubert. Für die Lehrer ist die Situation nicht immer leicht: "Sie müssen umdenken. Sie sind Lehrer und ganz oft Sozialarbeiter. Es kann sein, dass sie 19 Individualisten haben, die nicht auf einem Lernstand sind, mit unterschiedlichsten sprachlichen Niveaus, Hintergründen und traumatischen Erlebnisse. Das ist der Job."

Nach einiger Zeit, wenn die sprachlichen Voraussetzungen stimmen, werden die Jugendlichen dann zuerst in einigen Fächern in die Regelklassen integriert, ehe sie dann komplett hinüberwechseln. Manche besuchen Erdkunde, andere Geschichte, einige sind in Englisch oder den Naturwissenschaften am normalen Unterricht beteiligt. 

Unterschiede im Bildungssystem

Auch Rokhsar Babaj aus Afghanistan besucht die Integrationsklasse und sieht Unterschiede zum Unterricht in ihrer Heimat. "In Afghanistan hat der Lehrer immer nur nach dem Buch unterrichtet. Nach klaren Vorgaben. Hier entscheidet der Lehrer selbst, was gemacht wird", sagt die 17-Jährige.

Sanda Jacub aus Moldawien will, wie alle, ihre Chance in Deutschland nutzen. Abitur und dann mal weitersehen. Vielleicht zieht die Familie weiter in ein anderes Land. Das steht noch nicht fest. Die 16-Jährige ist für ihre Lehrer eine verlässliche Hilfe. Sie übersetzt häufig für ihre rumänischen Mitschüler, da in Moldawien Rumänisch Amtssprache ist. Der Kontakt besonders zu den Schülern aus Syrien und Afghanistan war für sie, wie sie sagt, ein Schock: "Als ich hörte, die sind zu Fuß gekommen und was sie alles erlebt haben! In Moldawien hatte ich bis dahin nichts mit Muslimen zu tun gehabt, da fast alle ja christlich-orthodox sind."

Deutschland | Integrationsklasse des Oberhausener Bertha-von-Suttner-Gymnasiums
Stefan Schubert: Die Lehrer sind ganz oft auch Sozialarbeiter Bild: DW/C. Grün

Mehr Kontakt zu den anderen Schülern

Trotz der guten Betreuung durch die Lehrer fehlt den Schülern doch etwas. Sie wünschen sich deutlich mehr Kontakt zu ihren Mitschülern. "Wir haben nichts miteinander zu tun. Man sieht sich auf dem Schulhof, aber mehr auch nicht", sagt Aziz. Zwar wird er schon mal auf das Leben in Afghanistan angesprochen und erklärt dann gerne, wie es in seinem Land läuft. Das ist aber eher selten.

Vieles geht über außerschulische Kontakte. "Ich spiele Fußball im Verein, da habe ich dann schon Kontakte", sagt Mohammed aus Syrien. Das ruft den Schulleiter Stefan Schubert auf den Plan. "Man müsste überlegen, dass man die Jugendlichen gezielt miteinander bekannt macht, Sportturniere veranstaltet oder Ähnliches." Noch eine Aufgabe, die eigentlich über die normale Arbeit des Lehrers hinausgeht.

Angst vor Afghanistan

In Deutschland bleiben wollen fast alle Schüler. Abitur machen, studieren oder eine Ausbildung machen und sich ein Leben aufbauen. Besonders bei den afghanischen Jugendlichen schwingt Angst mit, als die Rückführungspläne der Bundesregierung angesprochen werden. "Ich bin nach Deutschland gekommen, um eine bessere Zukunft zu haben. Die machen mir meine Zukunft kaputt. Das ist eine große Ungerechtigkeit. Jeder weiß, Afghanistan ist nicht sicher wegen des Krieges, der Taliban. Jeden Tag kommen immer wieder Meldungen von bis zu 100 Toten bei Anschlägen", sagt Aziz und wird dann still.