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Schule, und dann?

Gaby Reucher/(J. Hennig)1. Dezember 2014

Berufsbildungsmessen haben derzeit Hochkonjunktur. Dennoch fühlen sich Schulabgänger in Deutschland schlecht informiert über Studium und Ausbildung. Die Schulen sollen den Übergang in die Berufswelt besser vorbereiten.

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Eine junge Frau hält Schilder mit Pfeilen nach links und nach rechts in den Händen und blickt ratlos drein (Foto: Fotolia/contrastwerkstatt)
Bild: Fotolia/contrastwerkstatt

Zufrieden sitzt Hans Josef Lenz in seinem "BerufsOrientierungsBüro". Es war nicht so einfach, der Schule diesen Raum abzutrotzen. Hinter ihm hängen Plakate, die die Aktivitäten der Schule bei der Berufsfindung der Schüler widerspiegeln. Das Stadtgymnasium Porz ist eins von fünf Kölner Gymnasien, die seit letztem Jahr an der Initiative "Kein Abschluss ohne Anschluss" teilnehmen. "Wir vermitteln hier im Büro Ansprechpartner und versuchen mit den Schülern rauszufinden, in welche Richtung es denn beruflich gehen soll", sagt der engagierte Lehrer. Das Projekt "Kein Abschluss ohne Anschluss" wird in Nordrhein-Westfalen flächendeckend eingeführt. Auf diese Weise sollen die Jugendlichen frühzeitig auf dem Weg zum richtigen Beruf begleitet werden.

Schüler fühlen sich nicht genug informiert

Fast die Hälfte von mehr als 500 befragten Schülern findet es schwer, sich am Ende der Schulzeit überhaupt für irgendeinen Beruf zu entscheiden. Zumal die Jugendlichen vor allen Dingen einen Berufsweg einschlagen wollen, der ihnen "Spaß macht". Das belegt eine Studie, die das Allensbach-Institut und die Hertie School of Governance durchgeführt haben. Das Ergebnis sei nicht verwunderlich, findet Bildungsforscher Klaus Hurrelmann, Professor an der Hertie School of Governance. Schließlich werde den Jugendlichen bei der Berufsfindung viel abverlangt: "Man muss sich fragen, wo stehe ich, was bin ich, was kann ich, wo geht es weiter." Dabei seien die Jugendlichen sehr auf sich gestellt. "Das ist heute eine richtig komplexe Landstraße, die ich da fahren muss. Dafür brauche ich einen zuverlässigen Navigator, der fehlt den meisten."

Der Bildungsforscher Klaus Hurrelmann (Foto: DW)
Bildungsforscher Klaus Hurrelmann fordert mehr Unterstützung für die Jugendlichen bei der BerufsfindungBild: DW

Einen Navigator braucht man schon allein, um sich im Überangebot von Berufsmöglichkeiten, Studienfächern und Qualifizierungsmaßnahmen zurechtzufinden. Trotz oder gerade wegen der zahlreichen Angebote auf dem Markt der Möglichkeiten fühlen sich 35 Prozent der Jugendlichen schlecht informiert. So geht es auch Pauline, die in Bonn die Jugendbildungsmesse JuBi besucht hat. "Beruflich weiß ich noch nicht was ich machen möchte", bekennt die 18-jährige Schülerin. "Ich habe auf jeden Fall vor, ein 'Freiwilliges soziales Jahr' zu machen mit Kindern in Indien, um erst mal Erfahrungen zu sammeln."

Späte Berufseinsteiger

Erstmal Erfahrungen sammeln, auch im Ausland, das wollen in Deutschland viele Jugendliche. Den Start in eine Ausbildung und ins Studium kann man so noch hinauszögern, zum anderen hoffen sie durch zusätzliche Auslands-Erfahrung in Bewerbungsverfahren die Nase vorn zu haben. Das Hinausschieben der Berufsentscheidung ist wirtschaftlich gesehen ein Problem. Im internationalen Vergleich kommen junge deutsche Erwachsene erst sehr spät ins Berufsleben, bestätigt Klaus Hurrelmann: "Ich glaube es oft selbst nicht. Das statistische Durchschnittsalter ist heute beim Antritt einer traditionellen beruflichen Lehre 19 Jahre, also wahnsinnig spät im Lebenslauf." Das kostet auch den Staat Geld, der zahlreiche Übergangslösungen bezuschusst. Nicht zuletzt deshalb wurde das Projekt "Kein Abschluss ohne Anschluss" (KAoA) mit Hilfe von EU-Geldern ins Leben gerufen.

Als Hilfslehrer nach Indien

Früh die richtige Richtung einschlagen

Im Alter von 13 bis 14 Jahren wird bei den Jugendlichen zuerst eine sogenannte Potenzialanalyse erstellt. Einen Tag lang können die Schüler mit Hilfe verschiedener Tests und Rollenspiele feststellen, wo ihre Stärken und Schwächen liegen. Ein Berufsorientierungscamp mit Vorträgen und Workshops verschiedener Berufssparten gibt den Jugendlichen dann eine konkretere Orientierung für ihr Berufspraktikum. Das Porzer Stadtgymnasium bietet in der Oberstufe, also in der Zeit vor der Hochschulreife, noch einmal die Möglichkeit, Bewerbungsschreiben und Vorstellungsgespräche zu üben. Außerdem werden die Schüler informiert, wie man einen Studienplatz bekommt.

Das ist mehr als ein schulisches Berufsberatungskonzept, erläutert Britta Russack, Abteilungsleiterin beim Amt für Kinder, Jugend und Kommunikation in Mülheim an der Ruhr: "Durch alle Etappen, die aufeinander aufbauen, zieht sich ein roter Faden, der am Ende in einer Anschluss-Vereinbarung münden soll, die dem Schüler vermittelt, wie der Weg weiter gehen kann." In Mülheim wird "Kein Abschluss ohne Anschluss" bereits flächendeckend umgesetzt. Nicht immer einfach, räumt Russack ein. "Lehrer tun sich oft schwer und sagen, sie wüssten ja gar nicht, welche Berufe es gibt. Aber sie müssen sich da genau so reinarbeiten wie die Jugendlichen selbst."

Besucher der Jugendbildungsmesse in Bonn (Foto: DW/Henning)
Nicht nur Bildungsmessen, sondern vor allem die Schulen sollen den Jugendlichen bei der Berufsorientierung helfenBild: DW/J. Hennig

Schulen brauchen professionelle Karriereberater

Klaus Hurrelmann plädiert dafür, den Schulen professionelle Berufskenner zur Seite zu stellen. "Dass die Lehrerinnen und Lehrer ebenso wie die Eltern als Karriereberater überfordert sind, das ist offensichtlich." Dabei denkt der Bildungsforscher an die Bundesagentur für Arbeit, an Unternehmensverbände, Handwerkskammern oder auch Gewerkschaften. KAoA hält er auf jeden Fall für einen richtigen Ansatz.

Britta Russack sieht es trotz Arbeitsbelastung als Aufgabe der Lehrer, für berufliche Orientierung zu sorgen. "So etwas muss von der Schule nicht nur durchgeführt, sondern auch gelebt werden", meint die Koordinatorin für den Übergang von Schule zu Beruf. Ein Lehrer könne nachhaken, wenn er merke, dass ein Schüler seinen Praktikumsplatz nicht entsprechend seiner Neigungen und Fähigkeiten ausgesucht habe. "Da muss man die Jugendlichen auch aus ihrer Bequemlichkeitshaltung herausholen und motivieren, damit sie Lust bekommen, erwachsen zu werden."

Gymnasiallehrer Hans Josef Lenz kann das bestätigen. "Die Schüler der Mittelstufe sind oft sehr interessiert, weil es um sie persönlich geht und sie anfangen, sich mit sich selbst zu beschäftigen." Stolz zeigt Lenz in seinem Büro auf das letzte Plakat mit der Auswertung der eigenen Schülerbefragung. An seiner Schule sind es nur 10 Prozent der Jugendlichen, die am Ende ihrer Schullaufbahn nicht wissen, was sie beruflich machen wollen.

Hans Josef Lenz, Lehrer am Stadtgymnasium Köln-Porz (Foto: DW/Reucher)
Lehrer Hans Josef Lenz begleitet seine Schüler auf dem Weg zum richtigen Beruf - mit ErfolgBild: DW/G. Reucher