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Organspender dringend gesucht

Iveta Ondruskova6. Juni 2014

Transplantationen sind für Schwerkranke oft die letzte Chance. In Deutschland mangelt es an Spenderorganen. Der "Tag der Organspende" soll Denkanstöße geben. Es geht auch um verloren gegangenes Vertrauen.

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Gespendete Leber - Foto: China Foto Press
Bild: picture-alliance/dpa

Lenie ist 8 Jahre alt. Sie isst gern Hamburger. Das allein ist schon fast ein Wunder. In den ersten drei Jahren ihres Lebens konnte sie gar nichts essen. Sie hing an Schläuchen, wurde nur künstlich ernährt und musste sich in einem sterilen Umfeld aufhalten. Es ging ums nackte Überleben. Denn Lenie wurde ohne funktionstüchtigen Darm geboren. Ihre Geschichte schildert Hania Luczak in ihrem Buch "Ein neuer Bauch für Lenie".

Tausende von Menschen in Deutschland befinden sich in einer vergleichbar dramatischen Lebenssituation. Laut Experten sind es derzeit rund 11.000 Schwerkranke, die auf eine Organtransplantation warten. Allein 8000 Menschen brauchen eine neue Niere. Und jährlich sterben fast 1100 Menschen, weil es zu wenig Spenderorgane gibt.

Organspenden auf historischen Tiefstand

2013 haben in Deutschland so wenig Menschen Organe gespendet wie nie zuvor: 876. Damit erzielte die Bundesrepublik einen Durchschnitt von 10,9 Spendern pro eine Million Einwohner, 2012 waren es noch 12,8 Spender. Damit bleibt Deutschland in Europa auf einem der hinteren Plätze. Und eine Besserung ist nicht in Sicht: In den ersten vier Monaten dieses Jahres sank die Zahl der Organspender erneut. Der Grund: Organ-Spenden-Skandale, die vor zwei Jahren bekannt wurden. Mehrere Kliniken hatten Patientendaten manipuliert, um schnell an Spenderorgane zu kommen.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit seiner Eherau Elke im Jahr 2009 - Foto: Tim Brakemeier (dpa)
Elke Büdenbender und Frank-Walter Steinmeier: Nierenspende des SPD-Politikers für seine EhefrauBild: picture-alliance/dpa

Laut einer aktuellen Umfrage hat nicht mal ein Drittel der Deutschen einen Organ-Spende-Ausweis. Dabei hätten 70 Prozent nichts gegen eine Organ-Entnahme nach ihrem Tod. Nach dem deutschen Transplantationsgesetz ist es verboten, mit Organen Handel zu treiben. Wer dies trotzdem tut, muss mit bis zu fünf Jahren Haft oder einer Geldstrafe rechnen.

Von einem verstorbenen Menschen können Niere, Leber, Herz, Lunge, Bauchspeicheldrüse und Dünndarm übertragen werden. Transplantieren kann man auch Gewebe wie Hornhaut oder Knochen. Ein einzelner Organspender kann bis zu sieben schwer kranken Menschen dadurch helfen. Spenderorgane dürfen in Deutschland nur nach der Diagnose Hirntod entnommen werden. Bundesweit gibt es etwa 2000 Hirntote pro Jahr.

Auch Lebendspenden möglich

Außerdem ist es möglich, eine Niere oder einen Teil der Leber bereits zu Lebzeiten zu spenden. Das hat auch der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier getan.

"Es geht um das Leben meiner Frau Elke. Sie braucht dringend eine Organtransplantation", sagte er im Sommer 2010. Wegen der langen Wartezeit für Spenderorgane - bei einer Niere liegt sie bei sechs bis sieben Jahren - entschied er sich, selbst zu handeln. "Ich werde selbst der Organspender sein", verkündete Steinmeier und zog sich für zwei Monate aus der Politik zurück, um seiner Frau eine Niere spenden zu können.

Steinmeier selbst trägt seit seinen Studententagen einen Organ-Spender-Ausweis mit sich. Damals drohte die Erblindung seines linken Auges. Durch eine Hornhaut-Transplantation wurde dies verhindert.

Deutschlandweit 47 Transplantations-Zentren

Eine Organentnahme nach dem Tod kann jedes der rund 1300 deutschen Krankenhäuser mit Intensivstation durchführen. Für die Operationen des Empfängers sind die darauf spezialisierten Transplantationszentren zuständig. Derzeit gibt es in Deutschland 47 solche Zentren. Die Organentnahme koordiniert die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO).

Transplantation einer Niere - Foto: Jan-Peter Kasper (dpa)
Transplantation einer Niere: Bis zu sieben Jahre WartezeitBild: picture-alliance/dpa

Wer in Deutschland aber ein Organ bekommt, bestimmt die internationale Organisation Eurotransplantat mit Sitz in den Niederlanden. Bei ihr wird die Empfängerkartei mit allen notwendigen Daten geführt. Und dort werden auch die Listen von Patienten erstellt, die ein neues Organ benötigen.

Die kleine Lenie stand auf der Warteliste von Eurotransplantat drei Monate lang, um einen neuen Darm zu bekommen. Im Sommer 2009 war es dann so weit: Zum ersten Mal wurde in Deutschland einem Kind ein Darm transplantiert. An der Universitätsklinik in Tübingen wagte ein Team diese hochriskante Operation. Sie gelang. Für Lenie begann ein neues Leben. Heute geht sie zur Schule, spielt mit Kameraden. Ihren neuen Darm bekam sie damals von einem verstorbenen sechsjährigen Jungen. Und Lenies zweiter Lebensretter heißt Alfred Königsrainer, Chirurg und Klinikdirektor in Tübingen, der das Operationsteam damals geleitet hat.

Viele sterben, weil sie zu lange auf Organe warten müssen

"Wir haben in Deutschland eine ausgezeichnete Transplantationsmedizin. Und trotzdem müssen so viele Menschen sterben," sagt Königsrainer. "Weil wir so wenige Organe haben, stehen die Menschen zu lange auf Wartelisten," so der Chirurg. Und: "Wenn sie dann dran sind, sind viele zu schwach, um noch transplantiert zu werden."

Eine Person hat einen Kuli in der Hand und füllt den Organspende-Ausweis aus
Organspende-Ausweis: Gewissheit für Angehörige in einer schwierigen SituationBild: Getty Images

Dennoch: "Jede Organspende kann Leben retten", sagt Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), der jetzt erneut zur Organspende aufgerufen hat. Denn immer am ersten Samstag im Juni ist in Deutschland seit 1983 der Tag der Organspende. Vorrangiges Ziel ist es, auf das Thema aufmerksam zu machen und zu informieren, damit wieder mehr Schwerkranke gerettet werden können.

Er wolle Menschen zum Tragen eines Organ-Spende-Ausweises motivieren, so Gröhe. Das Dokument gebe auch den Angehörigen die Gewissheit, in einer schwierigen Situation, das Richtige zu tun - also im Todesfall, im Sinne des Verstorbenen zu handeln.