1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Reise

Krieg und Tourismus in Odessa

Natalia Vlasenko
7. August 2022

Die multikulturelle Stadt an der Schwarzmeerküste zog vor dem Krieg Touristen aus der ganzen Welt an. Die Invasion Russlands hat alles verändert: Der Krieg hat den Tourismus zum Erliegen gebracht.

https://p.dw.com/p/4F0hB
Odessas Opernhaus
So schön ist Odessas OpernhausBild: Natalia Vlasenko/Stanislav Kinka

Odessa ist gerade in den Schlagzeilen. Erstmals seit Monaten haben Schiffe mit ukrainischem Getreide den Hafen von Odessa verlassen. Es ist ein kleines Zeichen der Hoffnung. Wir in Odessa geben die Hoffnung nie auf. Unsere Stadt steht für Lebensfreude, es ist eine multikulturelle Stadt - und sie war ein beliebter Urlaubsort am Meer. 

Vor dem Krieg war Odessa nicht nur für Ukrainer, sondern auch für ausländische Touristen ein attraktives Reiseziel. Über vier Millionen kamen 2021, um am Strand zu entspannen, die Altstadt zu erkunden oder um beispielsweise die Burg in Bilhorod-Dnestrovsky zu besuchen. Das alles ist vorbei. Ich habe vom Tourismus gelebt, habe in Odessa als Gästeführerin gearbeitet, über die Stadt geschrieben. Die Invasion hat mein Leben verändert - und alles in meiner Heimatstadt Odessa. Der 24. Februar 2022 war eine Zäsur.

DW-Reporterin Natalia Vlasenko mit einem belgischen Kollegen vor dem Krieg im Opernhaus von Odessa
Unsere Autorin Natalia Vlasenko mit einem belgischen Kollegen vor dem Krieg im Opernhaus von OdessaBild: Natalia Vlasenko

Februar: Odessa in Schockstarre

In den ersten Tagen nach Kriegsbeginn herrschte überall große Verunsicherung, ja Panik – Menschen standen vor Supermärkten Schlange. Aus Angst vor Lebensmittelknappheit begannen sie Vorräte anzulegen. Das gleiche Bild bot sich vor Bankautomaten: Aus Angst vor einem Zusammenbruch des Währungssystems hoben die Menschen so viel Bargeld wie möglich ab. Ich fühlte mich in dieser Zeit total verloren. Mein Leben war plötzlich auf den Kopf gestellt, ich hatte keine Arbeit mehr, nur noch eine unsichere Zukunft.

Odessa war in Schockstarre, so wie ich. Die Straßen waren ausgestorben, nur Supermärkte und Apotheken blieben geöffnet. Alles andere, Cafés, Restaurants, Theater, einfach alle Veranstaltungsorte waren geschlossen. Das öffentliche Leben fand nicht mehr statt. Die Menschen gingen nur noch raus, um sich mit Lebensmitteln zu versorgen und ihren Hund Gassi zu führen. Erst im April wurde eine Veränderung spürbar. Mit dem Frühling kehrte das Leben in die Stadt zurück. Die Menschen gingen wieder raus, man traf sich in den Parks, die Kinder nahmen die öffentlichen Spielplätze wieder in Besitz.

Viele Menschen genießen Strand und Meer von Odessa vorm Krieg
Vor dem Krieg waren Odessas Strände voller Menschen, heute ist das Baden zu gefährlich - das Meer ist vermintBild: Natalia Vlasenko/Stanislav Kinka

August: Das Leben geht weiter

Das Leben in der Stadt fühlt sich heute fast normal an. Die Hauptgeschäftsstraßen sind belebt, die Geschäfte haben geöffnet, Straßenkünstler treten auf, die Terrassen der Restaurants sind gut besucht, man kann in die Oper gehen oder ein Ballett besuchen. Es werden sogar vereinzelt wieder Stadtrundfahrten angeboten. Nur die Sandsäcke, die Sehenswürdigkeiten schützen sollen, und die Barrikaden an öffentlichen Gebäuden erinnern daran, dass wir uns im Krieg befinden. Auch der Primorski Boulevard, eine beliebte Prachtstraße und eines der touristischen Highlights von Odessa, bleibt sicherheitshalber abgeriegelt.

Eine belebte Straße in Odessa bei Nacht
Ein pulsierendes Nachtleben - das hat es in Odessa seit Monaten nicht mehr gegebenBild: Natalia Vlasenko/Stanislav Kinka

Nachts ist die Stadt still, ab 23 Uhr herrscht Ausgangssperre. Nachtclubs dürfen keine Partys veranstalten. Vor dem Krieg war das ganz anders - Odessa schlief nie. Es gab Open-Air-Kino am Strand, Konzerte, Nachtschwärmer belebten die Straßen, die Stadt vibrierte voller Leben. Ich liebte diese Stimmung. In diesem Sommer herrscht in den Nächten gespenstische Stille.

Eine Sommer ohne Touristen

Der Sommer war immer schon die Hauptsaison in Odessa. Die meisten Touristen kamen zwischen Mai und Oktober. 2021 waren es vier Millionen, fast so viele wie vor der COVID-Pandemie. Die Saison 2022 war vielversprechend, es würde ein gutes Jahr werden. Überall in Europa fielen die Corona-Regeln, Einreisebedingungen wurden gelockert, der Tourismus nahm Fahrt auf. Aber dann überfiel Russland unser Land.

Die Gäste bleiben weg. Die meisten Strandhotels wie das populäre Nemo kämpfen mit niedrigen Belegungsraten. Niemand will und darf an den Strand, die Küste, die den Charme Odessas ausmachte - sie ist vermint. Es herrscht striktes Badeverbot. Man sieht trotzdem immer wieder Leute, die an den Strand fahren, wenigstens um mal kurz auf das Meer zu schauen. Manche setzen sich über das Badeverbot hinweg und gehen schwimmen. Es gab schon schreckliche Unfälle, weil Minen explodierten. Einige Hotels bieten deshalb als Alternative Tagesausweise für ihre Swimming Pools an.

Hotels an der Küste von Odessa
Das Hotel Nemo hat trotz seiner guten Lage direkt am Meer keine internationalen Gäste - Schuld daran ist der KriegBild: Natalia Vlasenko/Stanislav Kinka

Ein bisschen besser geht es den Hotels im historischen Zentrum, dort werden vor allem ausländische Journalisten untergebracht, auch einige Ukrainer aus anderen Landesteilen. "Unsere Hotelauslastung ist auf 15 bis 20 Prozent gefallen, die meisten Journalisten steigen im Alexandrovskiy ab. Im M1, das näher am Strand liegt, haben meistens Ukrainer aus Kiew gebucht", sagt Tatiana Prodan, Managerin der Maestro Hotelgruppe, zu der die beiden Hotels gehören. 

Kulturangebote in Zeiten des Krieges

Das Freizeitangebot in Odessa ist geschrumpft. Die Museen sind geschlossen und haben ihre Bestände in Sicherheit gebracht. So wie das Kunstmuseum und das Museum der westlichen und orientalischen Kunst. "Wir hatten Pläne in der Schublade liegen, wie wir in einem Krisenfall verfahren würden. Aber als der Ernstfall dann da war, standen wir unter Schock", erklärt Stanislav Kinka, Wissenschaftler im Historischen Museum. Anhand einer Prioritäten-Liste verpackten die Museumsmitarbeiter die wertvollsten Ausstellungsstücke und brachten sie so schnell wie möglich an einen sicheren Ort.

Sandsäcke vorm Opernhaus in Odessa
Sandsäcke schützen das OpernhausBild: Natalia Vlasenko/Stanislav Kinka

Die Museen sind geschlossen, aber Konzerte und Theater kann man wieder besuchen, so hat auch das Philharmonische Theater wieder geöffnet. Und im Stadtpark von Odessa werden Wohltätigkeitskonzerte veranstaltet. Auch das Opernhaus, das mit Sandsäcken geschützt wird, hält sein Kulturangebot aufrecht. Aus Sicherheitsgründen werden nur 30 Prozent der üblichen Zuschauerzahl eingelassen. Wenn Sirenen ertönen, wird die Vorstellung abgebrochen, die Zuschauer haben dann die Wahl, das Gebäude zu verlassen oder in den Kellern unter dem Theater Zuflucht zu suchen. Wenn die Unterbrechung eine Stunde nicht überschreitet, wird die Vorstellung fortgesetzt. Dauert sie länger, können die Gäste mit dem gleichen Ticket einen neuen Termin wahrnehmen. 

Touristengruppe im Opernhaus von Odessa
Eine Gruppe internationaler Gäste besichtigt Odessas Opernhaus Bild: Ekaterina Ergeeva

Meine neue Wirklichkeit

Für mich war der Sommer immer die Zeit, in der ich am meisten zu tun hatte. Ich organisierte Ausflüge und Stadtführungen. Jede Woche war vollgepackt mit Terminen, ich zeigte Gruppen und ausländischen Touristen die schönsten Seiten von Odessa. An Wochenenden hatte ich bis zu drei Exkursionen mit Touristen aus der Ukraine, die Urlaub an der Küste machten. Jetzt bleiben die Touristen wegen des Krieges weg und ich habe keinen Job mehr. Ich habe es geliebt, vor allem ausländischen Gästen meine Heimat zu zeigen. Wann werde ich das wieder machen können? Ich bin sicher, viele Menschen interessieren sich für die Ukraine, wollen unser Land und die Menschen kennenlernen. Aber dazu muss dieser Krieg enden und Reisen muss wieder sicher sein.

Bis dahin lebe ich in zwei Wirklichkeiten: in dem Odessa mit seinen geöffneten Restaurants, den Kulturangeboten, den Freizeitangeboten. Und im Krieg, mit der täglichen Bedrohung von Bombenangriffen. Die Frontlinie ändert sich täglich, ich weiß nie, was Morgen ist. Oder ob es ein Morgen gibt.