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"Kurzfilm ist ein schwieriges Produkt"

Jochen Kürten
11. Mai 2017

Wo steht der Kurzfilm heute? Lars Henrik Gass leitet seit 1997 die Internationalen Kurzfilmtage in Oberhausen. Spricht man mit ihm über das Festival und die Zukunft des Kurzfilms, gibt es überraschende Erkenntnisse.

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62. Internationale Kurzfilmtage Oberhausen Gass
Bild: Kurzfilmtage / Daniel Gasenzer

Deutsche Welle: Seit 20 Jahren sind Sie Leiter des älteste Kurzfilmfestivals der Welt. Haben Sie damals eigentlich daran gedacht, dass 20 Jahre später überhaupt noch Interesse am Kurzfilm bestehen könnte? Schließlich waren Kurzfilme auch 1997 schon eine Rarität im Kino.

Lars Henrik Gass: Ich gestehe ganz freimütig, dass ich mich weder im Jahre 1997 noch heute als Spezialist für den Kurzfilm sehe. Ich vertrete im Übrigen auch die Auffassung, dass man gar nicht wissen muss, was ein Kurzfilm ist. Wir könnten hier genauso gut etwas anderes machen, das bestimmte Ansprüche verfolgt. Damals, 1997, gab es viele Kräfte, die den Kurzfilm konservieren wollten, auch in seiner Funktion als Kino-Vorfilm. Davon ist man ja mittlerweile, wie ich finde, Gott sei Dank abgerückt. Es ist immer schade, dass man versucht, Kunstformen auf eine sehr konservative Weise zu restaurieren und am Markt zu halten.

Ich finde es viel interessanter, sich anzuschauen, in welchen Formen sich der Kurzfilm weiterentwickelt. Deshalb haben wir uns ja auch damals sehr stark der Popkultur und namentlich den Musikvideos zugewandt. Das ist natürlich mittlerweile, nach 20 Jahren, auch Geschichte. Keiner wundert sich mehr darüber, dass man Musikvideos auf Filmfestivals zeigt. Das war vor 20 Jahren anders. Ich kann mich an heftige Auseinandersetzungen erinnern über die Frage, ob es opportun sei, auf einem Festival "mit Anspruch" Werbefilme dieser Art zu zeigen. Aber ich denke, dass die Art der Filme und Musikvideos, die wir dann ausgesucht haben, auch zeigten, was wir darunter verstehen.

Internationale Kurzfilmtage Oberhausen 2017 - Filmarchiv
Analoge Filmspulen versus digitales Zeitalter: das alte Filmarchiv der Kurzfilmtage OberhausenBild: Kurzfilmtage/Chris Schön

Sie haben das Festival geöffnet, neue Entwicklungen miteinbezogen, neue Formate in die Programmauswahl integriert - was waren denn Ihrer Meinung nach die wichtigsten Neuerungen?

Ich denke, die größte Herausforderung war - und ist es noch heute - ein doch wirklich sehr schwieriges Produkt wie den Kurzfilm immer wieder neu lebendig erscheinen zu lassen. Und dafür auch die Zielgruppen zu erkennen. Das ist unsere Hauptaufgabe und auch die größte Herausforderung. In bestimmten Genres des Films gibt es eine relativ stabile Basis mit Fachleuten, beispielsweise bei Dokumentarfilm-, Animationsfilm- und natürlich Spielfilmfestivals. Im Bereich Kurzfilm gibt es eine enorme Fluktuation, bei den Filmemachern und Herstellern selbst, aber auch im Bereich des Fachpublikums.

Deshalb haben wir in den zurückliegenden Jahren immer wieder darüber nachgedacht, welche Zielgruppen könnte man mit dem Kurzfilm assoziieren und vielleicht auch in eine überraschende Verbindung bringen. Deswegen haben wir auch vermehrt Leute aus der Kunstszene angesprochen, Kuratoren, die auch mit Film arbeiten. So, wie wir es damals mit Leuten aus der Popkultur versucht haben. Das heißt: Die Frage, wo bewegt sich der Kurzfilm hin - die beschäftigt uns massiv. Wir möchten dazu beitragen, dass Kurzfilm etwas ist, das die Entwicklung der Filmsprache zum Bewusstsein bringt.

60. Kurzfilmtage Oberhausen Hilmar Hofmann
Der legendäre Kulturmanager Hilmar Hofmann gründete einst das Festival in OberhausenBild: DW/B. Sobolla

Ist Kurzfilm = Internet heute die gängigste Formel, Stichwort: Kurzfilme bei YouTube? Ist es ein fester Bestandteil des Programms?

Das ist natürlich ein interessanter Aspekt, der uns auch sehr beschäftigt: Nämlich die Frage, ob ein Filmfestival generell überhaupt das adäquate Format ist, um bewegte Bilder zu betrachten. Wir verfolgen ja eine Entwicklung, in der auch das Fernsehen, insbesondere das öffentlich-rechtliche Fernsehen, vor der Problematik steht, dass in einer deregulierten Arbeits- und Freizeitwelt die Leute ihre Filme schauen, wann immer sie Lust und Zeit haben, und nicht dann, wenn sie ausgestrahlt werden. Das sind massive technologische und auch gesellschaftliche Veränderungen, die weite Teile der Gesellschaft betreffen.

Wir denken aber, dass Filmfestivals dem Internet generell zumindest zwei Dinge voraus haben. Das eine ist, dass Film eine Kulturtechnik ist, um dieses etwas abgegriffene Wort zu benutzen, die nicht nur aus einem einfach nur bewegten Bild besteht. Sondern die man im Kino in einem verdunkelten Raum und mit anderen Menschen, völlig anders erlebt als alleine vor dem Bildschirm. Das ist etwas, was ein Filmfestival nach wie vor als ein attraktives Angebot darstellen kann. Ob man dafür Leute gewinnt, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

… und der zweite Grund?

Es geht darum - das verwechselt man häufig bei der Frage der Digitalisierung von Film -, dass man denkt, man könne das kulturelle Film-Erbe dadurch retten oder bewahren, dass man die Filme einfach nur digitalisiert. Aber Film ist ja nicht wie der Picasso, den Sie einfach scannen. Wenn sie mit Film zu tun haben, dann müssen sie ja immer die gesamte Kulturtechnik mitbedenken. Der Film beginnt ja für uns alle erst zu existieren, wenn er auf der großen Leinwand ist. Erst dann kann ich ihn ja sinnlich erfahren. Das ist etwas, was Filmfestivals sehr gut können.

Internationale Kurzfilmtage Oberhausen 2017 - Happyland
Schnittstellen zur Kunst: Die Kurzfilmtage präsentieren 2017 eine Ausstellung von Khavn De La Cruz, einem philippinischen Künstler und Filmemacher Bild: Allan Barberona

Die Form der Kollektivität des Ganzen, also generell die Form der Partizipation, die ja immer proklamiert wird im Internet, ist doch sehr, sehr rudimentär auf 'Likes' und 'Don‘t Likes' beschränkt. Es gibt einfach eine größere Komplexität in solchen sozialen Räumen auf Filmfestivals, auch im Theater …

Das sind zwei wichtige Aspekte, die solche Veranstaltungen nach wie vor sehr attraktiv erscheinen lassen. Dafür gibt es auch erstaunlicherweise und zum Glück immer wieder ein neues Publikum.

Schauen wir mal ins Programm 2017 - da stellt sich natürlich immer die beliebte Frage nach den Trends. Gibt es die überhaupt bei der großen Bandbreite von Filmen, die sie zeigen?

Das ist eine absolut legitime Frage, mit der wir uns ständig beschäftigen. Allerdings gibt es keine Jahrestrends. Man kann nicht sagen: In diesem Jahr ist es anders als im letzten Jahr, weil…. Es geht immer um langfristige Weiterentwicklungen. Das, was wir seit vielen Jahren immer wieder auch auf den Pressekonferenzen sagen, nämlich dass sich die Grenzen zwischen filmischen Genres auflösen, was auch im Langfilm mittlerweile sehr deutlich ist, das hat sich auch im Kurzfilm stark durchgesetzt.

60. Kurzfilmtage Oberhausen Regisseure
Ein kluger Kopf, der sich immer wieder über die Zukunft von Film und Kino Gedanken macht, hier 2016 an der Seite von Kulturstaatsministerin Monika Grütters: Lars Henrik GassBild: DW/B. Sobolla

Das hat auch bestimmte Gründe, weil sich die Institutionen und die Auswertungsformen von Film sehr stark verändert haben. Das war ja auch bei den Musikvideos der Fall: In dem Moment, als das Musikfernsehen verschwunden war, gab es eine ästhetische Deregulierung des Genres, die im Übrigen auch sehr fruchtbar war. Es gibt also einerseits eine ästhetische Weiterentwicklung, die ich sehr spannend finde ...

...und der Kurzfilm unterliegt ja im Internet-Zeitalter auch einer neuen Definition!

Das andere finde ich fast noch interessanter. Das ist eine noch jüngere Entwicklung: Dass es mittlerweile sehr viele Leute gibt - nicht nur im Kunstbereich, sondern generell in kleinen Produktionseinheiten -, die ihre Arbeiten überhaupt nicht mehr mit Blick auf eine Vorführung im Kino erstellen. Es gibt eine Art - verzeihen sie das Wort - postkinematografische Realität, mit der man beschäftigt ist. Das heißt, die Arbeiten werden teilweise sehr, sehr lang, vielleicht auch, weil sie als Loop gedacht sind. Weil man gar nicht mehr darauf abzielt, 20 Minuten im Kino durchzusitzen, sondern weil sie für eine Ausstellung gedacht sind - und weil man bei einem Festival oder im Museum vielleicht zwei Minuten daraus sieht. Das verändert auch sehr stark die Dramaturgie einer Arbeit. Weil es nicht mehr um Anfang und Ende geht und eine Entwicklung von A nach B, egal welcher Natur. Es geht im Grunde eher um einen Blick, der eine Arbeit jederzeit erfassen kann, ob im Internet in sehr kurzen Einheiten oder in einer Ausstellung als Loop. Das macht sich auch in der Ästhetik der Arbeiten bemerkbar.

Das Gespräch führte Jochen Kürten.