1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Pastior und die Securitate

Jan Bruck9. Juli 2012

Die Nachricht schlug 2010 hohe Wellen: Der rumänische Dichter Oskar Pastior soll als Spitzel mitschuldig am Selbstmord eines Freundes gewesen sein. Nun präsentiert der Germanist Ernest Wichner neue Erkenntnisse.

https://p.dw.com/p/15QRs
Oskar Pastior, Foto: dpa
Bild: picture-alliance /APA/picturedesk.com

Deutsche Welle: Herr Wichner, Sie waren ein persönlicher Freund Oskar Pastiors. Was wurde ihm genau vorgeworfen?

Ernest Wichner: Oskar Pastior wurde vorgeworfen, dass er 1961 eine Verpflichtungserklärung bei der Securitate, dem rumänischen Geheimdienst, unterschrieben hat, in der er sich verpflichtet, als IM für sie tätig zu sein. Und dass er diese Verpflichtung sieben Jahre lang bis zu seiner Ausreise aus Rumänien 1968 nicht widerrufen hat.

Die Oskar-Pastior-Stiftung, deren stellvertretender Vorsitzender Sie sind, hat Sie mit einer Forschungsarbeit beauftragt. Sie sollen aufklären, was Oskar Pastior in seiner Zeit als Spitzel getan hat. Was ist Ihr Kenntnisstand?

Ich habe nach langen Recherchen in den Securitate-Akten sechs Berichte von ihm gefunden. Der erste, über Ruth Kisch - eine Germanistin und auch Parteifunktionärin jener Zeit – hat durchaus einen denunziatorischen Kern. Alle weiteren Berichte werden zunehmend harmloser. Pastiors Verpflichtung ist ja unter massiven Drohungen zustande gekommen. Er hätte, wenn er sich verweigert hätte, wahrscheinlich Gefängnis zu erwarten gehabt. Daraus schließe ich, dass er am Anfang diese Verpflichtung ernst genommen hat und meinte, etwas liefern zu müssen. Allmählich merkte er aber, dass es Möglichkeiten gibt, sich der Verpflichtung zu entziehen.

Schwere Vorwürfe hat 2010 vor allem der Schriftsteller Dieter Schlesak gegen seinen früheren Weggefährten Pastior erhoben. Sie haben die Stichhaltigkeit seiner Schilderung damals, vier Jahre nach dem Tod Pastiors, sofort in Zweifel gezogen. Fühlen Sie sich jetzt bestätigt?

Ich fühle mich mehr als bestätigt. Dieter Schlesak hat behauptet, dass Oskar Pastior mitschuldig sei am Selbstmord von Georg Hoprich. Hoprich war wegen einiger staatsfeindlicher Gedichte im Gefängnis und hat sich Jahre nach seiner Entlassung umgebracht. Es gibt weder in Georg Hoprichs Akte noch in der von Oskar Pastior irgendwelche Hinweise, die die Behauptungen bestätigen könnten. Im Gegenteil, es gibt überhaupt keinen Bericht von Oskar Pastior zu Georg Hoprich.

Woher wissen Sie denn, dass Sie nichts übersehen und alle relevanten Akten gesichtet haben?

Das kann man nie wissen. Oskar Pastior war ein Mitläufer, ein harmloser Verräter. Dieses Urteil stütze ich auf die vielen, vielen Akten, die ich von solchen IMs und auch von Opfern gelesen habe. Wenn ich weiß, dieser oder jener war als Inoffizieller Mitarbeiter tätig, dann finden sich häufig 15 oder 20 Berichte in den Akten seiner Opfer. In dem ganzen Milieu, in dem Oskar Pastior als Zuträger hätte vorkommen können, gibt es so etwas nicht. Daraus schließe ich, dass es keine bösen Überraschungen mehr geben wird.

Ernest Wichner, Foto: AP
Ernest Wichner kämpft für das Ansehen Oskar PastiorsBild: picture-alliance /APA/picturedesk.com

Wie fühlt sich es eigentlich an, in Bukarest zu sein und in diesen Akten zu lesen, voller Intrigen und angestifteter Paranoia?

Es ist ganz seltsam. Man weiß, dass man es mit dem Material aus dem Geheimdienst einer Diktatur zu tun hat. Es wurde gesammelt, um Menschen gefügig zu machen, zu erpressen, unter Umständen auch ins Gefängnis zu bringen. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite ist dort auch so viel banales, alltägliches Zeug drin. Wenn man da lange sitzt, hat man das Gefühl, viele von den Bespitzelten, aber auch von den Spitzeln, zu kennen.

Oskar Pastior war mit der Nobelpreisträgerin Herta Müller eng befreundet. Er hat an ihrem Roman "Atemschaukel" mitgewirkt. Herta Müller war bei der ersten Präsentation Ihrer Forschungsergebnisse dabei. Wie denkt sie darüber?

Sie hat bei der Gelegenheit gesagt, dass sie Oskar Pastior im Grunde dankbar sei, dass er ihr nichts gesagt habe. Und ähnlich denke ich auch. Wir wissen ja, wie das ist, wenn jemand sagt: ’Ich habe für diesen Geheimdienst arbeiten müssen, aber ich habe niemandem geschadet.’ Dann sagen wir: ’Ist ja gut, das sagen alle.’ Das kann keiner mehr glauben. Das wäre auch in diesem Fall unsere erste Reaktion gewesen. Als sie nach seinem Tod davon erfuhr, ist sie erstmal weggerückt vor Schreck. Dann hat sie auch gemerkt, dass sie einen Freund in der Not nicht im Regen stehen lassen kann.

Ist Oskar Pastior jetzt rehabilitiert, nach ihrer Studie?

Rehabilitiert ist ein zu großes Wort. Das würde ich so nicht sagen. Ich sehe ihn im Grunde als nicht moralisch kompromittiert. Ich mache aber immer noch einen Unterschied zwischen jenen, die unterschrieben haben und denen, die nicht unterschrieben haben. Diesen Unterschied kann und will ich nicht wegwischen.

Ernest Wichner, geboren 1952 in Rumänien, ist Leiter des Literaturhauses Berlin und stellvertretender Vorsitzender der Oskar-Pastior-Stiftung. Wichner begleitete 2004 Oskar Pastior und Herta Müller auf einer Reise in die Ukraine an Lagerorte, an die Pastior zwischen 1945 und 1949 als rumäniendeutscher Zwangsarbeiter verschleppt wurde.