1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Pädophilie: Kein Täter werden

Vera Kern21. Februar 2014

Der Fall Edathy macht ein Dilemma klar: Nacktbilder von Kindern sind manchmal legal. Doch macht sie das unproblematischer? Wie Kinder vor Missbrauch geschützt werden können - und Täter vor sich selbst.

https://p.dw.com/p/1BDbi
Symbolbild Kindesmisshandlung (Foto: Fotolia/Gina Sanders)
Bild: Fotolia/Gina Sanders

Ralph, 38, Regisseur, sagt: "Bis Mitte 20 hatte ich immer das Gefühl, okay, das kriege ich schon irgendwie in den Griff." Mit 25 besorgt er sich dann kinderpornografisches Material aus dem Internet. Er weiß, dass das nicht richtig ist. "Es ist allerdings schwer umzusetzen, weil es immer ein Gefühl ist, was in mir drin steckt, ganz normale Gefühle der Liebe oder Geborgenheit, sich jemand zugewandt fühlen." Ralph ist verzweifelt. Als er ein Mädchen im Internet bittet, ihm noch mehr Aufnahmen zu schicken, zieht er die Notbremse und wendet sich an das Präventionsnetzwerk "Kein Täter werden". Auf deren Internetseite schildert er seine Geschichte. Es soll ein Warnhinweis für Menschen sein, die sich von Kindern erregt fühlen.

Menschen mit pädophilen Neigungen fühlen sich sexuell zu Kindern hingezogen. Die Erfahrung von Sexualtherapeuten zeigt: Es sind meist Männer, die sexuelle Fantasien mit Kindern haben. Manche begehren Mädchen, manche Jungen. Dieses schwierige Verlangen führt viele ins Internet. Das Angebot an Kinderpornografie ist riesig. Allein bei der Operation Spade hat die kanadische Polizei im Oktober 2013 Material sicher gestellt, das für 33.000 Kinofilme reichen würde. Es war ein großer Schlag gegen die globale Kinderporno-Industrie.

Nacktbilder nicht unbedingt strafbar

Nach deutschem Recht ist der Besitz oder die Verbreitung von Kinderpornografie strafbar. Das regelt Paragraf 184 des Strafgesetzbuches. Sexuelle Handlungen mit Kindern, von Kindern oder vor Kindern sind verboten. Doch wo ist die Grenze überschritten? Ist etwa ein Bild von einem nackten Kind, das am Strand spielt, schon Pornografie?

Die Polizei orientiert sich bei Ermittlungen gegen Kinderpornografie an der so genannten Copine-Skala. Sie hilft, den Schweregrad der gefundenen Abbildungen zu bewerten. Es beginnt mit harmlosen Kinderbilder aus Modekatalogen. "Dann durchlaufen die Stufen eine Art Eskalation", erklärt der Hannoveraner Strafrechtler Arnd Hüneke. Die umstrittenen Posing-Fotos oder Posing-Filme - Darstellungen von nackten Kindern - bewegen sich in einer Grauzone. Strafbar ist alles ab Stufe sieben, wenn explizite sexuelle Handlungen zu sehen sind.

Symbolbild Pädophilie im Internet (Foto:dpa)
Viele Pädophile konsumieren Kinderpornos, aber nicht jeder wird zum Täter im realen LebenBild: picture alliance/dpa

Kein Täter werden

Doch wie hängen Kinderpornografie-Konsum und Kindesmissbrauch im realen Leben zusammen? "Nicht jeder, der sich Kinderpornografie anschaut wird auch übergriffig", sagt Petya Schuhmann von der Sexualwissenschaftlichen Ambulanz der Universität Regensburg. Wissenschaftlich sei die Frage nicht geklärt, so die Psychologin. Unbestritten ist hingegen: Kinder, die für Filme oder Fotos ihre Geschlechtsteile zeigen müssen oder zu sexuellen Handlungen gezwungen werden, werden zu Missbrauchsopfern. Sie sollen geschützt werden - durch das Strafrecht, aber auch durch Präventionsprojekte wie "Kein Täter werden". Seit 2005 läuft das spezielle Therapieangebot für Pädophile bundesweit.

Wer zu Petya Schuhmann in die Regensburger Sexualambulanz kommt, hat einen hohen Leidensdruck. "Die pädophile Neigung ist nichts, was man sich selbst aussucht und einfach abstellen kann." Die pädophilen Hilfesuchenden litten sehr unter ihren sexuellen Fantasien, so die Therapeutin. Viele vertrauen sich zum ersten Mal einem anderen Menschen an. Pädophil gleich Kinderschänder - das Schamgefühl ist groß, selbst wenn es noch nicht zu Übergriffen auf Kinder kam.

Empathie für Opfer lernen

Bei der Diagnose spielt es keine Rolle, ob ein Pädophiler "nur" legale Nacktbilder konsumiert oder heftigeres pornografisches Material. Wichtiger ist eine genaue Sexualanamnese: Welche sexuellen Fantasien projiziert ein Mann in Kinder? Was sind kritische Situationen? Wie sieht der Porno-Konsum aus? Einige der Patienten bewegen sich im Dunkelfeld, sind also bereits übergriffig geworden, aber noch nicht von der Justiz entdeckt. Die meisten haben einfach enorme Angst, sich an einem Kind zu vergehen.

Präventionsprojekt "Kein Täter werden" (Foto: Bernd Wüstneck/dpa)
Kein Täter werden: Präventionsprojekt für PädophileBild: picture-alliance/dpa

Die Therapieziele: Keine sexuellen Kontakte zu Kindern, kein Konsum von Kinderpornografie - und zu lernen, die eigene sexuelle Neigung zu akzeptieren. Dazu treffen sich die Patienten jede Woche zum Gruppengespräch. Es geht darum, ihr Verhalten zu ändern.

Alle Gefahrensituationen werden durchgespielt: Wie verhalte ich mich auf Familienfeiern mit kleinen Nichten, wie in der Nähe eines Spielplatzes, wie alleine zu Hause am Computer? Kinderpornografie ist tabu. Viele gehen noch einen Schritt weiter und verzichten ganz auf jegliches Material. "Das ist dann egal, ob das FKK-Bilder sind von Kindern am Strand oder Posingbilder, die legal sind", so Schuhmann.

Denn viele ihrer Patienten haben Angst davor, straffällig zu werden. "Sie wollen auch nicht, dass Kinder zu schaden kommen", sagt Petya Schuhmann. Das ist auch ein Ziel der Therapie: Empathie für die Opfer zu entwickeln. Wenn die Empathie steigt, wächst das Bewusstsein, wie traumatisch pornografische Darstellungen für die missbrauchten Kinder sind.

Ralph hat durch die Therapie gelernt, mit seinen pädophilen Neigungen umzugehen. "Ich habe ja auch verdrängt, dass mit den Fotos Kinder missbraucht werden", schreibt er auf der Homapage des Netzwerks "Kein Täter werden". Durch die Therapie hat er sich getraut, auch seinen Eltern alles zu erzählen. Unbefangen wird er wohl nie auf Kinder reagieren. Aber er kann sich vor sich selbst schützen - und damit Kinder vor potenziellem Missbrauch.