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"Ohne Insekten können wir nicht überleben"

Sonya Angelica Diehn
2. Juli 2018

Viele Menschen sind von Insekten genervt, doch Biologe Dave Goulson warnt: Eine Welt ohne sie ist ein trauriger Ort, ohne Kaffee und Schokolade, dafür mit viel Kuhmist und toten Tieren auf der Straße.

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Ein Bienenvolk zieht um
Bild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Deutsche Welle: Wie viele Insekten gibt es auf der Welt?

Dave Goulson: Insekten sind die dominanteste Lebensform auf unserem Planeten. Wir haben mehr als eine Million Insektenarten identifiziert, aber es könnte noch fünf oder zehn Millionen mehr geben. Wenn es um individuelle Tiere geht, gibt es mehr Insekten als irgendetwas sonst - außer Mikro-Organismen wie Bakterien.

Warum verschwinden Insekten?

Die Mehrheit der Experten ist sich einig, dass eine Kombination von Faktoren dafür verantwortlich ist. Die meisten haben damit zu tun, wie sich die Landwirtschaft in den letzten hundert Jahren verändert hat. Wir haben jetzt eine Art industrielle Landwirtschaft, mit sehr großen Feldern und Monokulturen, die mit vielen Pestiziden behandelt werden. Das macht das Überleben für die meisten Insekten sehr schwierig.

Warum sollte uns das Insektensterben kümmern?

Professor Dave Goulson
Der Forscher Dave Goulson gibt Insekten eine StimmeBild: University of Sussex

Die Menschen sollten sich die Haare raufen vor Besorgnis, weil wir ohne Insekten nicht überleben können. Bestäubung ist wohl das bekannteste Beispiel für das, was Insekten für uns tun. Viele Obst- und Gemüsesorten, die wir gerne essen, und auch Dinge wie Schokolade, hätten wir nicht ohne Insekten.

Insekten helfen außerdem dabei, Blätter, tote Bäume und die Körper toter Tiere zu zersetzen. Sie recyceln Nährstoffe und stellen sie wieder zur Verfügung. Ohne Insekten würden überall Kuh-Haufen und tote Tiere herumliegen.

Mehr dazu: Insektensterben: Machen Bienen und Käfer sich weltweit davon?

Wie sähe eine Welt ohne Insekten sonst noch aus?

Die meisten Wildblumen brauchen Insekten für die Bestäubung. Wenn wir also Insekten verlieren, verlieren wir auch unsere Wildblumen und damit alle Lebewesen, die sich von diesen Wildblumen ernähren. Insekten sind das Herz aller ökologischen Prozesse, die wir uns nur vorstellen können. Ohne sie würden wir in einer sterilen, langweiligen Welt leben, in der wir uns mehr schlecht als recht von Brot und Haferflocken ernähren müssten.

Was ist mit Plagegeistern wie Mücken? Erfüllen die auch einen ökologischen Zweck?

Alle Insekten sind für irgendetwas nützlich. Sie sind entweder Nahrung für etwas oder sie bestäuben etwas oder sowas in der Art. Aber nicht jeder Organismus muss einen bestimmten Zweck erfüllen. Ein oder zwei Insektenarten können vielleicht aussterben, ohne dass es einen merklichen Effekt hätte. Aber der Punkt ist ja, dass wenn mehr und mehr Arten aussterben, die Ökosysteme langsam zugrunde gehen.

Infografik Insektenarten weltweit in Gefahr DE

Forscher haben kürzlich festgestellt, dass sich die Insektenanzahl in einem deutschen Naturschutzgebiet um 75 Prozent verringert hat. Aber das hat uns und unsere Ernten nicht unbedingt beeinflusst, oder?

Die verbreitetsten Feldfrüchte in Europa sind nicht auf die Bestäubung durch Insekten angewiesen. Weizen zum Beispiel wird durch den Wind bestäubt. Aber in anderen Teilen der Welt merkt man die Konsequenzen schon: In Teilen Chinas bestäuben sie ihre Apfel- und Birnbäume nun per Hand, weil es nicht mehr genügend Bienen gibt, die das übernehmen.

Die volle Wucht des Insektensterbens hat uns also noch nicht getroffen?

Genau. Die menschliche Bevölkerung wächst und versucht, immer mehr Lebensmittel anzubauen. Gleichzeitig schrumpft die Anzahl der Bestäuber rasend schnell. Irgendwann werden diese zwei Entwicklungen aufeinander prallen. Mehr als zehn Jahre wird das nicht mehr dauern, ich schätze eher weniger.

Warum sind gerade Bienenvölker so stark betroffen?

Durch die intensivere Landschaft gibt es viel weniger Blumen, und die Blumen, die noch da sind, sind mit Pestiziden belastet. Das macht den Bienen das Leben schwer. Außerdem haben wir aus Versehen jede Menge Bienenkrankheiten verbreitet, indem wir Honigbienen weltweit hin- und her transportiert und sie auch miteinander gekreuzt haben. Wenn eine Biene krank und vergiftet und hungrig ist, dann ist es nicht gerade überraschend, wenn sie stirbt.

Mehr dazu: Der Schutz der Bienen - Eine Herausforderung für die Forschung

Wird das Verbot, Neonicotinoide unter freiem Himmel einzusetzen, die Bienen retten?

Nein. Einige Menschen glauben fälschlicherweise, dass Neonicotinoide das Hauptproblem sind, mit dem Bienen zu kämpfen haben. Diese Pestizide sind schädlich für Bienen und sie nicht mehr einzusetzen ist natürlich eine kluge Entscheidung. Aber wir benutzen aktuell rund 500 verschiedene Pestizide in Europa. Drei von ihnen, und wahrscheinlich die schlimmsten drei, zu verbieten ist ein guter Anfang – aber wir haben noch einen langen Weg vor uns. Wenn man nur ein Pestizid aus dem Rennen nimmt, überlegt sich der Bauer einfach, welches andere Pestizid er stattdessen nehmen kann. Wir müssen uns wirklich die gesamte Landwirtschaft ansehen und einen Weg finden, die Pestizid-Nutzung massiv einzuschränken.

Schwebfliege auf Gänseblümchen
Nicht nur Bienen, sondern auch andere Insekten, wie diese Schwebfliege, sind für die Ökologie wichtig. Bild: picture alliance/H. Bäsemann

Welche Insekten werden am meisten unter dem Klimawandel leiden?

Hummeln sind ein klassisches Beispiel. Das sind große, flauschige Insekten, die gut an ein kälteres Klima angepasst sind. Sie können sich gut auf feuchte, kalte Temperaturen einstellen und werden mit den steigenden Temperaturen zu kämpfen haben. Es gibt Einschätzungen, die vorhersagen, dass die europäische Hummel bis zum Ende dieses Jahrhunderts ausgestorben sein wird.

Werden einige Spezies auch vom Klimawandel profitieren?

Einige Insekten bestimmt. Diejenigen, die sich schnell vermehren und von denen es sehr viele gibt, können sich gut anpassen. Das sind auch diejenigen, die wir als Plagegeister wahrnehmen und eigentlich nicht haben wollen. Schmetterlinge, Libellen und Hummeln dagegen vermehren sich viel langsamer, sie können sich schlechter anpassen. Wir riskieren also, die meisten schönen und wichtigen Insekten, die wir mögen, auszurotten. Und dann bleiben nur viele Fliegen und Kakerlaken übrig.

Prof. Dr. Dave Goulson ist Biologieprofessor an der University of Sussex in Großbritannien.

Das Interview führte Sonya Angelica Diehn.