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Opposition stellt Putins Sieg in Frage

6. März 2012

Nach der Präsidentenwahl steigt die Spannung in Russland. Die Bürgerbewegung "Für freie Wahlen" erkennt die Wahl nicht als legitim an. Moskau bereitet sich auf eine Protestwelle vor.

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Eni Mann schaut auf ein Plakat mit den Präsidentschaftskandidaten (Foto: Reuters)
Zweifel an WahlergebnisBild: Reuters

Es gibt schlechte Nachrichten für Russlands künftigen Präsidenten Wladimir Putin. Sein Sieg mit rund 64 Prozent der Stimmen war offenbar nicht so sauber, wie er am Wahlabend vor seinen Anhängern verkündete. Der Urnengang habe internationalen Standards nicht entsprochen, erklärten Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sowie der Parlamentarischen Versammlung des Europarates am Montag (05.03.2012) in Moskau.
Die Hauptkritikpunkte: Keine Chancengleichheit, eine Berichterstattung in den Staatsmedien zu Gunsten eines Kandidaten, Missbrauch staatlicher Ressourcen und Verstöße am Tag der Abstimmung. Bei der Stimmenauszählung in rund einem Drittel der aufgesuchten 98 Wahllokale seien Unregelmäßigkeiten festgestellt worden, sagte die Leiterin der OSZE-Beobachtungsmission, Haidi Tagliavini. Gleichwohl stellten die Beobachter Verbesserungen fest, wie etwa transparente Wahlurnen oder die Live-Übertragung aus den Wahllokalen über Web-Kameras.

Eine Wahlurne wird in einem russischen Wahllokal entleert (Foto: Reuters)
Beobachter stellen Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenauszählung festBild: Reuters

Aufruf zu friedlichen Protesten

Die Einschätzung der internationalen Wahlbeobachter deckt sich mit den Berichten vieler russischer Aktivisten und Nichtregierungsorganisationen. Die Kritik der OSZE dürfte die Oppositionellen in Russland ermutigen. So erkennt die Bewegung "Für freie Wahlen" die Legitimität der Wahl nicht an. Sie hat zu neuen Protestkundgebungen aufgerufen. Erwartet werden in Moskau aber gleich mehrere Demonstrationen – sowohl von Putin-Gegnern als auch von Putin-Anhängern.
Da Putin am Wahlabend seinen Gegnern erneut Umsturzpläne unterstellt hatte, nehmen die Spannungen zu. Jeden Eindruck einer Revolution wollen die Veranstalter der Protestkundgebungen aber vermeiden. Die Proteste sollten friedlich bleiben, fordert Michail Gorbatschow in der Moskauer "Nowaja gaseta". Der ehemalige sowjetische Präsident unterstützt diejenigen, die für faire Wahlen auf die Straße gehen wollen.

der Oppositionelle Grigori Jawlinski warnt vor gewaltsamen Protesten
Der Oppositionelle Grigori Jawlinski warnt vor gewaltsamen ProtestenBild: picture-alliance/dpa

Auch Grigori Jawlinski von der liberalen "Jabloko"-Partei ruft die Moskauer auf, friedlich zu demonstrieren. "Wir müssen alles tun, um Gewalt und Blutvergießen zu verhindern", schreibt er ebenfalls in der "Nowaja gaseta". Gewaltsame Proteste würden eine Liberalisierung Russlands erst recht unmöglich machen, meint der Oppositionelle Jawlinski.

Widersprüchliche Signale aus dem Kreml

Nach der Wahl wird in Russland darüber diskutiert, wie die in den vergangenen Wochen deutlich gewordene Spaltung der Gesellschaft überwunden werden könnte. Wie könnte Putin, der von einer konservativen Mehrheit gewählt worden sei, auf liberale Vertreter der Mittelschicht zugehen, fragte der Moderator einer Talkshow im staatlichen Fernsehen. Zu der Runde waren auch Oppositionspolitiker eingeladen, was bisher äußerst selten vorkam. Der Moderator wertete dies als "Ausdruck von Demokratie".

Putin dürfe seine Gegner nicht zu "Verrätern" erklären, sagte einer der Gäste der Talkshow. Doch noch scheint dies eher Wunsch als Realität zu sein. Die russische Führungsspitze sendete nach der Wahl widersprüchliche Signale. Putin lobte in seinen Auftritten "die einfachen Arbeiter", die für ihn gestimmt hätten. Der Wahlsieger legte nahe, er halte sie für "bessere Menschen" als die Intellektuellen, die nur "heiße Luft" produzieren würden. Auch das Staatsfernsehen brachte am Tag nach der Wahl Berichte über Bergleute und andere Arbeiter, was stark an die Propaganda der Sowjetzeit erinnert.

"Russland am Scheideweg"
Putins Äußerungen dürften aber den Graben zwischen ihm und der liberalen Mittelschicht, die seit Monaten in Moskau und anderen Städten auf die Straße geht, noch tiefer machen, sagen Experten in Moskau. Diese Wählergruppe habe eher der scheidende Präsident Dmitrij Medwedew angesprochen. Dieser ordnete gleich nach der Präsidentenwahl überraschend an, die Urteile in einigen umstrittenen Prozessen zu überprüfen, darunter auch den Fall des 2003 verurteilten Ölmagnaten und Putin-Kritikers Michail Chodorkowski. Auch solle überprüft werden, warum einigen Oppositionsparteien die Zulassung verweigert worden sei, teilte das Präsidialamt in Moskau mit.

Portrait von Lilija Schibanowa (Foto: DW)
Lilija Schibanowa leitet die russische Wahlbeobachter-Organisation "Golos"Bild: DW

Russland sei am Scheideweg, meint Lilija Schibanowa, Leiterin der russischen Wahlbeobachterorganisation "Golos": "Einerseits wird über Reformen gesprochen, andererseits wird mit hartem Durchgreifen gedroht." Putin habe wohl noch nicht entschieden, welches Szenario er bevorzugen werde, so Schibanowa. In einem ist sie sich aber sicher: "Das Spannendste kommt nach der Wahl."

Autor: Roman Goncharenko
Redaktion: Markian Ostaptschuk