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Deutschlands Schulen: Schlecht digitalisiert

14. April 2021

Schulen zu und auf, Unterricht zu Hause, überforderte Lehrer und Eltern: Schülerinnen und Schüler weltweit leiden seit mehr als einem Jahr Corona-Krise unter den Einschränkungen. Auch in Deutschland.

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Eine grüne Tafel mit der Aufschrift "Lockdown" hängt in einem leeren Klassenzimmer an der gelben Wand. An den Schülerpulten davor sind die Stühle hochgestellt
Wegen Corona geschlossen: Das galt an vielen Tagen der Pandemie nicht nur in deutschen KlassenzimmernBild: Flashpic/dpa/picture alliance

Zu Beginn der kurzen Rede der deutschen Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) am Mittwoch im Bundestag in Berlin scheint die Not der deutschen Schülerinnen und Schüler in der Pandemie weit weg. Deutschland, sagt die Ministerin, hat den weltweit ersten Corona-Impfstoff hervorgebracht, auch mit staatlicher Förderung. Deutschland will hoch hinaus bei der Wasserstofftechnologie, bei der Künstlichen Intelligenz.

Dann aber bekennt die Ministerin: An den Schulen herrscht Not, sie sind schlechter digitalisiert als etwa die Universitäten und leiden unter dem ständigen Hin und Her von Schließungen und Öffnungen, von Präsenz- und Heimunterricht in der Corona-Krise. Karliczek: "Um Schülerinnen und Schülern zu helfen, ihre Pandemie-bedingten Lernrückstände aufzuholen, erarbeiten wir aktuell mit den Ländern ein gemeinsames Nachhilfe-Programm."

Fast ein Viertel der Jugendlichen wird wohl Nachhilfe brauchen

Später wird die CDU-Politikerin hinzufügen, dass wohl fast ein Viertel der Schüler in Deutschland nach der Pandemie Nachhilfe benötigen wird. Fürs erste aber setze die Regierung zusammen mit den Ländern auf ein "sicheres Lernumfeld" - also auf einen Mix aus Hygiene-Regeln, Heimunterricht und Testungen von Schülern und Lehrern.

Eine blonde Frau mit Brille im schwarzen Jackett steht im Bundestag vor einem Mikrofon und hebt beim Sprechen ihre Hände mit den Handflächen nach oben. Im Hintergrund sitze ein Mann mit medizinischer Maske und liest in einem Aktenstapel vor ihm
Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU): Schüler und Eltern sind müde und frustriertBild: John MACDOUGALL/AFP

Eine Bestandsaufnahme mehr als ein Jahr nach Beginn der Pandemie. Karliczek räumt ein: Die Schülerinnen und Schüler sind erschöpft, müde, frustriert, die Eltern und Lehrer auch.

Anderthalb Milliarden Schüler von Schließungen betroffen

Nicht nur in Deutschland, überall auf der Welt sind Schülerinnen und Schüler derzeit in Not. Bedrückende Zahlen zur Lage weltweit lieferte jetzt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Insgesamt waren nach OECD-Angaben seit Beginn der Pandemie weltweit geschätzt 1,5 Milliarden Schüler in 188 Ländern von Schul-Schließungen betroffen. In 33 Ländern, deren Daten einigermaßen vergleichbar sind, waren demnach im Februar 2021 weniger als 40 Prozent der Schulen tatsächlich weitestgehend und für den größten Teil der Schüler wieder geöffnet.

Schleicher: "Schule ist nicht nur ein Lernort."

OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher sagte am Mittwoch in Berlin, einmal mehr habe sich gezeigt, dass "Schule nicht nur ein Ort ist, wo Schüler lernen". Mit anderen Worten: Dort spielt sich ihr Leben ab, dort haben junge Menschen Kontakte und entwickeln sich weiter.

Ein Mann mit kurzen weißen Haaren mit dunklen Jackett und hellen Hemd schaut freundlich in die Kamera. Im Hintergrund eine rot-bunte Plakatwand mit den Schriftzügen "OECD" und "Forum for World Education"
OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher: Deutschland kann von anderen Ländern bei der Schul-Digitalisierung lernenBild: Sandra Davie/AP/Singapore Press/picture alliance

Nach wie vor gelte zwar, dass junge Menschen von schweren Covid-19-Erkrankungen weniger stark betroffen seien als ältere, dennoch seien die Folgen der Pandemie für kaum einen anderen Personenkreis so heftig wie für Schülerinnen und Schüler.

Bis zu 30 Tage komplett geschlossene Schulen in Deutschland

Über die näher untersuchten 33 Länder hinweg ist das Bild vielschichtig: So schlossen etwa 14 Staaten ihre Grundschulen einmal, während weitere elf dies landesweit mehrfach taten. Dazu kommt eine Gruppe von Ländern, zu der auch Deutschland oder Italien gehören, in denen es regional eine sehr unterschiedliche Anzahl an Schließtagen gab, was das Verständnis für die Schritte bei Schülern, Eltern und Lehrern nicht eben förderte.

Ein Junge (rechts im Bild) sitzt an einem schwarzen Laptop, ein Mann (Bildmitte) kniet neben ihm, schaut das Kind an und scheint ihm etwas zu erklären. Neben dem Laptop ist ein beleuchteter Globus zu sehen
Unterricht zu Hause: Nicht immer finden die Eltern genügend Zeit, um ihre Kinder zu unterstützen Bild: Nicolas Armer/dpa/picture alliance

In Deutschland etwa wurden in der Sekundarstufe II, also den Jahren an der Oberschule vor dem Abitur nach zumeist 13 Schuljahren, die Schultore zwischen 15 bis 30 Tagen ganz geschlossen. Damit befindet sich Deutschland in einer Staatengruppe, die bisher relativ glimpflich durch die Zeit der Schulschließungen gekommen ist. Ebenfalls zu dieser Gruppe zählen etwa die Niederlande, Belgien und Frankreich. Anders ist das Bild in Italien, das vor allem zu Beginn der Pandemie ganz besonders von Corona-Infektionen betroffen war. Dort fiel der Unterricht an bis zu 101 Tagen komplett aus.

Kaum Einfluss auf die Infektionsraten?

Klar ist allen Experten: Die Schulschließungen werfen komplette Jahrgänge von jungen Menschen deutlich in ihrer Entwicklung zurück. Dann sagt Schleicher: "Es ist erwähnenswert, dass die Infektionsraten der Bevölkerung nicht davon abhängig erscheinen, wie viele Tage die Schulen geschlossen waren."

In Deutschland vermuten viele Experten vor allem in jüngster Zeit, dass Schülerinnen und Schüler das Coronavirus mit in die Familien bringen, zumeist ohne selbst zu erkranken. Wirklich verlässliche Zahlen dazu gibt es aber kaum.

Digitalisierung gelingt nur mühsam oder gar nicht

Wenig erstaunlich ist, dass diejenigen Länder, die schon vor der Pandemie auf digitale Angebote an Schulen gesetzt haben, im Vergleich besser mit den erschwerten Anforderungen klar kamen. Für Deutschland gilt das nicht unbedingt. Schleicher sagte, bei der plötzlichen Umstellung auf Online-Unterricht habe es "sehr gehapert".

Homeschooling in der Coronakrise

In Spanien etwa oder auch in Portugal seien auch Medien wie Radio oder Fernsehen für den Pandemie-Unterricht genutzt worden, berichtet Schleicher: "Die Vielfältigkeit der digitalen Medien war da ein entscheidender Erfolgsfaktor. Das ist vielleicht etwas, wovon Deutschland lernen kann."

Familienverband fordert Stopp der Schließungen

Der "Verband kinderreicher Familien in Deutschland" hat einen sofortigen Stopp von generellen Schulschließungen gefordert - trotz der hohen Infektionszahlen. "Seit Monaten leben die Jüngsten in sozialer Isolation, können nicht mit und von anderen Kindern lernen. Nicht wiederholbare Zeitfenster für Entwicklung und Lernen schließen sich", erklärte der Verband am Mittwoch. Er plädiert dafür, bestehende Hygiene-Konzepte voll auszureizen und auf komplette Schließungen ganz zu verzichten.

Die Bundesregierung plant mögliche Schließungen ab einer Inzidenz von 200 Infektionen pro 100.000 Menschen innerhalb von sieben Tagen, ein Wert, der womöglich bald in Deutschland erreicht sein könnte.

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