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Organspende soll auf den Prüfstand

8. August 2012

Nach dem jüngsten Organspende-Skandal in Deutschland bemühen sich Politik und Mediziner um Schadensbegrenzung. Ärztekammer-Präsident Montgomery kündigte Spitzengespräche mit Experten und dem Gesundheitsminister an.

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Kühlbox für Organtransporte (Foto: dapd)
Deutschland Bundestag entscheidet über OrganspendeBild: dapd

Die Bundesärztekammer will am Donnerstag (09.08.2012) mit der Stiftung Organtransplantation und anderen Experten über das Thema beraten, wie ihr Präsident Frank Ulrich Montgomery in der "Bild"-Zeitung ankündigte. Bei dem Treffen soll die fragwürdige Praxis bei der Vergabe von Spenderorganen überprüft werden. Eine Woche später sei ein Gespräch mit Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) geplant. "Da beraten wir, ob wir bei der schnellen Organ-Zuteilung neue Regeln brauchen", sagte Montgomery.

Zugleich warnte er aber vor "Schnellschüssen", diese würden nicht weiterhelfen. Ziel müsse vielmehr ein neues Prinzip bei der Vergabe von Spenderorganen sein. "Wir wollen das Vier-Augen-Prinzip einführen, bei dem ein unabhängiger Arzt feststellen muss, wie krank der Empfänger wirklich ist, damit die Liste nicht mehr gefälscht werden kann", so Montgomery.

Manipulationen und Sonderwege

Die aktuelle Diskussion wurde ausgelöst durch Manipulationen der Warteliste für Patienten, die eine Organspende brauchen. Die Justiz ermittelt in diesem Zusammenhang, ob an den Uniklinken Göttingen und Regensburg Akten gefälscht wurden.

Eugen Brysch, Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospitz Stiftung # O-Ton # 08.08.2012 # Journal Deutsch

Außerdem wurde bekannt, dass in Deutschland immer mehr Spenderorgane auf Sonderwegen zu todkranken Patienten gelangen - an der allgemeinen Warteliste vorbei. Allein im vergangenen Jahr wurden rund 900 Mal Herz, Lunge, Niere, Leber oder Bauchspeicheldrüse per beschleunigter Vermittlung vergeben. Nach offiziellen Angaben handelt es sich dabei um Organe mit möglichen Risikofaktoren.

Diskussion über beschleunigte Verfahren

Montgomery betonte mit Blick auf die vielen beschleunigten Verfahren: "Es gibt keinen Hinweis auf Mogeleien oder kriminelles Verhalten." Die Vorgehensweise müsse dennoch unter die Lupe genommen werden, sagte er der "Passauer Neuen Presse". Der Sonderfall dürfe nicht zum Regelfall werden.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hält die hohen Zuwachsraten der Transplantationen im beschleunigten Verfahren nicht für plausibel. "Medizinisch gesehen sind etwa die Organe Älterer heute eher besser verwertbar als früher", sagte Lauterbach der "Passauer Neuen Presse". Die rasante Zunahme sei "höchst verdächtig".

Transparenz und Vertrauensbildung

Auch der Grünen-Gesundheitsexperte Harald Terpe, der die aktuellen Transplantationsdaten im Rahmen einer Anfrage vom Bundesgesundheitsministerium erhielt, sieht angesichts des "enormen Anstiegs" der Schnellverfahren Handlungsbedarf. "Das ganze Verfahren muss offengelegt und überprüft, jeder Verdacht muss ausgeräumt werden, sonst können wir die Spendenbereitschaft vergessen", sagte er.

Für die Linke forderte Parteichef Bernd Riexinger einen "Katalog vertrauensbildender Maßnahmen" mit drei Punkten. Erstens müsse die Vergabe von Spenderorganen unter staatliche Aufsicht gestellt werden, sagte er den Zeitungen der WAZ-Gruppe und dem Internetportal "DerWesten.de". Gesundheitsämter sollten dafür mehr Personal und Kompetenzen bekommen. Zweitens solle regelmäßig ein Organspende-Report veröffentlicht werden. Damit werde sichergestellt, dass der Erhalt eines Spenderorgans "nicht vom Geldbeutel abhängt". Drittens seien härtere Kontrollen für die Organspende und schärfere Strafen bei Missbrauch notwendig.

Politik soll Ärzte stärker kontrollieren

Der Kölner Verfassungsrechtler Wolfram Höfling, der auch im Deutschen Ethikrat sitzt - einem unabhängigen, vom Bundestagspräsidenten berufenen Sachverständigengremium -, hält das ganze System für fundamental falsch. Es könne nicht sein, dass sich Ärzte selbst kontrollieren, sagte er der "Berliner Zeitung".

Generell gehe es bei den Kriterien, nach denen Organe vergeben werden, um Gerechtigkeitsfragen - "und damit Entscheidungen, die der Gesetzgeber treffen muss. Nicht die Ärzte". "Was ist mit dem Patienten, der sich die Leber kaputt getrunken hat. Bekommt er eine Leber? Solchen Debatten muss sich die Politik stellen", forderte Höfling.

gri/qu (afp, dpa, dapd)