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Organspende: Ein neues Herz trotz Corona

6. Juni 2020

COVID-19 hat die Organspenden in Deutschland zwar ausgebremst, in anderen Ländern brachen die Spenderzahlen sogar massiv ein. Unklar bleibt, ob durch das Coronavirus der Bedarf an Transplantationen steigen wird.

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Bundestag entscheidet über neue Regeln für Organspenden
Bild: picture-alliance/dpa/S. Stache

Mehr als 9000 Menschen warten in Deutschland auf ein Spenderorgan. Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung spendeten im vergangenen Jahr 932 Personen nach dem Tod ihre Organe. Der Bedarf an Niere, Herz und Lunge ist definitiv größer, als das Angebot. Das war auch schon in Vor-Corona-Zeiten so. 

Zwar ist die Bereitschaft zur Spende seit einem Tiefstand 2017 bundesweit wieder gestiegen - wohl auch deshalb, weil das Thema im vergangenen Jahr besondere mediale Aufmerksamkeit erfuhr, als der Versuch, das Organspendegesetz zu reformieren, scheiterte. Es mag also sein, dass seitdem ein paar Menschen mehr einen Organspendeausweis besitzen. Auf eine Million Einwohner kommen, Stand 2019, trotzdem nur 11,5 Organtransplantationen. 

Die gute Nachricht: COVID-19 hat diese Zahlen nicht verringert. Zumindest nicht in Deutschland. "Im März und April ist es im Vergleich zum Vorjahr nicht zu einem deutlichen Rückgang der Organspende in Deutschland gekommen", heißt es in einem Papier der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO).

Infografik Organspende DE

Stabiles Gesundheitssystem, stabile Spenderzahl

"Mit Beginn der Corona-Pandemie hat die DSO entsprechende Regeln implementiert, sodass potentielle Spender sofort getestet wurden", lobt Florian Grahammer, Direktor des Universitären Transplantations Centrums der Universität Hamburg-Eppendorf (UKE), die Vorgehensweise der DSO. Die Stiftung fungiert als bundesweite Koordinierungsstelle für die postmortalen Organspenden in Deutschland.

Mehr dazu: Organspende: Was man wissen muss

Im Transplantations Centrum des UKE werden die Patienten nicht nur auf die Transplantationen von Nieren, Leber und Pankreas vorbereitet, auch die Nachsorge findet hier statt. Die Corona-Krise hat zwar nicht zu einem Spenderengpass geführt, so Grahammer, trotzdem hat das Virus im Klinikalltag deutliche Spuren hinterlassen.

"Viele Patienten waren zu Beginn der Pandemie verängstigt, sind nicht in die Ambulanz gekommen und haben Termine abgesagt", erzählt der Internist Grahammer. Lebendspenden, wie bei einer Nierentransplantation, seien verschoben worden. "Wir haben versucht, vor allem die postmortalen Spenden weiter durchzuführen", sagt er. Die meisten Organtransplantationen finden nach dem Tod des Spenders statt und müssen schnell gehen. 

Nicht nur die zügig durchgeführten Tests potentieller Spender haben den Betrieb aufrechterhalten, sondern auch die insgesamt stabile Verfassung des deutschen Gesundheitssystems. In Ländern, deren Krankenhäuser unter der Masse an COVID-19-Intensivpatienten kollabierten, brachen auch die Spenderzahlen ein: Italien verzeichnete einen Rückgang der Organspenden um 30 Prozent, Spanien um mehr als 50 Prozent.

Doch auch wer ein dringend benötigtes Organ erhalten hat, ist durch das neuartige Coronavirus weiterhin in Gefahr und gehört zur Hochrisikogruppe. "Insbesondere in Ländern, bei denen das Gesundheitssystem transient [vorübergehend] und regionär [die Region eines Körperteils betreffend] überfordert wurde, lag die Mortalität der transplantierten Patienten nochmals höher", informiert die Deutsche Transplantationsgesellschaft (DTG) auf ihrer Homepage.

Mehr dazu: Organspende: Die Rolle der Psyche bei Transplantationen

Mehr Transplantationen durch Corona nötig?

Spätestens seit der ersten in Europa durchgeführten Lungentransplantation an einer COVID-19 erkrankten Patientin an der Medizinischen Universität Wien stellt sich die Frage: Was kommt da noch auf uns zu? 

Obduktionen und Analysen haben ergeben, dass SARS-CoV-2 nicht nur zu einer Lungeninfektion führt, sondern auch weitere Organe wie Nieren, Herz und Gehirn befallen kann. Über 7000 Menschen in Deutschland haben bereits vor Corona auf eine neue Niere gehofft. Wie lang wird diese Warteliste in den nächsten Monaten und Jahren?

Organspende-Tourismus in Spanien

Florian Grahammer kann darüber, genau wie alle anderen Experten, nur spekulieren. "Auch wenn viele Menschen das Gefühl haben, dass wir uns schon sehr lange mit Corona beschäftigen, stehen wir, was Beobachtungen und belastbare Studien angeht, noch ganz am Anfang." Genaues weiß man also nicht. 

Vorstellbar sei ein Anstieg des Spenderorganbedarfs allerdings auch deshalb, weil schwere Organschädigungen durch eine Infektion wie COVID-19 häufig weitere Funktionsverluste im Laufe der Jahre nach sich ziehen. Im ungünstigsten Fall bleibt dann nur eine Transplantation. 

Die Vorbereitung auf dieses worst case-Szenario ist indes nicht so einfach. Wichtig sei es, dass der Transport der Organe und der Schutz der Patienten auch während einer Pandemie gewährleistet seien. SARS-CoV-2 wird kaum das letzte Virus sein, das uns heimsucht.

Außerdem hofft Grahammer, dass die Organspende noch mehr positive Aufmerksamkeit bekommt. Und damit mehr potentielle Spender.