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Orgelbauerin Graumann: "Herrin über 10.000 Pfeifen"

Klaus Krämer
7. Dezember 2017

Orgelbau und Orgelmusik sind in die Liste des "Immateriellen Kulturerbes" der Unesco aufgenommen geworden. Die Orgelbauerin Gesa Graumann erzählt, warum ihr Instrument zu Unrecht als rückständig gilt.

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Gesa Graumann, Orgelbauerin bei der Johannes Klais Orgelbau GmbH & Co. KG
Bild: Johannes Klais Orgelbau GmbH & Co. KG

DW: Frau Graumann, was macht die 'Adelung' durch die Unesco mit Ihnen als Orgelbauerin?

Graumann: Ich fühle mich durch diese Auszeichnung darin bestätigt, dass das, was wir machen, doch nicht so unwichtig ist, wie es manchmal in der Öffentlichkeit erscheint. Sondern, dass es tatsächlich etwas mit unserer Kultur zu tun hat. Es freut uns natürlich ganz besonders.

Was bedeutet Ihnen eine Orgel?

Jetzt wird es sehr persönlich, da kann ich natürlich nicht für andere sprechen. Ich kann gar nicht sagen, wie ich dazu gekommen bin. Meine Mutter war zwei Tage vor meiner Geburt in einem Orgelkonzert und sagte, ich hätte schon kräftig die Bälge getreten. Vielleicht ist das eine pränatale Prägung. Ich habe während der Grundschulzeit begonnen, Orgel zu spielen. Ich war also schon sehr von diesem Orgel-Virus infiziert. Dadurch, dass ich selber spiele, ist die Orgel natürlich unmittelbar verbunden mit der Musik. Und die ist eine Möglichkeit, mich auszudrücken, eine Möglichkeit, selber Klangwelten zu erschaffen. Sie glauben nicht, was das für ein faszinierendes Gefühl ist, z. B. nachts im Kölner Dom zu sitzen und dort Herrin über 10.000 Pfeifen zu sein und von ganz leise bis ganz laut so viel Musik machen zu können. So laut, dass die Gäste im Dom-Hotel nebenan sich wahrscheinlich beim Portier beschweren, weil sie nicht schlafen können. Das ist ein ganz tolles Gefühl.

Sie sind bei der Firma Johannes Klais Orgelbau in Bonn angestellt, einem der renommiertesten Orgelbauer in Deutschland. Welches Orgelsortiment bedient die Firma Klais?

Johannes Klais Orgelbau Werkstatt
Bild: Johannes Klais Orgelbau GmbH & Co. KG

Mit einer kleinen Einschränkung so gut wie alles. Das geht bei ganz kleinen Orgeln los. Nach oben hin ist die Begrenzung der zur Verfügung stehende Platz und die Finanzkraft des Kunden. Wir versuchen ziemlich breit aufgestellt zu sein. Wo wir bei Klais vorsichtig sind, ist, wenn es um reine Stilkopien geht - also z. B. eine norddeutsche Barockorgel oder eine rein französisch-romantische Orgel nachzubauen. Das versuchen wir zu umgehen. Wir möchten lieber Orgeln bauen, mit denen man im besten Sinne alles musizieren kann und die vor allen Dingen nicht nur rückwärts gerichtet sind, sondern die inspirieren, Neues damit zu machen.

Klais hat ja die Orgel in der Hamburger Elbphilharmonie gebaut. Haben Sie damit etwas Neues geschaffen?

Wir hoffen schon, denn sie ist in der Klanglichkeit schon etwas, was in dieser Form so noch nicht da war. Wobei das auch sehr schwierig ist, denn eine Orgel ist immer ein Einzelstück, weil sie ganz stark auf den Raum Bezug nimmt, in dem sie entsteht und später auch steht. Insofern ist jede Orgel einzigartig. Wir sind bei der Elbphilharmonie schon mit der Überzeugung herangegangen, dass wir hier etwas schaffen wollen, was die Orgel wieder stärker in die Mitte des Konzertsaals rückt und mit dem Orchester eine gleichberechtigte Partnerschaft eingehen lässt.

Woran liegt es, dass sich gerade in Deutschland die Tradition des Orgelbaus so ausgeprägt hat?

Die Orgel hatte ihre erste Hochzeit im römischen Kulturkreis - als Statussymbol und weltliches Instrument der Reichen. Von dort ist sie an den oströmischen Kaiserhof gewandert, während das Abendland im finsteren Mittelalter versank. Ins Abendland kam die Orgel um das Jahr 800 und 300 Jahre später hatte jede europäische Kathedrale ihre eigene Orgel. Und seitdem ist die Orgel bei uns heimisch. Seitdem ist die Tradition hier ungebrochen und hat sich dann im christlichen Raum weiter verbreitet. Aber eigentlich hat die Orgel eine völlig weltliche Tradition.

Wenn Sie einem Laien die Funktion einer Orgel erklären müssen, wie klingt das dann?

Deutschland Orgelbau Klais in Bonn
Einer von über 50 Klais-Mitarbeitern bei der Arbeit an der Orgel für die Elbphilharmonie Bild: picture-alliance/dpa/R. Vennenbernd

Oh, das ist schwierig, weil die Orgel technisch ein sehr komplexes Instrument ist. Es gibt zwei "Urväter" der Orgel. Das ist auf der einen Seite die Flöte - eine Blockflöte zum Beispiel. Oben bläst man rein, unten gibt es ein Rohr, das als Resonanzraum dient und die Tonhöhe definiert. Der zweite "Urvater" ist der Dudelsack, weil der das Prinzip des Blasebalges aufbringt. Da wird ein Reservoire mit Luft gefüllt – beim Dudelsack ist das dieser Lederbeutel - und von dem aus kann man durch den Armdruck reguliert die Luft ganz gleichmäßig rauspusten. Das einzige, was man gemacht hat - man hat dem Blockflötenspieler das Zuhalten der Löcher abgenommen und dazwischen die Mechanik mit den Tasten gesetzt. Das ist im Grunde genommen das Funktionsprinzip: eine mechanisierte Blockflöte.

Aus wie vielen Einzelteilen besteht eigentlich eine durchschnittliche Orgel?

Das kann ich auch nur schätzen. Wir haben vor einiger Zeit mal einen groben Überschlag für eine Orgel mittlerer Größe gemacht. Bei 40 Registern werden das etwa 3000 bis 3500 Pfeifen sein. Damit kommt man auf etwas über 30.000 Einzelteile.

Nun ist Orgelmusik ja heute keine Mainstream-Musik mehr. Macht Ihnen das Sorgen?

Wir merken das auf jeden Fall. Das hat zwei Gründe. Zum einen, weil die Orgel im öffentlichen Bewusstsein sehr stark in Verbindung gebracht wird mit Religion und Kirche. Und in dem Maße, wie diese beiden im öffentlichen Leben immer weniger wichtig sind und immer weiter verschwinden, ist auch die Orgel bewusstseinsmäßig auf dem Rückzug. Das ist schade, denn die Orgel ist neben ihrer liturgischen Funktion auch ein hervorragendes Konzertinstrument.

Sie sprechen die Kirchen an. Dort werden die finanziellen Mittel immer knapper, sodass so manche Orgel in einem desolaten Zustand ist. Was bedeutet das für die Zukunft?

Johannes Klais Orgelbau Werkstatt
Blick in den Maschinenraum der Firma KlaisBild: Johannes Klais Orgelbau GmbH & Co. KG

Ich glaube, dass wir eine stärkere Verlagerung der Orgel und der Orgelmusik in den säkularen Raum erleben werden. In den vergangenen zehn bis 20 Jahren ist weltweit der Bau von Konzerthallen auf dem Vormarsch. Und fast alle größeren Konzerthallen werden heute quasi selbstverständlich mit Orgeln ausgestattet. Ob die dann benutzt werden, ist eine andere Frage. Ich glaube, dass sich das noch stärker etablieren wird, weil in den Kirchen immer weniger passiert. Erstens werden immer mehr Kirchen zugemacht, zweitens gibt es immer weniger Geld, um außerhalb des gottesdienstlichen Rahmens irgendetwas zu veranstalten. Und drittens kommt dazu, dass Orgelmusik - fragen sie mich nicht warum - stärker als andere klassische Musik als altertümlich und rückständig angesehen wird. Heutzutage wird sie in vielen Kirchen ersetzt durch eine Band, die dann die gottesdienstliche Musik beisteuert.

Wir haben die Hoffnung, dass diese Entscheidung der Unesco das Bewusstsein verändert, eine gewisse Aufmerksamkeit erregt, dass man die Orgel stärker wahrnimmt und zwar nicht nur als Kircheninstrument, sondern einfach als Musikinstrument.

Was müsste geschehen, um die Tradition des Orgelbaus in Deutschland auch für die Zukunft zu sichern?

Im Grunde genommen bedarf es einer Bewusstseinsveränderung. In Deutschland ist die Situation einfach schwierig, weil wir im kirchlichen Rahmen nach dem Zweiten Weltkrieg eine völlig unnormale Situation hatten. Durch den immensen Kirchenbauboom der Nachkriegszeit haben wir hier einen Markt gehabt, der nicht der dauerhaften Nachfrage entsprach. Das merkt man heute sowohl im Nachfrageumfang bei neuen Instrumenten als eben auch bei der Zahl der Kirchen, die betrieben werden. Auch die nimmt ständig ab. Ob man darauf Einfluss nehmen kann, wage ich sehr zu bezweifeln, denn die Unesco-Entscheidung wird sicher nicht dazu führen, dass mehr Leute in die Kirche gehen oder bereit sind, dafür Geld zu lassen. Aber ich denke, mit dem Herauslösen der Orgel aus dem liturgischen Kontext und der selbstverständlichen Überführung auch in den Konzertsaal, sind wir auf einem guten Weg.

Das Gespräch führte Klaus Krämer