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Paech: "Wir sollten nur 20 Stunden arbeiten"

5. Februar 2018

Niko Paech propagiert ein Wirtschaftssystem, das zur Versorgung des menschlichen Bedarfs nicht auf Wachstum angewiesen ist. Im DW-Gespräch erläutert der Ökonom die Vorteile für Mensch und Umwelt.

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Prof. Dr.  Niko Paech
Bild: picture-alliance/dpa/K. Schindler

Deutsche Welle: Herr Professor Paech, die Wirtschaft brummt, die Auftragsbücher sind voll, die Konsumenten bester Laune. Was sagen Sie zu dieser Meldung?

Niko Paech: Naja, alle bisherigen Anstrengungen, eine nachhaltige Entwicklung zu beginnen, sind kläglich gescheitert. Das hat viele Gründe, insbesondere die unbändige Nachfrage nach Mobilität, Konsum, Wohnraum und elektronischem Komfort. Das Interesse,  die ökologischen Lebensgrundlagen zu schützen, wird zwar bekundet, jedoch unter Vorbehalt gestellt, dass der Wohlstand weiter wachsen muss. Und das entspricht der Quadratur des Kreises. 

Sie behaupten, der Wohlstand basiere auf einer ökologischen Plünderung. Die Ökosphäre brauche eine Verschnaufpause. Die bekomme sie aber nicht, solange die Wirtschaft weiter wächst. Was meinen Sie damit?

Es ist bislang nicht systematisch gelungen, das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von ökologischen Schäden zu entkoppeln. Dennoch wird alles getan, um weiteres wirtschaftliches Wachstum zu entfachen. Dabei sind wir, speziell in Deutschland, so reich sind wie nie zuvor.

Was können wir tun, um die Erde zu schützen und den Klimawandel aufzuhalten?

Es bedarf einer Postwachstumsökonomie. Sie besteht unter anderem darin, die Gütererzeugung und die globale Mobilität deutlich zu reduzieren. 

Was kann Deutschland dafür tun?

Die Industrieproduktion in Deutschland sollte schrittweise um bis zu 50 Prozent zurückgebaut und die dann noch benötigte Arbeitszeit so umverteilt werden, dass Vollbeschäftigung auf Basis einer 20-Stunden-Woche möglich ist. Es wäre dann notwendig, sparsamer und anders mit Konsumgütern umzugehen. 

Aber wer fängt mit der Reduktion an, wenn doch scheinbar niemand Änderungen in Angriff nehmen will?

Der Wandel beginnt in Reallaboren sowie durch Avantgardisten, die bereits existieren. Vorgelebte Beispiele können zur inspirierenden Vorlage für einen Wandel werden, insbesondere wenn dieser durch Krisen beschleunigt wird.  

Gibt es keine Hinweise darauf, dass die Wirtschaft Nachhaltigkeit auf freiwilligem Wege umsetzen könnte?

Dies trifft nur auf sehr wenige Unternehmen zu, denen aber eine wichtige Vorreiterrolle zukommt. 

Braucht es wieder eine Krise für den notwendigen Weckruf?

Ja, die restliche Gesellschaft vollzieht den überlebenswichtigen Wandel zum Weniger genau dann, wenn äußere Umstände sie dazu zwingen. 

Wo kann denn jeder Einzelne Ressourcen sparen?

Konsumenten können erstens ihr Leben von dem Überfluss befreien, der kaum Nutzen stiftet, aber Geld, Zeit, Raum und ökologische Ressourcen kostet. Zweitens wäre es nötig, Güter achtsam zu behandeln, zu pflegen, instand zu halten und zu reparieren. Wenn auf diese Weise die Nutzungsdauer verdoppelt wird, sinken die Konsumausgaben um die Hälfte. Drittens können viele Dinge gemeinschaftlich genutzt werden, etwa Autos, Waschmaschinen, Rasenmäher, Werkzeuge etc. Wenn derlei Güter jeweils durchschnittlich von drei Personen gemeinschaftlich genutzt werden, sinken die Konsumausgaben um zwei Drittel. Viertens können manche Produkte und Dienstleistungen selbst erzeugt werden, denken wir an Gemeinschaftsgärten, Güter der Marke Eigenbau oder das eigene Zubereiten von Speisen anstelle des Restaurantbesuchs. Fünftens wären Urlaubsreisen mit dem Flugzeug, Auto oder Kreuzfahrtschiff zu substituieren durch Reisen innerhalb Europas per Bahn, Bus, Fahrrad oder zu Fuß. Sesshaftigkeit ist die wichtigste aller Nachhaltigkeitsmaßnahmen. Sechstens sollte jeder Mensch seine individuelle CO2-Bilanz berechnen, was mit Online-Tools kinderleicht ist. 

Dazu braucht der Einzelne doch mehr Zeit, oder nicht?

Genau. Zeit ist die wichtigste und knappste Ressource, über die ein Mensch verfügt. Wenn Menschen nur noch 20 Stunden arbeiten, haben sie genau die Zeit, die zur Selbstversorgung in lokalen Netzwerken nötig ist. 

Als Wirtschaftswissenschaftler stehen Sie mit Ihrer Position allerdings ziemlich allein da.

Klar, aber das heißt angesichts des besorgniserregenden Zustandes der Wirtschaftswissenschaften wahrlich nicht viel (lacht). Mir geht’s nicht nur um die Plausibilität des von mir vertretenen Standpunktes, sondern darum, die Dogmatik der tradierten Ökonomik anzugreifen. Dringend benötigt wird ein unvoreingenommenes Nebeneinander unterschiedlicher Gegenwartsanalysen und ökonomischer Zukunftsentwürfe, die wir Wissenschaftler der Gesellschaft anbieten können. Zum Glück existiert an der Universität Siegen der Studiengang "Plurale Ökonomik", durch den erstmals dieser überfällige Gedanke umgesetzt wird. 

 

Professor Niko Paech ist einer der bedeutendsten Wachstumskritiker Deutschlands. Der Volkswirt lehrt als außerplanmäßiger Professor Plurale Ökonomik an der Uni Siegen. Paechs Forschungsschwerpunkte umfassen Postwachstumsökonomik und Nachhaltigkeitsforschung.