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Politik

Parlamentarier ermahnen Al-Sisi

Kersten Knipp | Tom Allinson
21. Oktober 2020

In einem offenen Brief an Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi kritisieren westliche Parlamentarier die Lage politischer Gefangener in Ägypten. Menschenrechtler begrüßen den Schritt, wünschen sich aber stärkeren Druck.

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Symbolbild Ägypten Gefängnis
Wieviele Aktivisten sich derzeit in ägyptischen Gefängnissen befinden, ist unbekannt ( Symbolbild) Bild: picture-alliance/AA

Wie viele Personen genau in Ägypten in Untersuchungshaft sitzen, wissen die Unterzeichner des Offenen Briefs an den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi nicht. Sie haben allerdings eine Vermutung: Es könnten "Tausende" sein.

Es sind deutliche Worte, in denen 278 westliche Parlamentarier, überwiegend aus Europa, aber auch aus den USA, ihrer "ernste(n) Sorge" über die Situation der Menschenrechte in Ägypten, insbesondere die "fortgesetzte Inhaftierung von politischen Gefangenen", Ausdruck geben.

Angesichts der COVID-19-Pandemie fordern die Abgeordneten das ägyptische Staatsoberhaupt auf, "den Menschenrechten der Gefangenen Vorrang einzuräumen und zu Unrecht Inhaftierte unverzüglich freizulassen." Trotz der medizinischen Risiken, so die Unterzeichner weiter, "müssen wir feststellen, dass eine Reihe von Menschenrechtsverteidigern, Anwälten, politischen Aktivisten und anderen politischen Gefangenen in Ägypten sich weiterhin in Haft befinden."

Schlechte Belüftung, mangelnde Hygiene

"Ägypten ist ein Partnerland für Europa", sagt Gyde Jensen (FDP), Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestags. "Eben darum kommt es darauf an, mit der Regierung in Kairo zu sprechen." Über die Jahre habe sie den Eindruck gewonnen, dass die Menschenrechte ausgehöhlt würden. "Andersdenkende werden inhaftiert, die Untersuchungshaft wird über Gebühr ausgeweitet." Zugleich habe sie die Erfahrung gemacht, dass ägyptische Politiker, wenn man mit ihnen über Menschenrechte spräche, zunehmend gereizt reagierten. Darum habe sie sich entschieden, den Brief zu unterzeichnen, so Jensen im Gespräch mit der DW.

Gyde Jensen zum Sicherheitsgesetz für Hongkong
Gyde Jensen (FDP), Vorsitzende des Ausschusses für MenschenrechteBild: Britta Pedersen/dpa/picture alliance

Der offene Brief komme zur richtigen Zeit, sagt Vanessa Ullrich, Expertin für die Region Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International (AI) in Deutschland. Die Haftbedingungen in dem nordafrikanischen Land seien unmenschlich. Während der Corona-Pandemie hätten sie sich zusätzlich verschlimmert. "Den Gefangenen wird der Zugang zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung verweigert. Sie berichteten Amnesty International von Überbelegung, schlechter Belüftung, mangelnder Hygiene sowie mangelnden Zugang zu sanitären Einrichtungen", so Ullrich. 

"Vermeidbare Todesfälle" 

Konkret beziehen sich die Unterzeichner auf eine ganze Reihe willkürlich inhaftierter Personen. Erwähnt wird etwa der Aktivist Ramy Shaath. Die ägyptische Staatsanwaltschaft hatte ihn im Sommer vergangenen Jahres beschuldigt, "eine Terrorgruppe bei der Erreichung ihrer Ziele unterstützt zu haben". Für Amnesty International ist die Anklage haltlos. Shaath werde nur darum in Haft gehalten, weil er von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht habe, heißt es auf der Homepage von AI.

In ihrem Brief sprechen die europäischen Parlamentarier auch von "vermeidbaren Todesfällen" in diesem Jahr. Ein Beispiel ist der im Mai verstorbene Filmemacher Schady Habasch. Habasch hatte Regie bei einem Musikvideo des Rocksängers Ramy Essam Regie geführt, der in dem Song "Balaha" Präsident Al-Sisi in deutlichen Worten kritisierte. Im März 2018 war er unter dem Vorwurf, Falschinformationen zu verbreiten und einer "illegalen Organisation" anzugehören, festgenommen worden.

Ägypten Prominente Ativistin Mahienour al-Masry zu fünf Jahren Haft verurteilt
Auch Aktivistin Mahienour al-Masry wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt (Archivbild von 2015) Bild: picture alliance/AA/M. Mahmoud

Die Haft verändert die Menschen - grundlegend 

Der offene Brief erfasse die Situation in Ägypten sehr gut, sagt Mina Thabet von der "Ägyptischen Kommission für Rechte und Freiheiten", einer ägyptischen Menschenrechtsorganisation. "Er spiegelt das Ausmaß der täglichen Verstöße." Der Brief enthalte zwar eine ganze Reihe von Namen, doch die seien nur die Spitze des Eisbergs, so Thabet gegenüber der DW. "Ich selbst kann Hunderte mir persönlich bekannter Aktivisten nennen, die in ihren Häusern oder auf der Arbeit verhaftet wurden."

Die Haftbedingungen in Ägypten seien mit denen in westlichen Ländern kaum zu vergleichen. "Wer in Ägypten ins Gefängnis geht, kommt als veränderter Mensch wieder raus. Er leidet dann an gesundheitlichen, psychischen und vielen weiteren Problemen", so Thabet. 

Symbolbild Coronavirus Gefängnisse in Ägypten
Das berüchtigte Tora-Gefängnis in Kairo Bild: AFP/K. Desouki

Das ist für die Unterzeichner des offenen Briefs nicht mehr hinnehmbar. Sie sehen die partnerschaftliche Beziehung ihrer Länder zu Ägypten gefährdet: "Die fortgesetzte Inhaftierung von politischen Gefangenen untergräbt nicht nur unsere gemeinsamen Interessen, sondern auch das Fundament unserer gemeinsamen Beziehungen." Im Weiteren weisen sie darauf hin, "dass die Verletzung von Menschenrechten für die Herstellung von Sicherheit und Stabilität weder notwendig noch zuträglich ist."

Unterstützung von ägyptischen Aktivisten 

Tatsächlich begründe die ägyptische Regierung ihre Einschränkung der Menschen- und Bürgerrechte regelmäßig mit dem Verweis auf Sicherheit und Stabilität, sagt die FDP-Politikerin Gyde Jensen. "Mir scheint aber, diese Rechnung geht nicht auf." Die Bevölkerung lehne die immer stärkere Kontrolle ab. "Die Ägypter denken zwar auch an Sicherheit. Aber vor allem wünschen sie sich Perspektiven, etwa auf dem Arbeitsmarkt." Diese Perspektiven seien aber nicht hinreichend gegeben, was zu weiterer Unzufriedenheit führe. "Die Sicherheit, die die Regierung anstrebt, ist darum höchst brüchig."

Ägyptische Menschenrechtler begrüßen den offenen Brief. Er sei wichtig, sagt Mina Thabet. Viele Ägypter, die an Menschenrechte oder Demokratie glaubten, hätten den Eindruck, dass niemand ernsthaft auf diese Normen setze. "Viele westliche Regierungen sagen zwar, sie förderten Menschenrechte. Doch tatsächlich haben sie gegen die Situation in Ägypten nichts unternommen. Stattdessen pflegen sie enge Beziehungen zum Regime." Der nun veröffentlichte Brief könnte ein erster Schritt zur Verbesserung der Menschenrechte sein. Ihm müssten aber weitere Schritte folgen.

Ägyptens Präsident al-Sisi für zweite Amtszeit vereidigt
Zweifelhafte Menschenrechtsbilanz: der ägyptsche Präsident Abdel Fattah al-Sisi Bild: picture-alliance/Xinhua/MENA

Ähnlich sieht es Nahost-Expertin Ullrich von Amnesty. Es sei höchste Zeit, dass die ägyptischen Behörden den Rechten der Gefangenen Priorität einräumen, das Recht auf Meinungs-, Presse-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit wahrten, und den "Kreislauf der Straflosigkeit für Menschenrechtsverletzungen" durchbrächen.

Bis dahin könnte es ein längerer Weg werden. Die ägyptische Regierung, fasst Gyde Jensen ihren Eindruck zusammen, "hat ihre Hausaufgaben noch nicht gemacht."

 

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika